Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Die Italiener fühlen sich wie die Griechen
Vorurteile vergiften die Beziehungen Deutschlands zu dem vom Coronavirus so gebeutelten Land
ROM - Deutsche sind geizig und wenig flexibel. Und Italiener sind mafiös, faul und so hoch verschuldet, dass man sehr vorsichtig sein sollte, ihnen in dieser Zeit der Pandemie finanziell zu Seite zu stehen. Seit Tagen sprießen die Vorurteile zwischen Deutschland und Italien – und vergiften damit die Beziehungen der beiden so eng verbundenen Länder.
Anfang April sorgte eine Schlagzeile der Tageszeitung „Die Welt“in Italien für ziemlich dicke Luft. Unter dem Titel „Die Pandemie ist der ideale Nährboden für die Mafia“wurde darauf hingewiesen, dass die Clans der organisierten Kriminalität schon bereitstünden, um, so das Blatt, „sich am Stillstand des Landes zu bereichern“. Die Mafia, so liest man weiter in dem Artikel, habe sich „ausgerechnet in jenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens festgesetzt, die auch in Krisenzeiten unabdingbar sind“. „Da hat man es ja wieder“, sagte Matteo Salvini, Chef der rechtsnationalen Partei Lega, „wir Italiener sind alle korrupt und mafiös!“
Im Zentrum der Vorurteile steht der Umgang der Italiener mit Geld und Schulden. Und es geht um die sogenannten Eurobonds. Italiens Regierung fordert eine solche Finanzierungsmöglichkeit qua gemeinsamer Staatsanleihen (siehe Text oben).
Doch von den Eurobonds halten weder Deutschland noch die Niederlande und Österreich etwas. Sie sind hingegen dazu bereit, Italien große Geldsummen über den ESM zur Verfügung zu stellen, den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Die auf diese Weise bereitgestellten Gelder sind allerdings an Auflagen gebunden. Auflagen, die Italien angesichts der Schwere der Pandemie nicht erfüllen will. Italiens Regierung pocht auf EU-Solidarität und will nicht, sagt Vito Crimi von der Regierungspartei Fünf-Sterne-Bewegung, „wie Griechenland
vor einigen Jahren behandelt werden“.
Dass ausgerechnet die Deutschen der italienischen Forderung nach der Einführung der Eurobonds nicht nachkommen wollen, verärgert die Italiener. Das Verhalten der Bundesregierung wird als „arrogant“, so die Zeitung „il giornale“, als „unverschämt und unsolidarisch“, so „il Foglio“bezeichnet. Auch Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella scheint ähnlich zu denken. In einer denkwürdigen Ansprache zur Pandemie forderte er, ohne Namen zu nennen, die EU dazu auf, sich endlich solidarisch zu verhalten.
Jüngsten Umfragen zufolge sind rund 60 Prozent aller Italiener inzwischen EU-skeptisch. Sie fühlen sich missverstanden und schlecht behandelt von den europäischen Partnern. Dass Hilfe in der Not in den vergangenen Wochen aus Russland, China, Kuba und sogar dem armen Albanien kam, verschärfte die Vorurteile Deutschland gegenüber. Die Tatsache, dass Deutschland rund 500 schwer Erkrankte in deutsche Krankenhäuser holte und andere Hilfen zur Verfügung stellte, wird gern verschwiegen.
Vor diesem Hintergrund blühen die Vorurteile den Deutschen gegenüber, die zwar gern Urlaub in Italien machen, aber sonst wohl nicht viel vom Land halten. „Dumme Vorurteile“, so die liberale Zeitung „il Riformista“. Blätter wie dieses und zahlreiche liberale und sozialdemokratische Politiker weisen darauf hin, dass diese Vorurteile Früchte eines weit verbreiteten „vittimismo“seien, eines Verhaltens, sich ständig als Opfer zu sehen.
Kompromisse wollen Salvini und seine politischen Freunde nicht. Sie suchen offen die Konfrontation. Die von ihnen ständig verbreiteten Vorurteile der EU und Deutschland gegenüber breiten sich schnell aus – so schnell wie das Coronavirus.