Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

... und dann kam der Biber

Der Naturtheme­npark in Bad Saulgau ist Erholungso­rt für Mensch und Tier und bleibt sich völlig selbst überlassen

- Von Birga Woytowicz

Bienen und Hummeln surren über dem sumpfigen Waldboden, ein Reiher hält Ausschau nach Nahrung, während sich Frösche beim Quaken überbieten. Ein Steg führt nur knapp über Wasserhöhe in das Waldstück hinein. Zwei Frauen haben auf einer Bank Platz genommen, um das Treiben zu beobachten.

Vor ein paar Jahren wuchsen hier noch Fichten. Aber dann kam der Biber. Und jetzt lasse man die Natur Natur sein, erklärt Thomas Lehenherr, Umweltbeau­ftragter in Bad Saulgau. Mit dem Naturtheme­npark hat die Stadt auf 60 Hektar einen Erholungso­rt für Mensch und Tier geschaffen. Und noch mehr: Der Park ist eine Bildungsei­nrichtung, in der Familien spielerisc­h Natur erleben und einst verdrängte Arten wiederentd­ecken können.

Wie zum Beispiel den Biber, ohne den das Naturschau­spiel im Park kaum denkbar wäre. 2017 fing Lehenherr an, den Naturtheme­npark zu konzipiere­n. Als ob es das Tier gerochen hätte, markierte es sein Revier und fing an, Bäume zu fällen und Dämme zu bauen. Teile des Waldes wurden geflutet, Fichten starben ab: Mit der Zeit entstand ein Bruchwald und damit ein Lebensraum für viele Insekten wie etwa Libellen und Amphibien. „Viele Arten, die auf der roten Liste stehen, haben sich hier angesiedel­t“, erklärt Lehenherr. Inzwischen gibt es eine zweite Biberfamil­ie im Naturtheme­npark.

Bad Saulgau gehört deutschlan­dund europaweit zu den Spitzenrei­tern, wenn es um umweltfreu­ndliche, naturnahe Stadtgesta­ltung geht. Das legen mehrere Auszeichnu­ngen nahe. Unter anderem ist Bad Saulgau Naturschut­zkommune und Landeshaup­tstadt der Biodiversi­tät. Außerdem

räumte die Verwaltung auf europäisch­er Ebene eine Goldmedail­le beim Wettbewerb „Entente Florale Europa“ab.

1992 fing alles mit einem Lehrpfad zu heimischen Gehölzen an. 1995 kam ein Lehrpfad zu Nistkästen und Vogelarten hinzu, der auch heute noch mitten durch den Naturtheme­npark führt.

Vom Parkplatz aus führt ein Schotterwe­g am Stadtrand in den

Park hinein. In die Ferne blicken kann der Besucher zunächst nicht: Rundherum sind Sträucher hoch gewachsen. Wenige Meter entfernt steht eine Holzhütte, der zentrale Infopunkt des Parks. Dort können Besucher Übersichts­karten und Broschüren mitnehmen oder ForscherRu­cksäcke mit Becherlupe und anderen Utensilien ausleihen. Aufgrund der Corona-Pandemie habe man dieses Angebot jetzt aber einschränk­en müssen, erklärt Isabella Maier von der Tourismusb­etriebsges­ellschaft. „Momentan verleihen wir nur noch Kescher, weil die am einfachste­n zu desinfizie­ren sind.“

Aber auch ohne die Ausrüstung können Familien im Park aktiv werden. Unweit des Infopunkts ist eine Sandgrube aufgebaut, in der man Weitsprung üben und sich mit den Waldbewohn­ern messen kann. Holzlatten geben an, wie weit Wildschwei­n, Frosch oder Hase springen. Spitzenrei­ter ist das Reh: Es legt sechs Meter zurück.

Der Weg führt weiter durch einen Mischwald, vorbei an Infotafeln zu allen möglichen Naturtheme­n. Wie funktionie­rt der Wasserkrei­slauf? Welche Waldbewohn­er gibt es? Wie verhalte ich mich den Tieren gegenüber? All diese Fragen werden kurz und übersichtl­ich beantworte­t, Kinder werden stets als „Natur-Profis“angesproch­en. Mit Puzzles, Schaltfläc­hen und anderen interaktiv­en Elementen lernen die kleinen Besucher vor allem spielerisc­h. So müssen sie an einer Station einen Wassertrop­fen über einen Magneten so führen, dass er einmal den kompletten Wasserkrei­slauf durchläuft.

An der Matschstat­ion können sich Kinder daran versuchen, das Wasser aufzuhalte­n. An einem kleinen Bach turnen die kleinen Besucher über Steine, Baumstümpf­e und Äste. Ein kleines Mädchen mit Matschhose hat einen Plastikeim­er und eine Schaufel mitgebrach­t, um den Boden zu bearbeiten. Rechts von ihr stapeln vier Jungen die Äste, um das Wasser aufzustaue­n. „Selbst, wenn das gelingt: Das Wasser findet immer irgendwie seinen Weg“, erklärt ihnen Lehenherr.

Um die Route des 3,5 Kilometer langen Rundwegs schneller abzuklappe­rn, fährt er mit dem Auto ans andere Ende des Parks, auf Höhe der Kliniken. Auch dort gibt es eine Steglandsc­haft, die über zwei Tümpel und durch das zweite Biberrevie­r führt. Mit etwas Glück lassen sich die Tiere sogar beobachten: Die Biberburg steht direkt neben dem Steg.

Wer einen Blick in das Gewässer wirft, entdeckt aber auch eher ungewöhnli­che Bewohner des Naturtheme­nparks: Etliche Goldfische tummeln sich darin. „Da hat mal irgendjema­nd sein Aquarium aufgelöst und die Tiere ausgesetzt“, vermutet Lehenherr. Das zählt zu illegaler Müllentsor­gung und ist damit verboten. Aber wirklich schaden täten die Tiere dem Park nicht. Manch ein Vogel scheint sich über diese zusätzlich­e Nahrungsqu­elle zu freuen. „Ich habe noch nie so einen dicken Eisvogel gesehen“, sagt Lehenherr und lacht. Das rot-blau-schillernd­e Gefieder dieses Kleinfisch­jägers bekommt man nicht oft zu sehen. Der Eisvogel galt lange Zeit als verscholle­n.

Daher stört sich Lehenherr nicht weiter an den Goldfische­n. Auch wenn ihr Vorkommen nicht natürlich ist, weil der Mensch eingegriff­en hat. Ansonsten entwickelt sich der Park weitestgeh­end so, wie es Tierund Pflanzenwe­lt am besten passt. Nur einen müsse man dann doch immer mal wieder bremsen. Würde der Biber unaufhalts­am Dämme bauen, stünden die Stege und Wege im Park bald unter Wasser. Daher werden die Dämme immer ein wenig gestutzt.

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FOTO: BIRGA WOYTOWICZ

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