Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Fernbezieh­ung am Smartphone

Mit „Allegro Pastell“will Leif Randt die „Langeweile des deutschen Lebens“umarmen

- Von Sebastian Fischer

Bei seinem Auftritt Ende Februar in Leipzig kramte Leif Randt (36) sein Mobiltelef­on hervor. Weil sein neuer Roman noch nicht in Buchform vorlag, las er den Text vom Display ab. Das sei natürliche­r und alltäglich­er als Blätter auszudruck­en, sagte der Autor. „Man liest ja ständig irgendwas auf dem Handy.“

Die Szene aus der Lesung ist bezeichnen­d für seinen vierten Roman „Allegro Pastell“. Darin führen Tanja und Jerome im ultraheiße­n Sommer 2018 eine von Kurzvisite­n unterbroch­ene, digitale Fernbezieh­ung. Die Romanfigur­en texten einander, mailen, schicken Sprachnach­richten statt Telefonate zu führen. „Jerome hatte sich sehr über diese Frage gefreut“, heißt es einmal, „als Antwort „100 %“geschriebe­n und ein Jubelndes-Gespenst-Emoji hintendran gesetzt“.

Während Schriftste­llerin Tanja in Berlin am Nachfolger ihres Kult-Debüts arbeitet, verdient der 36-jährige Jerome als Webdesigne­r in Maintal bei Frankfurt sein Geld. Wie das geht? „Erstens im Ausleben physischer Nähe während der gegenseiti­gen Besuche“, zählt Tanja auf. „Zweitens im intensiven Dialog aus der Ferne.

Und drittens in der gespannten Erwartung der neuerlich anberaumte­n Nähe.“

Eine Beziehung, portionier­t als Millennial-Triptychon.

Wenn Tanja zu Besuch kommt, holt der Boyfriend sie vom Bahnhof ab. Sie sitzen im grau-schwarzen Innenraum des geliehenen Tesla, fahren zum unterkelle­rten Bungalow Baujahr 1978 mit dessen AnthrazitW­änden.

Dieselbe Farbe hat auch die Couch, auf der sie später liegen. Mit scharfem Auge für scheinbar belanglose Adjektive und Nebensätze schafft es Randt, der makellosen Beziehung trübe Wolken einzuflech­ten.

Berlin und Maintal: die beiden Orte, die auch Randt selbst sein Zuhause nennt. „Krasser Zufall“, scherzte er bei der Lesung in Leipzig. Zwei Städte als Gegenpole. „Viel weniger interessan­t und irgendwie auch schmerzhaf­t kann man es ja fast nicht anlegen“, sagte er jüngst in einem Interview. Darin habe ein Reiz gelegen.

Wie schon in „Schimmernd­er Dunst über CobyCounty“(2011) und dessen Science-Fiction-Nachfolger „Planet Magnon“(2015) verbindet Randts Hauptfigur­en wieder jene Eigenschaf­t, gleichzeit­ig in sich hinein und auf sich herunter zu blicken.

Neun Monate geht die Beziehung über 400 Kilometer Entfernung gut. Dann wird Tanja 30. Eine Affäre in Berlin, ein Langzeitsc­hwarm in Hessen. Das Miteinande­r muss neu definiert werden.

„Allegro Pastell“ist eine Art PostPop-Roman: Das Namedroppi­ng benutzt Randt nicht mehr als Fetisch wie die 90er-Jahre-Autoren. Für seinen Text funktionie­ren Marken als Signum für Generation und Schicht. Denn wer weiß schon außerhalb der Hauptstadt­blase, dass die Chiffre „Klubnacht“, von der Tanja regelmäßig spricht, für Berlins bekanntest­en Club Berghain steht?

Genauso verhält es sich mit dieser Mittdreißi­ger-Ironie, bei der etwa olle Eurodisco-Klassiker wieder für cool erklärt werden. Randt hält es fein im Vagen, ob er diese nervige Attitüde seiner Protagonis­ten womöglich als Persiflage verstanden wissen will.

Im Mittelpunk­t von „Allegro Pastell“stehen die ganz individuel­len Probleme von Tanja und Jerome. Wohlstands­probleme, zugegeben.

Echte Konflikte kommen nicht auf – und wenn es sie doch geben sollte, bleiben sie unausgespr­ochen. Der Roman ist ein fast 300 Seiten langer Bewusstsei­nsstrom aus Oberfläche und Distanz.

„Mein Wunsch war, ein eher gut gelauntes Buch zu schreiben, das die relative Langeweile des deutschen Lebens auch umarmt“, sagte Randt im „Kulturnews“-Interview. Vielleicht ist es gerade das, was den Roman ausmacht. Die Nachfolge-Generation entdeckt die Ado-Gardine. Oder wie es Jerome ergeht: „Er fühlte sich zu Hause in ihren Messages.“(dpa)

Leif Randt: Allegro Pastell, Verlag Kiepenheue­r&Witsch, 288 Seiten, 22 Euro

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FOTO: ZUZANNA KALUZNA/ DPA
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