Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Am 21. April 1945: Westerheim versinkt in Schutt und Asche
Vor 75 Jahren kommen in dem Albdorf 24 Menschen ums Leben – Hunderte werden obdachlos – Hälfte der Häuser zerstört
WESTERHEIM - Es war ein Brand katastrophalen Ausmaßes, der in den Nachmittags- und Abendstunden des 21. April 1945 den gesamten Ortskern Westerheims in Schutt und Asche legte. 24 Menschen fanden bei den Kampfhandlungen zwischen deutschen und amerikanischen Truppen den Tod. Mehr als die Hälfte der Wohnhäuser waren zerstört, landwirtschaftliche Lebensgrundlagen durch die Verluste an Vieh, Maschinen und Wirtschaftsgebäuden über Nacht weggebrochen.
Ursache des Infernos war der sinnlose Versuch von Teilen der deutschen Wehrmacht, die vorrückenden Amerikaner und Franzosen auf ihrem Weg in den noch unbesetzten deutschen Süden aufzuhalten. Zu diesem Zweck sollte entlang der Schwäbischen Alb unter Nutzung der besonderen topografischen Gegebenheiten eine Verteidigungslinie aufgebaut werden.
Wahrscheinlich eher ungewollt geriet Westerheim – im wahrsten Sinn des Wortes – in die Schusslinie der Gefechte um diese mehr oder weniger lose organisierte Verteidigungslinie. Eine Vielzahl unglücklicher Umstände summierten sich schließlich zur Katastrophe: Zum Einen erreichte in der Nacht vom 20. zum 21. April eine deutsche Einheit mit Flugzeugabwehrgeschützen, mit Tank- und Munitionsfahrzeugen Westerheim. Zum Schutz vor gegnerischen Flugzeugen wurden die Fahrzeuge in Scheunen untergestellt. Zum Zweiten wurden die im Ort verbliebenen Männer, die auf Grund ihres Alters nicht mehr zum aktiven Dienst herangezogen wurden, in einer Blitzausbildung an Abwehrwaffen geschult und zum Ausheben von Schützengräben rund ums Dorf verpflichtet. Zum 21. April wurde ihnen befohlen, sich zum sogenannten „Volkssturm“auf der für sie zuständigen Dienststelle in Münsingen zu melden. Schließlich tauchten die amerikanischen Panzereinheiten sowohl für die Bevölkerung als auch für die deutschen Soldaten völlig überraschend und ohne Vorwarnung auf.
Unter diesen Umständen war eine kampflose Übergabe des Dorfes einfach nicht zu realisieren. An diesem Samstag lag die gesamte Last, die kommenden Ereignisse so oder so zu beeinflussen, ausschließlich bei den Frauen. Und die taten mehrheitlich das, was ihnen in dieser Situation der Ungewissheit möglich blieb: Im Gebet für ihre Familien und für ihr Dorf das Beste zu erbitten und vorbereitet zu sein für den Fall, dass allen Schlimmes bevorsteht.
Das Fatale dieses Handelns können wir heute übersehen: Die meisten der Opfer, die die Kampfhandlungen forderten, starben in der Kirche oder auf dem Heimweg vom Gotteshaus in unmittelbarer Nähe von St. Stephanus. Bei den verheerenden Bränden kam auch eine behinderte Frau ums Leben, die nicht mehr rechtzeitig aus dem Haus gebracht werden konnte.
Schon seit längerem zeichnete sich das Kriegsende ab. Nachdem immer häufiger amerikanische Flugzeuge im Tiefflug über die Gemeinde flogen, wurden die Feierlichkeiten am „Weißen Sonntag“bereits morgens um 5.30 Uhr – wie im übrigen auch alle anderen Gottesdienste – gehalten. Beerdigungen fanden in der Morgendämmerung statt. Kartoffeln wurden in hellen Vollmondnächten gesteckt.
„Im März kam es bei Beerdigungen vor, dass wir die Leiche auf der Straße zum Friedhof abstellen… und vor den anfliegenden feindlichen Kampfgeschwadern in den nächsten Häusern in Deckung gehen mussten“, schrieb Pfarrer Eugen Bolsinger. „Wir haben französische Kriegsgefangene, polnische Zivilarbeiter, russische Zivilarbeiter…. dann...umgesiedelte Elsässer und in letzter Zeit auch russische Kriegsgefangene, die jeden Tag vom Lager Lämmerbuckel...zur Arbeit hierher kommen“, notierte der Pfarrer und weiter: „Die Straßen waren voll von Menschen, die vor der herannahenden Front ihr Heil in der Flucht suchten. Evakuierte aus den Großstädten und die Führung der russisch-orthodoxen Kirche. Im Herbst 1944 kamen dann Russen ins Lager Feldstetten, die auf deutscher Seite eingesetzt werden sollten. Von Hunger getrieben kamen sie zu Hunderten zum Betteln ins Dorf. Sie gingen nicht leer aus.“
Beobachtet wurde in Westerheim auch einer der Todesmärsche von ausgemergelten und zerlumpten Insassen eines aufgelassenen Konzentrationslagers. Obwohl die Lage immer aussichtsloser wurde, lieferten die verbliebenen Einheiten der deutschen Wehrmacht den rasch vorrückenden Amerikanern und Franzosen verlustreiche Gefechte. Als Göppingen gefallen war, rückten die Einheiten
der 10. US-Division schnell über das Fils- und Lautertal gegen die Schwäbische Alb vor. Bei Grabenstetten und Schopfloch trafen sie noch auf schwachen Widerstand von Freiwilligenverbänden der auf deutscher Seite kämpfenden Russen der Wlassow-Armee. Am 20. April erreichten die ersten amerikanischen Truppen die Albhochfläche. Am 21. April standen ihre Panzer am frühen Nachmittag vor Westerheim.
Ein überaus klares Bild der Ereignisse in Westerheim am 20. und 21. April zeichnete Monika Kneer, die damals als junge Verwaltungsangestellte im Rathaus tätig war: „Schon seit einigen Wochen waren Soldaten einer deutschen Genesungsbatterie im Dorf. Sie waren in Privathäusern untergebracht. Alle Soldaten waren unbewaffnet. Ihr Kommandeur, Oberleutnant Fuchs, versicherte mir in vielen Gesprächen auf dem Rathaus, Westerheim werde nichts passieren, sie, die Soldaten, gingen kampflos in Gefangenschaft.“
Sie erinnert sich, dass im Rathaus praktisch bis zum 20. April alle dienstlichen Vorgänge genau registriert wurden. Vor allem wurden detaillierte Listen darüber angelegt, in welchem Quartier jeweils Evakuierte, Fremdarbeiter und Soldaten untergebracht werden sollten.
„Umso überraschter war ich“, erinnert sich Monika Kneer, „dass in der Nacht vom 20. zum 21. April eine deutsche Flakeinheit (Anm: Einheit mit Fliegerabwehrkanonen) in Westerheim auftauchte, die nicht ordnungsgemäß auf dem Rathaus gemeldet war. Die Soldaten quartierten sich ,wild’ in den Scheunen der Bauern ein. Hier stellten sie auch ihre Fahrzeuge ein. Erst am Samstagmorgen, als die Leute in den Stall gingen, bemerkten sie die nächtlichen Einquartierungen.“