Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Fernbeziehung am Smartphone
Mit „Allegro Pastell“will Leif Randt die „Langeweile des deutschen Lebens“umarmen
Bei seinem Auftritt Ende Februar in Leipzig kramte Leif Randt (36) sein Mobiltelefon hervor. Weil sein neuer Roman noch nicht in Buchform vorlag, las er den Text vom Display ab. Das sei natürlicher und alltäglicher als Blätter auszudrucken, sagte der Autor. „Man liest ja ständig irgendwas auf dem Handy.“
Die Szene aus der Lesung ist bezeichnend für seinen vierten Roman „Allegro Pastell“. Darin führen Tanja und Jerome im ultraheißen Sommer 2018 eine von Kurzvisiten unterbrochene, digitale Fernbeziehung. Die Romanfiguren texten einander, mailen, schicken Sprachnachrichten statt Telefonate zu führen. „Jerome hatte sich sehr über diese Frage gefreut“, heißt es einmal, „als Antwort „100 %“geschrieben und ein Jubelndes-Gespenst-Emoji hintendran gesetzt“.
Während Schriftstellerin Tanja in Berlin am Nachfolger ihres Kult-Debüts arbeitet, verdient der 36-jährige Jerome als Webdesigner in Maintal bei Frankfurt sein Geld. Wie das geht? „Erstens im Ausleben physischer Nähe während der gegenseitigen Besuche“, zählt Tanja auf. „Zweitens im intensiven Dialog aus der Ferne.
Und drittens in der gespannten Erwartung der neuerlich anberaumten Nähe.“
Eine Beziehung, portioniert als Millennial-Triptychon.
Wenn Tanja zu Besuch kommt, holt der Boyfriend sie vom Bahnhof ab. Sie sitzen im grau-schwarzen Innenraum des geliehenen Tesla, fahren zum unterkellerten Bungalow Baujahr 1978 mit dessen AnthrazitWänden.
Dieselbe Farbe hat auch die Couch, auf der sie später liegen. Mit scharfem Auge für scheinbar belanglose Adjektive und Nebensätze schafft es Randt, der makellosen Beziehung trübe Wolken einzuflechten.
Berlin und Maintal: die beiden Orte, die auch Randt selbst sein Zuhause nennt. „Krasser Zufall“, scherzte er bei der Lesung in Leipzig. Zwei Städte als Gegenpole. „Viel weniger interessant und irgendwie auch schmerzhaft kann man es ja fast nicht anlegen“, sagte er jüngst in einem Interview. Darin habe ein Reiz gelegen.
Wie schon in „Schimmernder Dunst über CobyCounty“(2011) und dessen Science-Fiction-Nachfolger „Planet Magnon“(2015) verbindet Randts Hauptfiguren wieder jene Eigenschaft, gleichzeitig in sich hinein und auf sich herunter zu blicken.
Neun Monate geht die Beziehung über 400 Kilometer Entfernung gut. Dann wird Tanja 30. Eine Affäre in Berlin, ein Langzeitschwarm in Hessen. Das Miteinander muss neu definiert werden.
„Allegro Pastell“ist eine Art PostPop-Roman: Das Namedropping benutzt Randt nicht mehr als Fetisch wie die 90er-Jahre-Autoren. Für seinen Text funktionieren Marken als Signum für Generation und Schicht. Denn wer weiß schon außerhalb der Hauptstadtblase, dass die Chiffre „Klubnacht“, von der Tanja regelmäßig spricht, für Berlins bekanntesten Club Berghain steht?
Genauso verhält es sich mit dieser Mittdreißiger-Ironie, bei der etwa olle Eurodisco-Klassiker wieder für cool erklärt werden. Randt hält es fein im Vagen, ob er diese nervige Attitüde seiner Protagonisten womöglich als Persiflage verstanden wissen will.
Im Mittelpunkt von „Allegro Pastell“stehen die ganz individuellen Probleme von Tanja und Jerome. Wohlstandsprobleme, zugegeben.
Echte Konflikte kommen nicht auf – und wenn es sie doch geben sollte, bleiben sie unausgesprochen. Der Roman ist ein fast 300 Seiten langer Bewusstseinsstrom aus Oberfläche und Distanz.
„Mein Wunsch war, ein eher gut gelauntes Buch zu schreiben, das die relative Langeweile des deutschen Lebens auch umarmt“, sagte Randt im „Kulturnews“-Interview. Vielleicht ist es gerade das, was den Roman ausmacht. Die Nachfolge-Generation entdeckt die Ado-Gardine. Oder wie es Jerome ergeht: „Er fühlte sich zu Hause in ihren Messages.“(dpa)
Leif Randt: Allegro Pastell, Verlag Kiepenheuer&Witsch, 288 Seiten, 22 Euro