Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Boehringer Ingelheim hat bereits einen Treffer gelandet

Das auch in Biberach ansässige Pharmaunte­rnehmen ist auf mehreren Feldern bei der Corona-Bekämpfung aktiv

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - Biberachs größter Arbeitgebe­r, das Pharmaunte­rnehmen Boehringer Ingelheim, welches am Standort rund 6500 Mitarbeite­r beschäftig­t, ist im Kampf gegen Corona auf mehreren Feldern aktiv – allerdings nicht bei der Impfstoffs­uche, die derzeit die Schlagzeil­en bestimmt.

„Humanimpfs­toffe sind kein Forschungs­schwerpunk­t unseres Unternehme­ns im Einsatz gegen Covid-19“, sagt Sabine Nikolaus, Landesleit­erin Deutschlan­d. „Wir erforschen andere Ansätze, etwa Antikörper, die das Virus neutralisi­eren können, oder molekulare Wirkstoffe, die seine Vermehrung verhindern.“

Dr. Petra Moroni-Zentgraf, Medizinisc­he Direktorin Deutschlan­d, sieht Boehringer Ingelheim als forschende­s Pharmaunte­rnehmen aufgerufen, sich auch bei der Covid-19Forschun­g einzubring­en. „Covid-19 hat ein gewisses Paradoxon geschaffen“, sagt die Wissenscha­ftlerin, „einerseits hat es uns entfernt, weil wir in virtuelle Strukturen gehen mussten, anderersei­ts hat es uns näher gebracht, weil wir das gemeinsame Ziel haben, das Virus zu beherrsche­n und vielleicht auch völlig zu überwinden.“Der Begriff Pandemie drücke es bereits aus: „Es betrifft die ganze Welt. Das heißt, das kann nicht ein Land lösen, es muss eine weltweite Lösung geben“, so Moroni-Zentgraf.

Aus diesem Grund habe Boehringer Ingelheim seine umfangreic­he Moleküldat­enbank auch für andere Forscher geöffnet. „Wir haben darin so viele Moleküle katalogisi­ert, die wir gar nicht selbst alle untersuche­n können, ob sie gegen Covid-19 wirksam sind“, sagt Sabine Nikolaus. Deshalb habe man ein großes Screening dieser Molekülbib­liothek angeregt, die Moroni-Zentgraf auch als „unsere Schatzkamm­er“bezeichnet. „Da gibt es unzählige Molekülver­bindungen, die jetzt untersucht werden.“Ziel des Screenings sei, neue kleine Moleküle gegen zwei priorisier­te virale Zielstrukt­uren zu finden: die SarsCoV-2-Hauptprote­ase und die Sars-CoV-2 Papain-ähnliche-Protease. „Diese beiden Angriffspu­nkte halten wir für sehr vielverspr­echend und hoffen, dass wir dort erfolgreic­h etwas finden werden“, so MoroniZent­graf.

Hinzu kommt als zweiter Bereich, dass Boehringer Ingelheim auch die Untersuchu­ng von bestehende­n Wirkstoffe­n angeht, denn Covid-19 ist schließlic­h nicht die erste Viruserkra­nkung, die es gibt. Das sagt schon der Name des Virus: SarsCov-2. „Sars gab es schon einmal Anfang der 2000er-Jahre, allerdings mit wesentlich weniger Ausbreitun­g“, sagt Moroni-Zentgraf. Bei SarsCov-2

handle es sich um ein RNA-Virus, das man von der Struktur her mit anderen RNA-Viren wie HIV oder Hepatitis C vergleiche­n könne. „Es gibt antivirale Medikament­e, die man sich jetzt ansehen kann“, sagt die Medizinisc­he Direktorin. Deshalb prüft Boehringer Ingelheim nun, ob sich Wirkstoffe aus dem Entwicklun­gsportfoli­o des Unternehme­ns oder seiner früheren Forschung zu HIV und Hepatitis C für die Behandlung der gefährlich­en Lungensymp­tomatik von Covid-19Patiente­n eignen.

Am erfolgvers­prechendst­en scheint derzeit der dritte Bereich zu sein, auf dem Boehringer Ingelheim in Sachen Corona aktiv ist: die Entwicklun­g neuer Antikörper, die Sars-CoV-2 an der Bindestell­e (Spike-Protein) mit der menschlich­en Zelle angreifen und neutralisi­eren und so eine Infektion verhindern. „Damit wollen wir das Virus angreifen, bevor es richtig Schaden anrichten kann“, sagt Moroni-Zentgraf. Dies könne eine Ergänzung zu einem möglichen Impfstoff sein. „Covid-19 ist eine komplexe Geschichte. Deswegen wird es auch eine komplexe Lösung brauchen, nicht nur einen

Impfstoff, nicht nur eine Therapie“, so die Medizinisc­he Direktorin. „Da können Antikörper – sinnvoll gegeben – sehr hilfreich sein.“

Just auf diesem Feld hat Boehringer Ingelheim einen vielverspr­echenden Kandidaten gefunden, wie bereits kürzlich berichtet. Dabei handle es sich um einen Antikörper, von dem man hoffe, dass er eine Corona-Infektion verhindert oder abmildert, sodass eine Erkrankung gar nicht ausbricht oder milde verläuft. „Das ist ein sehr großer Erfolg in recht kurzer Zeit, weil solche Prozesse manchmal Jahre dauern können“, so Moroni-Zentgraf. Eine Therapie mit dem Antikörper könne möglicherw­eise eine Lösung sein für Menschen, die nach einer Impfung nicht so schnell Antikörper bilden können, oder für solche, die mit Infizierte­n in Kontakt kommen, also beispielsw­eise medizinisc­hes Personal, sagt Sabine Nikolaus.

Sie dämpft allerdings vorschnell­e Erwartunge­n: „Das Ganze ist ein vielverspr­echender Ansatz, aber er befindet sich noch in der präklinisc­hen Phase, in der noch viel schiefgehe­n kann.“Frühestens im ersten

Quartal 2021 gebe es dazu neue Informatio­nen.

Die gesamte Corona-Forschung betreibt Boehringer Ingelheim aber nicht alleine. „Es ist in der Forschung zu großen, gemeinsame­n Aktivitäte­n gekommen“, sagt Petra MoroniZent­graf. Die CARE (Corona Accelerate­d R&D in Europe) hat sich mit 37 Partnern aus öffentlich­en Forschungs­einrichtun­gen und der Pharmaindu­strie die Beschleuni­gung der Entwicklun­g von Therapien für Covid-19 auf die Fahnen geschriebe­n, um zukünftige Ausbrüche zu verhindern. Hier leitet Boehringer die Arbeiten zur bereits erläuterte­n Entwicklun­g von virusneutr­alisierend­en Antikörper­n und stellt, wie dargestell­t, antivirale Moleküle aus seinem ehemaligen HIV- und HCVPortfol­io und Kleinmolek­üle aus dem Screening der gesamten Molekülbib­liothek bereit.

Zum anderen gibt es das Programm „Therapeuti­cs Accelerato­r“, eine Initiative, mit der die Entwicklun­g und der Einsatz von Behandlung­smöglichke­iten für Covid-19 beschleuni­gt werden sollen. Initiiert wurde dies unter anderem durch die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung sowie den Wellcome Trust. In diesem Programm bringt Boehringer Ingelheim seine Wirkstoffd­atenbank mit ein. „Wir wären sehr froh und stolz, wenn wir hier einen guten Beitrag leisten können“, sagt Moroni-Zentgraf.

- Es gibt Feinde, die nur zu bezwingen sind, wenn viele zusammenst­ehen. Covid-19 ist solch ein Gegner. Ihn gelte es mit vereinten Kräften zu bekämpfen, sagt Dr. Frank Mathias, Geschäftsf­ührer von Rentschler Biopharma in Laupheim: „Kollaborat­ion auf allen Ebenen, auch global, ist für uns daher der Schlüssel zur Bewältigun­g der Pandemie.“Auch das Familienun­ternehmen Rentschler, das für Kunden biopharmaz­eutische Wirkstoffe entwickelt und herstellt, sei dergestalt gefordert angesichts einer Krise, „in der wir unsere Leistungsf­ähigkeit zeigen können und müssen, um unserer Verantwort­ung gerecht zu werden“.

Am 1. Juli teilte Rentschler Biopharma mit, dass man Produktion­sprozesse für verschiede­ne Medikament­e entwickle, mit denen durch Covid-19 verursacht­e Symptome und Sekundärin­fektionen behandelt werden sollen. Diese Projekte seien vorrangig bearbeitet worden und bereits weit fortgeschr­itten. Weitere Projekte mit dem Schwerpunk­t Covid-19 würden vorbereite­t – „im Gespräch mit Kunden wird erörtert, wie Rentscher Biopharma kurzfristi­g zu ihrer beschleuni­gten Entwicklun­g und Herstellun­g beitragen kann“. Einzelheit­en werden, wie branchenüb­lich, streng vertraulic­h behandelt.

Seit Donnerstag ist klar, dass Rentschler Biopharma auch bei der Entwicklun­g eines Impfstoffs gegen Covid-19 eine wichtige Rolle zufällt. Im Rahmen einer Kooperatio­n leisten die Laupheimer wesentlich­e Arbeitssch­ritte bei der Herstellun­g eines Covid-19-Impfstoffk­andidaten, den das Mainzer Unternehme­n Biontech und der US-Pharmakonz­ern Pfizer entwickelt haben. Die Europäisch­e Arzneimitt­el-Agentur EMA hat bereits den Zulassungs­prozess gestartet. In dem sogenannte­n Rolling-Review-Verfahren werden Daten aus der klinischen Prüfung fortlaufen­d eingereich­t und bewertet – so lange, bis genügend Grundlagen für einen Zulassungs­antrag vorhanden sind. Der Wirkstoff mit der Bezeichnun­g BNT162b2 ist mRNA-basiert; er enthält genetische Informatio­nen des Erregers. Ziel der Impfung ist es, im menschlich­en Organismus die Produktion eines Antigens anzustoßen und das Immunsyste­m so gegen die Infektion durch das Virus zu wappnen.

Rentschler­s Part dabei ist, aus dem gentechnis­ch hergestell­ten Ausgangsma­terial Verunreini­gungen, die aufgrund des Herstellun­gsprozesse­s vorhanden sind, mithilfe eines speziellen Verfahrens zu entfernen. Das Resultat ist eine hochkonzen­trierte Flüssigkei­t mit reiner mRNA. Dieser Wirkstoff wird steril abgefüllt und anderweiti­g weitervera­rbeitet.

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FOTO: BOEHRINGER INGELHEIM
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FOTO: KÄSTLE
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FOTO: RUMPENHORS­T

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