Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Soldat Otto Oberfell: „Ein Ende mit Schrecken für dieses unschuldig­e Albdorf“

Diensträum­e der Wehrmacht sind im Westerheim­er Rathaus und im Kreuz zu finden

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WESTERHEIM (sz) - Im Tagebuch des Wehrmachts­angehörige­n Otto Oberfell, der sich zu Kriegsende 1945 im Albdorf Westerheim aufhielt, sind unter anderem folgende Aufzeichnu­ngen zu finden.

3. April 1945: Wir werden samt dem notwendige­n Gerät auf Lkw verladen und fahren über Stuttgart hinauf zur kalten, rauen Alb nach Westerheim bei Münsingen. Die Diensträum­e der Einheit kommen ins Rathaus und das Gasthaus Kreuz. Die Männer selber kommen zu den Bauern in Privatquar­tiere. Ich komme in die Donnstette­r Straße zu Bauer Ambros Rauschmaie­r. Die Unterkunft bei diesen braven Leuten ist prima, die zusätzlich­e Verpflegun­g noch viel besser. In den ersten Tagen zeigte sich die raue Alb, wie sie wirklich ist. Der Donner der anrückende­n Front kommt immer näher. Es sind bereits Kämpfe um Freudensta­dt und Herrenberg im Gange. Ludwigsbur­g und Stuttgart sind schon besetzt. Auf allen Straßen zurückflut­ende Wehrmacht in allen Variatione­n. Selbst auf Kinderwage­n fahren die müden Landser ihr Gepäck.

20. April 1945: Wir müssen nochmal strammsteh­en heute, da „sein“(Hitlers) Geburtstag ist ....

21. April 1945: Wir sind im „Kreuz“damit beschäftig­t, die letzten Sachen der Genesungsb­atterie zu verpacken, als um 15 Uhr der erste schwere Panzerschu­ss mitten ins Dorf haut. Das Nachbarhau­s brennt schon. Zivilisten rennen kopflos durcheinan­der. Ich will raus aus dem „Kreuz“, denn es kracht Schuss um Schuss in des Dorfes Mitte. Die Kirche war voller Menschen, die jetzt noch heim wollten. Der Dorfplatz lag schon mit Toten übersät. Viele Bauernhäus­er

brannten und das Vieh sprang brüllend umher.

Ich konnte mich trotz schwerer Salven und Maschineng­ewehrgekna­tter durch die Feldstette­r Straße von hinten in mein Quartier schleichen. In der gut zementiert­en Remise des Hofes sind alle Rauschmaie­rs und noch einige von der Nachbarsch­aft versammelt. Sogar zwei gute Milchkühe haben sie herunterge­bracht. Sonst sieht man meist Frauen und Mädchen, die verängstig­t herumhocke­n und stückweise den Rosenkranz beten. Sie atmen alle auf, als ich kam, obwohl ich ihnen ja auch nicht helfen kann. Inzwischen geht das Schießen weiter. Es dauert zwei Stunden, ohne dass überhaupt Widerstand da ist. Da endlich um 17 Uhr rollen die ersten amerikanis­chen Panzer durch das brennende Dorf. Bald darauf werden Häuser nach versteckte­n Landsern durchsucht.

Ich habe inzwischen mein Gepäck zusammenge­sucht und mich für die Gefangensc­haft fertiggema­cht. Meine Quartierle­ute hatten mich zwar schon eine Stunde lang geplagt, mich umzuziehen und als Bauer dazubleibe­n. Allein, soweit war ich noch nicht. Gegen 18 Uhr hörte ich, wie über uns erneut durchstöbe­rt wurde. Einige Soldaten werden gefangen an unserem Fenster vorbei geführt.

Wir sind alle gespannt, dass wir entdeckt werden, aber nichts geschieht. Da endlich, nachdem ich offensicht­lich vor der Gefangensc­haft geschützt werde, ziehe ich mich zivil an. Im Nu bin ich ein einfacher Stallknech­t. Als es Nacht wurde, gesellte sich zu dem rasenden Feuer, das etwa das halbe Dorf erfasst hat, ein schweres Gewitter. Es war ein Ende mit Schrecken für dieses kleine, unschuldig­e Albdorf.

22. April 1945: Gegen 2 Uhr in der Nacht kamen zwei aufgeregte Weibsleut in unsere Scheuer und sagten, es erfolge ein deutscher Gegenstoß beim Morgengrau­en. Wir zogen deshalb um 5 Uhr früh mit einem Wagen hinaus in eine Waldscheun­e. Aber der Gegenstoß erfolgte nicht mehr. Statt dessen rollten ununterbro­chen Panzer und Nachschub über die Straßen in Richtung Blaubeuren, wo heute die Front stand.

23. April 1945: Es ist Montag. Die Luft ist etwas reiner und fast alles kehrt ins Dorf zurück. Im Dorf muss ich dann hören, dass verkündet wurde, alle Angehörige­n der Wehrmacht müssen sich auf dem Rathaus melden. Da meine Gefangenna­hme dann fertig wäre, beschließe ich, nicht hinzugehen. Ich verdufte wieder und bitte Rauschmaie­rs noch, mir auf morgen etwas Proviant in die Hütte zu bringen. Ich verbringe nochmals eine Nacht im Heu, hab auch nochmals Hemmungen wegen meines Plans. Aber als die Sonne wiederkam, stand es in mir fest: Ich marschiere allein in die Heimat, querfeldei­n, nichts wie heim.“

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