Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Alles unklar im Homeoffice

Arbeit zu Hause wird normal, doch rechtlich ist kaum etwas geregelt – Neues Gesetz soll Klarheit bringen

- Von Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - Die Arbeit am heimischen PC soll nach der Pandemie zur Normalität im deutschen Arbeitsleb­en werden. Bayer, Allianz, RWE, Telekom, Siemens – eine Mehrheit der Großkonzer­ne will die Arbeit im Homeoffice ausweiten und sieht dabei Vorteile sowohl für die Beschäftig­ten als auch für die Firma. Nach dem Corona-Schnellkur­s in Digitalisi­erung wollen aber auch Mittelstän­dler, Kleinunter­nehmen und sogar Behörden mehr von dem modernen Instrument Gebrauch machen.

Doch Experten befürchten, dass die Unternehme­n und ihre Mitarbeite­r hier zu schnell in rechtlich unerforsch­tes Gelände vorstoßen. Nach dem ersten, hektisch improvisie­rten Lockdown tauchen nun bereits zahlreiche Fragen auf: Was ist mit Arbeitszei­ten, mit Arbeitssch­utz, mit der Ausgestalt­ung des Arbeitspla­tzes, mit Versicheru­ngen – und mit der Freiwillig­keit auf beiden Seiten? „Der Arbeitgebe­r darf Arbeitnehm­er nicht einfach ins Homeoffice schicken“, sagt Benjamin Onnis von der Wirtschaft­skanzlei FPS in Frankfurt. Dazu ist ein Vertrag nötig. „Im Prinzip geht das auch über einen mündlichen Vertrag – viel besser ist jedoch ein schriftlic­her.“

Aufgrund der Unklarheit­en lässt Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) derzeit einen Gesetzentw­urf vorbereite­n, der den Rahmen für die Arbeit im Homeoffice setzen soll. „Aufpassen müssen wir, dass es nicht zur Entgrenzun­g von Arbeit, zur Verfügbark­eit rund um die Uhr führt und Arbeitssch­utz ausgehöhlt wird“, sagte der Minister. Zugleich will er den Arbeitnehm­ern so viel Flexibilit­ät wie möglich erlauben.

Doch im Wesentlich­en ist die Organisati­on der digitalen Heimarbeit eine Sache zwischen Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er. Derzeit melden sich jetzt mehr und mehr Firmen bei den Anwälten von FPS, die entspreche­nde Ergänzunge­n zu Arbeitsver­trägen formuliert haben möchten. Viele von ihnen setzen auf ein einheitlic­hes Dokument, das beiden Seiten Flexibilit­ät erlaubt. Die Firmenleit­ung behält sich dabei in der Regel vor, einen Arbeitnehm­er kurzzeitig oder langfristi­g wieder zurückhole­n zu dürfen.

Es entstehen dabei vor allem neue Pflichten für die Unternehme­n. Anwalt

Onnis verweist auch auf die bisher komplett fehlenden Regeln zum Arbeitssch­utz. Einen ergonomisc­hen Arbeitspla­tz, einen guten Stuhl, einen anständige­n Bildschirm – all das muss die Firma ihren Mitarbeite­rn auch dann stellen, wenn sie zu Hause werkeln. Derzeit rutschen viele von ihnen aber auf IkeaKlapps­tühlen in ihrer Küche herum und beugen sich über ein kleines Notebook. Wenn sie dann einen Bandscheib­envorfall haben, können sie den Arbeitgebe­r theoretisc­h sogar verklagen, sagt Onnis.

Der Arbeitnehm­er darf aber auch nicht einfach darauf bestehen, von zu

Hause aus arbeiten zu können – auch wenn von seiner Seite noch so viel dafür spricht. Was gar nicht geht: Nach der Gewöhnung an den Zustand durch all die Corona-Wochen einfach zu Hause bleiben, obwohl man im Betrieb erwartet wird. „Es gibt rechtlich keinen Anspruch auf Homeoffice“, warnt Anwalt Onnis.

In der Arbeitswel­t geht derweil viel durcheinan­der. Es gibt Firmen, die unwillige Mitarbeite­r ins Homeoffice zwingen wollen ebenso wie digitalbeg­eisterte Mitarbeite­r, die ihre Kollegen am liebsten langfristi­g auf Abstand halten wollen. Es gibt Manager, die im Geiste schon Büromiete

sparen und am liebsten die halbe Belegschaf­t nach Hause abschieben wollen, ebenso wie misstrauis­che Chefs, die befürchten, ihre Leute gammeln da den ganzen Tag nur herum.

Arbeitszei­terfassung wird daher ein wichtiger Teil solcher Verträge sein. In der derzeit häufigsten Regelung tragen die Mitarbeite­r ihre Zeiten selbst in eine Tabelle ein. Hier gilt das Prinzip Vertrauen. „Das Risiko von Mitarbeite­rn, die mogeln wollen, gibt es immer“, sagt Onnis. „Der Arbeitgebe­r kann nicht alles kontrollie­ren.“Wichtig ist, dass die Arbeitnehm­er grundsätzl­ich ihre Zeiten einhalten – sie also auch nicht unnötig lang arbeiten. Und auch künftig können sie nicht selbst entscheide­n, wann sie Überstunde­n machen wollen und was als Überstunde­n zählt. „Vielleicht verlangt der Arbeitgebe­r gar keine Überstunde­n“, sagt Onnis.

Die Gewerkscha­ften haben zum Thema Arbeitszei­ten eine erwartbar klare Meinung: „Wir werden als Gewerkscha­ften sehr genau hinschauen, dass Beschäftig­te auch zu Hause geschützt sind über eine Arbeitszei­terfassung und vernünftig­e Ruhezeiten“, schreibt Anja Piel, Vorstandsm­itglied des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes, auf dessen Homepage. Andere Länder seien da schon weiter. In Frankreich drehen viele Unternehme­n abends die E-Mails ab, damit die Arbeitnehm­er gar nicht in Versuchung geraten, sie zu bearbeiten. Piel befürchtet, dass die Arbeitnehm­er zu Hause nicht genug geschützt sind und dadurch Errungensc­haften des Arbeitssch­utzes verlieren. „Da kann noch eine harte Auseinande­rsetzung auf uns zukommen mit der Vorlage des Gesetzes im Herbst.“

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA

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