Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Gedenken an die größte Katastrophe Westerheims
Bürgermeister Hartmut Walz und Pfarrer Karl Enderle legen Kranz am Massengrab auf dem Friedhof nieder
WESTERHEIM - Die Gemeinde Westerheim hat am Dienstagnachmittag der Opfer des Zweiten Weltkriegs und insbesondere der 24 toten Menschen gedacht, die am 21. April 1945 nur 17 Tage vor Ende des Zweiten Weltkriegs ihr Leben verloren. Die Gedenkfeier auf dem Westerheimer Friedhof am Massengrab der 24 getöteten Menschen fand angesichts der Corona-Epidemie im Stillen statt. Ein kräftiger Ostwind blies an dem Jahrestag der Dorfzerstörung.
Es war eine ergreifende Feier mit erinnernden wie mahnenden Worten von Bürgermeister Hartmut Walz und und Pfarrer Karl Enderle, die zu Ehren der Toten einen Kranz niederlegten. Wegen des kursierenden Coroanavirus musste die Bevölkerung zuhause bleiben und dort der Toten und der Dorfzerstörung Westerheims gedenken. Wie vor 75 Jahren hängten einige Bürger weiße Fahnen und Tücher an ihre Häuser, um mit den damaligen Kriegsopfern ihr Verbundenheit zu zeigen und um den Friedenswillen der Gemeinde zu unterstreichen.
„Heute genau vor 75 Jahren brach über Westerheim die größte Katastrophe seiner Geschichte herein. Unser Dorf wurde in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs sinnlos verteidigt und zerstört. Das erfüllt uns mit Schmerz“, erklärte Bürgermeister Walz und blickte auf jenen verhängnisvollen Tag am 21. April 1945 zurück, als 16 Einheimische und acht Soldaten bei den Kämpfen in Westerheim getötet wurden.
„Die Gegenwart kann nur beherrschen, wer aus der Vergangenheit lernt“, betonte Walz in seiner Gedenkrede und las dann die Namen der 16 Kinder, Frauen und Männer aus Westerheim wie der acht deutschen Soldaten – von denen drei unbekannt sind – vor, die an jenem Samstagnachmittag des 21. April 1945 bei den völlig unnötigen und sinnlosen Kämpfen ihr Leben lassen mussten. Sein Gedenken galt auch den 109 Westerheimer Soldaten, die aus dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr heimkamen sowie aller verstorbenen Musiker in der 250-jährigen Geschichte der Musikkapelle Westerheim, die in ihrem Jubiläumsjahr 2020 die Gedenkfeier so gern mit einer Serenade bereichert hätte.
„Die Kriegsopfer sind in unserem Herzen nicht vergessen, wir behalten sie in Erinnerung“, unterstrich Walz abschließend und ging noch kurz auf die aktuelle Corona-Epidemie ein. „Angesichts des Leids der Menschen vor 75 Jahre wollen wir mit unserm Schicksal heute nicht hadern.“Damals hätten die Menschen ohne Bleibe und Essen in einer ganz ungewissen Zeit um ihr nacktes Überleben gekämpft. Sie hätten einen Überlebenswillen gezeigt und mit ihrem Fleiß und Einsatz zum heutigen Wohlstand beigetragen.
„Es gibt Tage im Leben, da ist nach einem Tag unwiderruflich Vieles nicht mehr so, wie es vorher war. Solch einen Tag erlebte Westerheim am 21. April 1945“, erklärter Pfarrer Karl Enderle in seiner Gedenkrede und weiter: „Auf den Tag genau vor 75 Jahren erlebten die Menschen hier in Westerheim eine große Katastrophe. Sie sprechen heute noch von der Dorfzerstörung. Das Kriegsgeschehen drang bis ins Dorf vor und forderte Verletzte und Todesopfer.“
All das liege inzwischen gut drei Generationen zurück, aber jedes Jahr nehmen wir das Geschehen zum Anlass, der Menschen zu gedenken, die von diesem Ereignis schwer getroffen wurden. Deshalb sei dieser 21. April in Westerheim immer ein Anstoß, sich für den Frieden zu engagieren und dafür zu beten, dass die Kriege überall auf der Welt ein Ende haben, betonte Enderle.
„Wir fühlen uns mit allen Menschen verbunden, die Tote durch Kriegsereignisse zu beklagen haben“, legte Pfarrer Enderle dar und verwies auf das Osterfest mit dem auferstandenen Jesus Christus, der Leid und Tod überwunden habe. Er habe durch seinen Kreuzestod Rettung in die Welt gebracht, gerade für die Opfer von Krieg, Flucht und Gewalt. Gott habe sie in einer neuen Heimat aufgenommen. „Gönnen wir ihnen mit Freude die Schönheit Himmels“, sagte der Seelsorger.
Wer in der Nähe zu Jesus Christus stehe, der könne vom Bösen nicht infiziert werden, sagte Enderle und verknüpfte die schrecklichen Kriegsereignisse von 1945 mit der CoronaEpidemie von heute. Auch die Opfer der Corona-Pandemie überall auf der Welt sollen Teilhabe an dem österliche Leben finden.
Dem Matthäus-Evangelium von der Bergpredigt mit den Seligpreisungen folgten Fürbitten, in denen Pfarrer Enderle und Bürgermeister Walz die Hoffnung ausdrückten, dass Menschen in den aktuellen Krisenund Kriegsgebieten zum Frieden zurückkehren und die Herzen der Mächtigen bekehrt werden. Ferner baten sie in einer Fürbitte, dass in den Köpfen und Herzen der Menschen keine menschenverachtende Ideologie mehr aufkomme und sie zu mehr Menschenfreundlichkeit und Brüderlichkeit bekehrt werden.
Ergreifend war auch der Bericht von Gretel Jungbauer, den Bürgermeister
Walz vorlas. Die heute 85Jährige hatte ihre schrecklichen Erlebnisse niedergeschrieben, sie war 1945 in der St. Stephanuskirche zugegen, als die US-Armee Westerheim beschoss. Mit den Worten „Dies war mein größter Schreckenstag in meinem Leben. Ich wünsche mir und meinen Nachkommen, dass solches Unheil fern bleibt“, beendete Gretel Jungbauer ihre Ausführungen und dankt Gott, dass sie überleben durfte.
Zur Gedenkfeier auf dem Westerheimer Friedhof vor dem Massengrab der vor 75 Jahren getöteten 24 Menschen musizierten Mike Baumeister und Richard Rehm von der Musikkapelle Westerheim auf ihren Zugposaunen, die das „Andantino“von Anton Diabelli, das „Andante“von Georg Philipp Telemann und die bekannte Volksweise „Ich hatt’ einen Kameraden“erklingen ließen.
In einer kleinen Serie kommen in den nächsten Tagen noch lebende Zeitzeugen der großen Katastrophe zu Wort. Sie schildern ihre Eindrücke von der Dorfzerstörung Westerheims am 21. April 1945.