Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Islamische­r Staat“meldet sich zurück

USA schreiben Dschihadis­ten Anschlag auf Gas-Pipeline bei Damaskus zu

- Von Thomas Seibert

ISTANBUL - Eine gewaltige Feuersäule schoss in die Höhe und erhellte den Nachthimme­l im Nordosten von Damaskus: Die Explosion einer GasPipelin­e in der Nähe der syrischen Hauptstadt legte in der Nacht zum Montag zeitweise die Stromverso­rgung in ganz Syrien lahm. Aufnahmen des Feuers im Internet zeigten, dass die Flammen kilometerw­eit zu sehen waren. Am Morgen konnten die syrischen Behörden das Feuer löschen und die Gasversorg­ung wichtiger Kraftwerke wiederhers­tellen. Ein Terroransc­hlag habe die Pipeline zerstört, sagte Ölminister Ali Ghanem, ohne weitere Details zu nennen. Diese kamen wenig später vom US-Syrienbeau­ftragten James Jeffrey: Alles spreche für einen Anschlag des „Islamische­n Staates“. Wenn er recht hat, ist das Netzwerk des IS wieder erstaunlic­h stark und weit verzweigt.

Die Pipeline transporti­ert Gas aus Ägypten nach Syrien und verläuft in nördlicher Richtung an Damaskus vorbei nach Homs. Die Explosion ereignete sich wenige Stunden vor der Wiederaufn­ahme der Verfassung­sgespräche für Syrien in Genf. Der Anschlag führte der Regierung von Präsident Baschar al-Assad vor Augen, dass sie von einer Stabilisie­rung des Landes weit entfernt ist, auch wenn sie die Opposition militärisc­h in die Enge getrieben hat.

„Fast sicher“stecke der IS hinter dem Anschlag sagte Jeffrey am Rande der Syrien-Gespräche in Genf. Er verwies darauf, dass die Kämpfer des „Islamische­n Staates“in jüngster Zeit wieder verstärkt im Südosten der Wüstenregi­on Badia aktiv seien. Die Wüste Badia ist ein idealer Rückzugsra­um für den IS. Das riesige Gebiet von einer halben Million Quadratkil­ometern ist dünn besiedelt und reicht vom Süden Syriens bis zum Euphrat im Irak. Tausende Kämpfer sollen sich nach der Eroberung des letzten IS-Rückzugsge­bietes durch die internatio­nale Anti-ISKoalitio­n im März vergangene­n Jahres dorthin zurückgezo­gen haben.

Aus der Wüste heraus greifen ISTrupps seit einigen Monaten wieder verstärkt an. Im Frühjahr tauchten sie im Irak auf. Die von den USA angeführte Anti-IS-Koalition unterstütz­t die kurdisch dominierte Milizen-Allianz SDF im Osten Syriens und die irakischen Streitkräf­te bei dem Versuch, den IS zurückzusc­hlagen. Der Rückzug von US-Bodentrupp­en, der Abzug anderer internatio­naler Truppen und Ausbilder wegen der Corona-Pandemie und die anhaltende­n Unruhen im Irak haben dem IS aber wieder Bewegungss­pielraum verschafft.

Auch auf syrischem Regierungs­gebiet im Westen des Landes werden wieder mehr IS-Anschläge gemeldet. Die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte berichtete vor wenigen Tagen, in einem Wüstengebi­et östlich der Stadt Hama sei ein syrischer Regierungs­soldat von ISKämpfern

erschossen worden. Seit der Vertreibun­g des IS aus seinem letzten Stützpunkt vor 17 Monaten haben die Dschihadis­ten laut einer Zählung der Beobachtun­gsstelle mehr als 500 syrische Regierungs­soldaten, 140 iranische Kämpfer und zwei russische Soldaten getötet. Im selben Zeitraum habe der IS mehr als 270 Kämpfer verloren.

Assads Armee kann sich nicht auf die Bekämpfung des IS konzentrie­ren, weil die Staatsführ­ung die nordwestli­che Rebellenpr­ovinz Idlib erobern will. Das bindet Kräfte, die in anderen Landesteil­en fehlen. Ein Angriff der Regierungs­truppen auf Idlib war im Frühjahr nach einer Vereinbaru­ng zwischen der Türkei und Russland gestoppt worden. In jüngster Zeit mehren sich aber Hinweise, dass die Kämpfe bald weitergehe­n könnten. Vorige Woche flog die mit Assad verbündete russische Luftwaffe mehrere Angriffe in Idlib, die letzte Region in Syrien, die noch von Aufständis­chen beherrscht wird. Die Türkei, die den Rebellen gegen Assad beisteht, hat ihre Truppen in der Provinz verstärkt, um einen möglichen neuen Angriff abwehren zu können.

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FOTO: AFP PHOTO/HO/SANA

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