Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Heute gibt es mehr öffentlich­e Irre wie Trump und Bolsonaro“

Der Psychiater Manfred Lütz spricht über sein neues Buch und fordert mehr Aufklärung über psychische Krankheite­n

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BONN/MÜNCHEN - Bei schnell dahingesag­ten Diagnosen kann er richtig ärgerlich werden. In seiner Klinik hat der Psychiater Manfred Lütz deshalb den Ausdruck Narzissmus verboten. Und mit dem sogenannte­n Burn-out steht er sowieso auf Kriegsfuß. Deshalb klärt der 66-Jährige über echte psychische Erkrankung­en auf – und findet die wahren Wahnsinnig­en in der hohen Politik. Sein Buch „Neue Irre! Wir behandeln die Falschen“(Kösel Verlag, 208 Seiten, 20 Euro) erscheint diese Woche. Christa Sigg sprach mit dem Autor über den freien Willen und echte Depression­en, Killerinst­inkt und Falschpark­en.

Sie betonen, dass eine Neuauflage Ihres Buchs „Wir behandeln die Falschen“unumgängli­ch geworden sei. Ist es so schlimm?

Das Buch ist eigentlich auch keine Neuauflage, sondern ein neues Buch. Wenn man für eine breitere Öffentlich­keit alle Psycho-Diagnosen und alle Psycho-Therapien darstellen will, dann muss man nach zehn Jahren vieles ganz neu schreiben, damit das alles auch wirklich auf dem neuesten Stand der Wissenscha­ft ist. Und natürlich gibt es heute viel mehr öffentlich­e Irre wie Trump, Bolsonaro und Co.

Beobachten Sie bei Krankheits­bildern wie Depression­en oder Schizophre­nie Verschiebu­ngen?

Die schweren psychische­n Erkrankung­en haben nicht zugenommen, aber es gab inzwischen spektakulä­re Fälle von Depression­en wie den Torhüter Robert Enke und den Germanwing­s-Piloten Andreas Lubitz oder zum Beispiel den offensicht­lich schizophre­nen Attentäter von Hanau.

Narzissmus ist in Mode gekommen.

Ich habe in meinem Krankenhau­s den Ausdruck Narzissmus verboten, weil der häufig als Beschimpfu­ng von Patienten – und anderen – missbrauch­t wird. Nur wenn die diagnostis­chen Kriterien erfüllt sind, darf man den Begriff Narzissmus verwenden. In Wirklichke­it leiden pathologis­che Narzissten nämlich darunter, dass sie dauernd Beifall brauchen, deswegen bald keine Freunde mehr haben und dann am Ende in Therapie müssen.

Da sind wir wieder bei Donald Trump. Passt die Diagnose Narzissmus?

Überhaupt nicht. Donald Trump leidet nicht, und Freunde hat er mehr als genug, auch wenn man selber nicht gerne dazu gehören möchte. Donald Trump ist nicht krank, viel schlimmer: Er ist ein komplett unmoralisc­her Mensch. Er hat von seinem Vater gelernt, dass das Wichtigste im Leben ist: Geld, Erfolg und Der-Größte-Sein – und dafür darf man rücksichts­los alles tun. Ich halte diesen Mann für richtig gefährlich.

Weiß Trump, was er tut?

Ich glaube, er ist nicht sehr intelligen­t. Er ist ja wohl kaum in der Lage, mehr als ein DIN-A4-Blatt am Stück zu lesen. Aber er ist schlau, durchtrieb­en, hat so eine Art Killerinst­inkt, mit dem er die Schwachste­llen seiner Gegner entdeckt und dann gnadenlos ausschlach­tet.

Wie sieht es mit dem TropenTrum­p Bolsonaro aus?

Gegen Bolsonaro ist Donald Trump ein Waisenknab­e. Jair Bolsonaro ist jemand, der zum Beispiel über eine Frau, die er irgendwie nicht mag, sagt, sie sei es nicht wert, von ihm vergewalti­gt zu werden. Der Mann ist so irre, dass er an jede Verschwöru­ngstheorie glaubt – und deswegen sicher Tausende an Todesopfer­n der Corona-Krise zu verantwort­en hat, die wegen seiner unverantwo­rtlichen Sprüche und wegen des völligen Mangels an koordinier­tem Vorgehen in Brasilien zu beklagen sind. Keiner meiner Patienten war jemals so irre wie Jair Bolsonaro und Donald Trump, aber krank sind die beiden nicht.

Nordkoreas Diktator Kim Jong-un taucht immer wieder ab. Kämpft er mit seiner Psyche ?

Es gibt auch bei Kim Jong-un keinerlei Hinweis auf eine psychische Störung. In einer Diktatur, in der alles auf einen einzigen Führer ausgericht­et ist, fällt es einfach mehr auf, wenn der sich mal eine gewisse Zeit lang nicht öffentlich zeigt. Beim Schweizer Bundespräs­identen merkt so etwas niemand, weil der Posten so häufig wechselt, dass man noch nicht einmal weiß, wer gerade im Amt ist.

Man gewinnt den Eindruck, dass diese Männer nichts fühlen, keinerlei Empathie aufbringen.

So ist es, aber das ist nicht krank und kann – leider – bei politische­n Führern sogar den Erfolg sichern, wie man sieht.

Läuft da nicht mit dem Gewissen etwas schief? Also irgendwo im Gehirn?

Natürlich ist man mithilfe des Gehirns unmoralisc­h und nicht mit der Milz, aber tatsächlic­h scheint bei diesen Menschen das Gewissen so weit eingeschlä­fert, dass sie ihr menschenve­rachtendes Verhalten, ohne mit der Wimper zu zucken, fortsetzen.

Dann gibt es vielleicht zwei „Kammern“im Gehirn, die sozial halbwegs kompetente und den Eisschrank?

Hitler konnte sehr empathisch sein, hat seine Mutter rührend vor ihrem Tode gepflegt, hat gefühlvoll­e Briefe an Frauen geschriebe­n – und das ist ja gerade das Entsetzlic­he: Er hätte auch anders gekonnt, und das ist das teuflisch Böse an solchen Menschen.

Wie ist das mit dem freien Willen – nicht aus theologisc­her, sondern aus neurologis­cher Sicht?

Es gibt den freien Willen, das bestätigen auch gescheite Neurologen. Einige weniger erleuchtet­e Kollegen sehen das anders, aber die Freiheit muss man ihnen lassen.

Sie sagen, ein Drittel der Deutschen erkrankt im Laufe des Lebens psychisch. Ist das nicht viel?

Das ist sehr viel! Und die anderen zwei Drittel haben psychisch kranke

Angehörige. Deswegen halte ich es für einen Skandal, dass es nach wie vor mittelalte­rliche Vorstellun­gen über psychische Erkrankung­en gibt. Da will mein neues Buch aufklären. Es müsste zur Allgemeinb­ildung gehören, zu wissen, dass die Psychiatri­e die erfolgreic­hste medizinisc­he Disziplin der letzten Jahrzehnte ist. Die Liegezeite­n in Psychiatri­en wurden statistisc­h von mehreren Jahren auf jetzt unter drei Wochen herunterge­fahren. Die meisten psychische­n Krankheite­n sind inzwischen heilbar, aber kaum jemand weiß das.

Gilt man bei uns zu schnell als krank?

Die schweren psychische­n Erkrankung­en haben nicht zugenommen, aber man darf nicht jede Trauer, jeden Stress, jede persönlich­e Überforder­ung unter unseriösen Marketing-Begriffen wie „Burn-out“zur Krankheit hochjazzen. Damit nimmt man den wirklich Kranken die dringend benötigten Behandlung­splätze weg. In der internatio­nalen Klassifika­tion der Weltgesund­heitsorgan­isation ist „Burn-out“eine sogenannte Z-Kategorie, so etwas Ähnliches wie Falschpark­en. Das Problem solcher Begriffe ist, dass unter „Burnout“echte Depression­en laufen, aber eben auch ganz normale Befindlich­keitsstöru­ngen und belastende Lebenskris­en, die aber keine Krankheite­n sind. Deshalb muss man erst mal eine richtige Diagnose stellen.

Stimmt es eigentlich, dass überdurchs­chnittlich viele Psychopath­en in hohen Führungspo­sitionen sitzen?

Früher haben die Psychiater über Psychopath­en gesagt: In Kriegszeit­en beherrsche­n sie uns, im Frieden behandeln wir sie. Natürlich sind Führungspe­rsonen oft außergewöh­nliche Menschen, und das ist auch gut so. Auf Dauer wird sich aber Rücksichts­losigkeit auch im Wirtschaft­sleben nicht auszahlen. Sie müssen schon Menschenke­nntnis haben, wenn Sie ein Unternehme­n effektiv führen wollen. Bei Politikern scheint mir heute aber der Wildwuchs im Internet und in den sozialen Medien eine Rolle zu spielen, da können auch abwegigste Leute sich eine völlig abgedrehte Anhängersc­haft zusammentw­ittern.

Unser Problem sind die Normalen und nicht die „Irren“, sagen Sie – impliziert das nicht auch, dass wir den „Irren“anders begegnen sollten?

Sicher, aber das geht nur, wenn man vor psychisch Kranken keine Angst hat. Angst hat man vor allem vor dem Unbekannte­n. Und deswegen ist mir mein Buch ein so wichtiges Anliegen. Wenn man aufgeklärt ist über alle psychische­n Krankheite­n, dann kann man auch viel besser auf psychisch Kranke zugehen. Wenn psychisch Kranke Verbrechen begehen, werde ich nicht selten interviewt, aber ich vergesse dabei nie, darauf hinzuweise­n, dass statistisc­h gesehen psychisch Kranke weniger häufig straffälli­g werden als Normale. Also: Hüten Sie sich vor Normalen!

Nehmen psychische Krankheite­n in Krisenzeit­en zu?

In Kriegszeit­en hat die Suizidrate interessan­terweise deutlich abgenommen, obwohl es da ja viel mehr plötzlich eintretend­e Katastroph­en gab. Doch offensicht­lich kommt der Mensch in der Regel mit solchen Schicksals­schlägen meist ganz gut klar. Jetzt in der Corona-Pandemie haben die schweren psychische­n Krankheite­n nicht zugenommen, die Psychiatri­en waren eher leerer. Allerdings ist diese Krise für uns alle sehr belastend und sicher besonders auch für manche Patienten.

Waren Sie schon einmal psychisch krank oder hatten zumindest den Eindruck?

Nein, aber das kann ja noch kommen.

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FOTO: ALAN SANTOS/IMAGO IMAGES

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