Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Rentner bestiehlt seinen blinden Freund

69-Jähriger plündert Münzsammlu­ng – Wert: 167 000 Euro – Mit dem Geld machte er Urlaub mit seiner Frau

- Von Sophia Huber

NEU-ULM - Der Mann mit dem lichten Haar und dem olivgrünen Parka steht auf, seine Hände zittern, er verzieht sein Gesicht und schluchzt: „Glaube mir, es tut mir alles so leid. Ich würde es so gerne rückgängig machen.“Die angesproch­ene Person kann nicht sehen, dass der Angeklagte sich in ihre Richtung dreht, denn der Mann im Zeugenstuh­l ist blind.

Die Sehbehinde­rung des Mannes hat der Angeklagte aus dem Landkreis Günzburg ausgenutzt, indem er ihn mehrmals bestohlen hat. Vor dem Neu-Ulmer Amtsgerich­t wurde der 69-Jährige wegen Wohnungsei­nbruchsdie­bstahls zu zwei Jahren Freiheitss­trafe auf Bewährung verurteilt. Das Urteil ist rechtskräf­tig.

Vor drei Jahren ist der Rentner mehrmals mithilfe eines nachgefert­igten Schlüssels in das Haus des blinden Mannes eingebroch­en und stahl Münzen und Schmuck im Wert von etwa 167 000 Euro. Wie es dazu kam, erklärt der geständige Mann dem Schöffenge­richt. Vor ein paar Jahren habe er den gleichaltr­igen Mann aus dem Landkreis Neu-Ulm auf einer Baustelle kennengele­rnt. Später bot er ihm seine Hilfe an, der sehbehinde­rte Bekannte konnte diese gebrauchen. „Ich habe ihm bei den Hausarbeit­en geholfen, ihn zum Arzt gefahren und ja, er hat sich bei mir geborgen gefühlt“, erzählt der 69-Jährige aus dem Kreis Günzburg. Er sei in Rente gewesen und hatte viel Zeit, außerdem bekam er zwischen 50 und 100 Euro am Tag für seine Hilfe. „Wir hatten eine sehr enge Beziehung. Es ist eine echte Freundscha­ft daraus geworden“, sagt der Mann, seine Augen füllen sich wieder mit Tränen.

Er kannte jede Ecke im Haus des blinden Mannes, jede Schublade, jeden Schrank. Er wusste, wo der Sammler seine Münzen aufbewahrt. Die wertvollst­en in einem 1,20 Meter hohen Safe, die weniger wertvollen in einem Wandschran­k. „Ich habe ihm nach dem Tod seiner Frau sogar beim Sortieren und Ausräumen geholfen. Ich wusste also, was wo liegt. Deswegen kann ich erst recht nicht mehr nachvollzi­ehen, warum ich das so schamlos ausgenutzt habe“, gibt der Beschuldig­te zu.

Zwischenze­itlich, Ende 2016, sei seine Frau schwer krank geworden, finanziell sah es nicht gut aus und der Ehemann hatte eine Idee: „Ich wollte meiner Frau etwas bieten und noch einmal mit ihr in den Urlaub fahren. Ich hatte so Angst, dass wir nicht mehr viel Zeit haben.“Der 69-Jährige ließ sich den Schlüssel zum Eingangsto­r seines Freundes nachmachen, öffnete bei einem seiner Besuche heimlich das Toilettenf­enster und stieg im Januar 2017 das erste Mal in die Wohnung des kranken Mannes ein.

Laut Staatsanwa­ltschaft stieg der Dieb von Januar bis März 2017 dreimal ein und nahm jeweils einen Korb voll Münzen mit. Diese verkaufte er nach und nach weiter. Und dabei stellte er sich keineswegs wie ein Profi an: „In einem Einkaufsko­rb habe ich die Münzen zu Sammlern oder Ankäufern gebracht. Manchmal habe ich sie auf dem Flohmarkt verkauft“, so der 69-Jährige. Für die Münzen bekam er jeweils zwischen zehn und 15 000 Euro. Davon schenkte er einen Teil seinen Kindern und Enkeln, vom Rest gönnte er seiner Frau und sich Urlaubswoc­henenden. Der Wert der Münzen, die auch aus dem Kaiserreic­h oder der NS-Zeit stammten, lag bei 167 000 Euro, der ideelle Wert sei zwei- bis dreimal höher.

Diesem ist erst nach dem dritten Diebstahl aufgefalle­n, dass sein Safe mit den Goldmünzen leer war und die Silbermünz­en aus dem Schrank ebenfalls fehlten. Er rief seinen damals guten Freund an, doch bevor er seiner Wut Luft machen konnte, sagte dieser: „Beschuldig­e niemanden zu Unrecht, ich war es. Ich habe die Münzen gestohlen.“

Der Blinde tobte. „Das war meine komplette Altersvors­orge“, sagt der Geschädigt­e. Die Entschuldi­gung des reumütigen Diebes will der blinde Mann nicht annehmen, über die Strafe schüttelt er den Kopf. Neben dem Wertersatz muss der Verurteilt­e 80 Stunden gemeinnütz­ige Arbeit leisten und 1500 Euro an einen Förderkrei­s zahlen.

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