Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Thyssenkrupp vor Verkauf seiner Stahlsparte
Der britische Konzern Liberty Steel legt ein Angebot für den Geschäftsbereich des Essener Traditionsunternehmens vor
LONDON/ESSEN (dpa) - „Unser Herz aus Stahl muss weiterschlagen“steht auf einem Transparent. „Staatsbeteiligung jetzt!“auf einem anderen. Fast 3000 Stahlarbeiter versammelten sich laut IG Metall am Freitag trotz Corona zu einer Kundgebung auf der Rheinwiese in Düsseldorf. In Sichtweite des nordrhein-westfälischen Landtags forderten sie lautstark einen Einstieg der öffentlichen Hand beim ums Überleben kämpfenden Essener Traditionsunternehmen Thyssenkrupp. „Stahl ist Zukunft“, skandierten sie immer wieder.
Doch genau das ist derzeit alles andere als gewiss. Denn die Stahlsparte
von Thyssenkrupp verbrennt das Geld im Rekordtempo. Der Konzern kann das nicht lange überleben. Rasche Hilfe tut not. Doch wie sie aussehen soll, ist ungewiss. Das zeigte sich am Freitag wie in einem Brennglas. Denn während sich die Stahlarbeiter noch auf dem Weg zur Kundgebung befanden, überraschte der britische Stahlkonzern Liberty Steel die Branche mit einem Übernahmeangebot für die Stahlsparte von Thyssenkrupp.
Es gebe viel Potenzial, da sich die Unternehmen gut ergänzten, begründete der britische Konzern seine Offerte in London. Zum möglichen Kaufpreis machte er allerdings keine Angaben. Thyssenkrupp betonte, das Angebot werde nun sorgfältig geprüft. Die Gespräche mit anderen potenziellen Partnern würden fortgesetzt. „Unser Ziel ist es, das Stahlgeschäft nachhaltig zukunftsfähig zu machen. Es kommt für uns darauf an, dafür die beste Lösung zu finden.“
Liberty Steel beschäftigt nach eigenen Angaben rund 30 000 Menschen und ist in zehn Staaten aktiv. Der Jahresumsatz lag zuletzt bei umgerechnet rund 13 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Thyssenkrupps Stahlsparte kam im Geschäftsjahr 2018/19 auf rund neun Milliarden Euro Umsatz und hat 27 000 Mitarbeiter.
Bei der IG Metall stieß das Angebot der Briten allerdings auf wenig Gegenliebe. „Wir brauchen keinen neuen Eigentümer, sondern zusätzliches Kapital – und das hat Liberty auch nicht“, sagte das IG-Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner. Eine Übernahme durch Liberty löse keines der Probleme von Thyssenkrupp.
Vor den demonstrierenden Stahlarbeitern bekräftigte Kerner denn auch: „Wir brauchen den Staatseinstieg bei Thyssenkrupp – und zwar jetzt.“Bis Weihnachten müsse die Entscheidung gefallen sein. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zeigte sich bei seinem Auftritt vor den Stahlarbeitern allerdings erneut wenig begeistert von der Idee eines Einstiegs von Bund oder Land bei dem Stahlriesen. Zwar betonte er: „Thyssenkrupp gehört zur DNA von Nordrhein-Westfalen.“Stahl sei systemrelevant und müsse auch weiter in
NRW produziert werden. Und er hob die Bereitschaft der öffentlichen Hand hervor, den Konzern beim Übergang zu „grünem Stahl“in den nächsten Jahren finanziell zu unterstützen. Doch bekräftigte er auch seine Vorbehalte gegen einen Staatseinstieg: „Ich glaube nicht, dass Politiker die besseren Unternehmer sind.“
Mit dem Verkauf der Stahlsparte würde sich der Konzern von seinen Wurzeln trennen. Da Thyssenkrupp vor Kurzem bereits seine lukrative Aufzugssparte verkauft hatte, würden nur noch die Bereiche Materialservice, Autozulieferung, Industriekomponenten, Anlagenbau und Marine bleiben – ein stark geschrumpftes Rumpfgeschäft des einstigen Weltkonzerns.