Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Präsident von Morales’ Gnaden
Luis Arce gewinnt überraschend deutlich Wahl in Bolivien – Doch sein einstiger Mentor könnte zum Problem werden
SANTIAGO DE CHILE - Als Luis Arce am 11. November 2019 mit Evo Morales in das Flugzeug stieg, das die bolivianische Führung ins mexikanische Exil brachte, hätte der damalige Wirtschaftsund Finanzminister nicht gedacht, dass er kaum ein Jahr später zum Präsidenten des Andenstaates gewählt werden würde. Die MoralesPartei „Bewegung zum Sozialismus“(MAS) schien nach 13 Jahren an der Macht und angesichts eines Aufstands im Land ausgedient zu haben. Doch nun ist sie stärker zurück als zuvor – mit einem Staatschef, der ein gemäßigter, undogmatischer Vertrauter des langjährigen Präsidenten Morales ist. Mit Arce kehrt die MAS gewissermaßen in einer Light-Version an die Macht zurück.
Der 57 Jahre alte Ökonom mit Studium in Großbritannien war Minister in allen Morales-Regierungen und gilt als Spindoktor des bolivianischen Wirtschaftsaufschwungs der vergangenen Dekade. Vielleicht wurde er am Sonntag auch deshalb mit einer offensichtlich so klaren Mehrheit ins Amt gehievt, dass selbst die amtierende rechte Regierung um Übergangspräsidentin Jeanine Áñez ihm schon zum Sieg gratulierte, bevor die offiziellen Ergebnisse vorlagen. Am Montag zogen dann sein Gegenkandidat Carlos Mesa und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) nach.
Arce hat laut mehreren Schnellauszählungen 53 Prozent der Stimmen errungen, während für den gemäßigt konservativen Kandidaten Carlos Mesa 30 Prozent und für den ultra-rechten Luis Fernando Camacho 14 Prozent der Wähler stimmten. Das offizielle Ergebnis wird in den kommenden Tagen erwartet.
In den Umfragen hatte zuvor nichts darauf hingedeutet, dass der MAS-Kandidat im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit erzielen könnte. Der frühere Ökonom der bolivianischen Zentralbank lag in der Wählergunst zwar immer vorn, aber zumeist nur mit einer Mehrheit, die ihm eine Stichwahl Ende November beschert hätte. Dort wäre ein Sieg schwer geworden, da sich alle rechten Kräfte des Landes hinter Mesa geschart hätten.
Zu Arces Wahlerfolg haben entscheidend drei Faktoren beigetragen: Zum einen hat er offensichtlich die große Mehrheit der 24 Prozent Unentschiedenen auf seine Seite bringen können. Zudem hat die indigene Mehrheit Boliviens geschlossen für den Mestizen Arce gestimmt. Und geholfen hat ihm dabei sicher, dass er mit dem ehemaligen Außenminister David Choquehuanca einen Indigenen als Vizepräsident nominiert hatte. „Das Gespann aus einem Mestizen und einem Ureinwohner hat identitätsstiftend gewirkt“, sagt der Analyst
Andrés Gómez von der Katholischen Universität San Pablo.
Geholfen hat Arce sicher auch, dass er bei aller Einheit in den vergangenen Jahren eine vorsichtig kritische Distanz zu Evo Morales aufgebaut hat. Im Wahlkampf warf er seinem Förderer vor, trotz eines für ihn negativ ausgegangenen Referendums im Jahr 2016 eine vierte Wiederwahl angestrebt zu haben. Arce schaffte es, auf der einen Seite die Anhänger von
Morales zu mobilisieren, aber auch der Mittelklasse eine Alternative zu sein. Und dieser ist der linke Politiker immer noch lieber als der rechtsradikale Scharfmacher Camacho aus dem Tiefland oder der professoral daherkommende Ex-Präsident Mesa.
Die Bolivianer verbinden mit ihrem künftigen Präsidenten einen wirtschaftlichen Aufschwung, bescheidenen Wohlstand, die Zähmung der Inflation und eine merkliche Verringerung der Armut in einem der ärmsten Länder des amerikanischen Kontinents. Arce ist auch verantwortlich für die großen Verstaatlichungen der vergangenen Jahre, vor allem im Energiesektor.
Ex-Präsident Morales, der seinen Nachfolger selbst zum Kandidaten bestimmte, bezeichnete es als dessen größte Fähigkeit, „die Stabilität der Volkswirtschaft“zu garantieren. Eine seiner größten Herausforderungen wird es sein, die pandemiegebeutelte Volkswirtschaft wieder in Gang zu bringen. Aber vor allem muss er den Einfluss seines Mentors Morales im Zaum halten. Dieser – mittlerweile in Argentinien im Exil – hat schon angekündigt, ganz bald nach Bolivien zurückkehren zu wollen.