Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Blut tropft aus dem Strumpf
WESTERHEIM (sz) - Den Schreckenstag am 21. April 2020 hat auch der inzwischen verstorbene Anton Kneer als Achtjähriger miterlebt, zunächst in der St. Stephanuskirche. Er hatte seine Eindrücke in Auszügen so zusammen gefasst:
„Mit dem Nachbarjungen Josef Baumeister und meinem älteren Bruder Georg ging ich in die Kirche, um für unser Seelenheil zu beten. Dort waren etwa 40 weitere Leute versammelt. Als der dumpfe Knall eines Einschlags zu hören war, forderte uns Pfarrer Eugen Bolsinger auf, heimzugehen. Wer sich nicht mehr traue, soll in den Kirchturm mit den dicken Mauern kommen.
Ich achtete was mein Bruder macht. Mit seinem Freund ging er schnell zum Südausgang raus, lief Richtung Kirchenmauer und Rathaus. Ich rannte hinterher, konnte die beiden aber nicht einholen. Es knallte überall, am Rathausberg spritzte Schotter auf. Ich rannte zurück, immer an der Kirchmauer entlang. Mit einem Mädchen gelangte ich in ein Haus am Schopf. Dort bemerkte ich, wie mein braunes Lodenmäntele ein Loch hatte. Jetzt erst sah ich das Blut, das mir aus dem Oberschenkel durch den Strumpf tropfte.
Ein Soldat reagierte schnell, nahm mich auf den Arm und trug mich in Daubenschütz’ Haus. Dort hatte die Flak-Einheit einen Notverbandsplatz eingerichtet. Im Keller stellte der Militärarzt fest, dass ein Granatsplitter meinen linken Oberschenkel durchschlagen hatte.
Als es rundum heftiger zu brennen anfing und Rauch in den Keller drang, mussten wir raus. Ein Frau schnappte mich und trug mich über den Sellen zum „Steigbauer“. Hier legte man mich auf ein Sofa. Im Haus war ein ständiges Kommen und Gehen. Das Gerücht eines Gegenangriffs machte die Runde und die Leute flohen in den Steinbruch auf „Hinter Sellen“. Ein deutscher Soldat blieb bei mir und trug mich in den Keller. Erst am anderen Tag fand mich meine Mutter und fuhr mich im Handwägele heim in unser Haus, in dem bereits die Amerikaner waren. Ein US-Arzt versorgte mich.
Am nächsten Tag brachte mich ein amerikanischer Jeep in die Marienburg zur weiteren ärztlichen Versorgung durch deutsche Sanitäter. Zu Hause erfuhr ich, dass der Nachbarbub, den ich mit meinem Bruder heimwärts rennen sah, bei den Geschosseinschlägen am Rathausberg tödlich getroffen wurde. Offensichtlich durch den Luftdruck einer Detonation kam noch ein weiterer Junge bei der Molke ums Leben, wie mir erzählt wurde.“