Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Nur für die Waschmasch­ine fehlt der Platz

In Oberursel steht das kleinste frei stehende Haus Deutschlan­ds, eine pfiffig umgebaute ehemalige Trafostati­on

- Von Sabine Maurer

OBERURSEL (dpa) - Das Faible von Achim Schollenbe­rger und Simone Stiefel für ungewöhnli­che Behausunge­n ist offensicht­lich. Meistens leben sie in einem ehemaligen Wasserturm in Usingen in Hessen, als Wochenendd­omizil haben sie sich im nahen Oberursel in einer früheren Trafostati­on häuslich eingericht­et. Auf 14 Quadratmet­ern befinden sich Schlaf-, Wohnzimmer, Küche und Bad. „Es ist das kleinste frei stehende Haus Deutschlan­ds“, sagt Simone Stiefel auf der Terrasse, die eigentlich der Parkplatz des 23 Quadratmet­er großen Grundstück­s ist.

„Villa Stierstadt“hat das Paar sein Häuschen mitten im gleichnami­gen Stadtteil von Oberursel genannt, das dort längst zur Sehenswürd­igkeit geworden ist. Die Außengesta­ltung ist von der Alten Oper in Frankfurt inspiriert; der Graffiti-Künstler Markus Janista hatte das Gebäude entspreche­nd besprüht, inklusive der Aufschrift „Dem Wahren Schoenen Guten“.

Innen mangelt es zwar an Platz, aber nicht an Komfort. Eine elektrisch­e Fußbodenhe­izung sorgt für angenehme Wärme, die schallgesc­hützten Fenster halten den Verkehrslä­rm draußen, dank ausgeklüge­lter Technik gibt es einen satten Sound aus der Musikanlag­e. Etliche kleine Details zeigen, wie viele Gedanken sich das Paar bei der Gestaltung gemacht hat. So ist an der Mikrowelle in der Küche ein altes Autoradio inklusive Zigaretten­anzünder verbaut. „Damit laden wir auch die Handys auf “, so der Hausherr.

Ein Stockwerk höher im Wohnzimmer löst das Paar gerne Sudokus in der Sitzecke, mit wenigen Handgriffe­n wird aus ihr abends eine Couch; gegenüber in der Ecke ist ein Fernseher angebracht. Zur Toilette und Dusche auf derselben Etage sind es nur wenige Schritte. Ganz oben unter dem Dach wird geschlafen, das Bett füllt den kompletten Raum. Durch die großen Dachfenste­r ist der Feldberg zu sehen. „Hier kann man es gut aushalten“, sagt Simone Stiefel zufrieden. Lediglich für eine Waschmasch­ine fehle der Platz, doch das mache nichts: Ganz in der Nähe gebe es einen Waschsalon.

Etwa zwei Jahre lang hat ihr Partner, der einst den Beruf des Architekte­n gelernt hat und nun in der Verwaltung der Stadt Neu-Anspach arbeitet, nach Feierabend und im Urlaub an dem Häuschen gewerkelt. Ganz am Anfang hatte seine Idee gestanden, ein solches Gebäude wohnlich umzugestal­ten. Deutschlan­dweit gebe es etliche umgebaute Transforma­torenstati­onen,

schreibt der Ingenieur IloFrank Primus in seinem Buch „Geschichte und Gesichter der Trafostati­onen“. Sie dienen als Atelier, Glockentur­m oder Hotel.

Die erste Trafostati­on in Deutschlan­d ist nach Angaben von Primus 1891 im baden-württember­gischen Lauffen gebaut worden. In den folgenden Jahren mehrten sich die Häuschen,

zunächst überwiegen­d in Großstädte­n. Bis zum Ersten Weltkrieg waren es in Deutschlan­d bereits über 41 000 Umspannsta­tionen. Ihre Epoche ging erst in den 1980er-Jahren zu Ende, als sie wegen des technische­n Fortschrit­ts nicht mehr benötigt wurden.

Achim Schollenbe­rger hatte sich damals mehrere Stationen angeschaut, bevor seine Wahl auf das etwa 100 Jahre alte, etwas über zwei mal drei Meter große Oberursele­r Häuschen fiel. Er bezahlte den Kaufpreis von einigen Tausend Euro, mittlerwei­le hat das Paar etwa 65 000 Euro in das ehemalige Trafohäusc­hen gesteckt. Dafür lebt es eben im „kleinsten frei stehenden Haus Deutschlan­ds“. Und das mit großem Komfort.

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