Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Tiefe Gräben
Die USA sind vor den Präsidentschaftswahlen gespalten wie nie – Wie Trump Amerika verändert hat
Debattenabend bei den Better Angels. Via Zoom, versteht sich, ein anderes Format als die Videokonferenz lässt die Pandemie in diesen Tagen nicht zu. Die Frage lautet, wer der Richtige ist, der Präsident, den das Land heute braucht. Donald Trump oder Joe Biden? Sechs Teilnehmer, zwei Lager. Kontroversen sind programmiert. Nur gehört zu den Regeln der Diskussion eben auch, dass man Einwände, selbst die kritischsten, mit einem freundlichen „Thank you“quittiert. Und die Antworten, auch wenn sie einem nicht gefallen, mit virtuellem Applaus belohnt. Geübt wird das zivilisierte Streitgespräch, wie es für Amerika einst so typisch war – wobei die Betonung auf der Vergangenheit liegt.
Irgendwann ergreift Dick Gephardt das Wort, ein Demokrat, der den Bundesstaat Missouri 28 Jahre im Repräsentantenhaus vertrat und zweimal – erfolglos – fürs Weiße Haus kandidierte. Demokratie, sagt der Veteran, könne nur funktionieren, wenn man einander mit Respekt begegne. Diesen Respekt aber vermisse er immer mehr, heute sei die Stimmung so gereizt, seien die Vereinigten Staaten so gespalten wie wahrscheinlich noch nie seit dem Bürgerkrieg. „Inzwischen ist es doch so: Wenn du nicht zu meinem Stamm gehörst, hasse ich dich. Ich will gar nicht hören, was du zu sagen hast. Und eigentlich will ich auch nicht in einem Land mit dir leben.“
Die Better Angels gibt es seit November 2016. Gegründet wurde die Organisation von zwei Akademikern, David Blankenhorn und David Lapp, die sich Sorgen machten angesichts der Emotionen, die Trumps Sieg ausgelöst hatte. In New York herrschte Begräbnisstimmung, während anderswo gejubelt wurde, etwa im Rust Belt, dem Rostgürtel der alten Industrie. Die beiden Intellektuellen nahmen sich vor, den Dialog über atmosphärische Schluchten hinweg zu vermitteln. Das ist ihnen gelungen, Hunderte Diskussionsrunden haben inzwischen stattgefunden. Doch die Schluchten sind noch tiefer geworden, was Blankenhorn ohne Umschweife eingesteht. In der US-Geschichte, doziert er, habe es schon immer Phasen der Polarisierung gegeben. Aber heute seien es nicht, wie früher so oft, zwei, drei Themen, die heftigen Streit auslösten. „Es scheint kein einziges Thema mehr zu geben, bei dem wir uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können.“
Trump ist nicht mit dem Versprechen angetreten, Brücken über die Gräben zu bauen. Er hat sich die Spaltung zunutze gemacht und sie auf die Spitze getrieben. Nie hat er versucht, wie ein Präsident zu agieren, der auch diejenigen versteht, die nicht für ihn gestimmt haben. Die viel zitierte Basis seiner loyalen Anhänger hat er noch fester um sich geschart. Erweitert hat er sie nicht, auf Kritiker ist er nicht zugegangen. Im Frühjahr, als seine Heimatstadt New York besonders unter der Pandemie litt, schien sich das Land für kurze Zeit auf die ur-amerikanische Maxime zu besinnen, nach der man in Krisen zusammensteht. So wie nach dem 11. September 2001, als der Terrorschock die Nation vorübergehend einte. Auch diese Chance hat Trump nicht genutzt.
Um von eigenem Versagen abzulenken, suchte er Zank mit demokratischen Gouverneuren, deren Staaten es besonders hart getroffen hatte. Dann unterstellte er Experten wie Anthony Fauci, Amerikas führendem Epidemiologen, mit der Opposition zu paktieren, nur weil sie die Gefahr nicht kleinredeten und seine optimistischen Szenarien nicht teilten. Jetzt, in der letzten Woche vor dem Votum, verging kein Tag, an dem
Trump nicht steile Thesen über das vermeintlich despotische Verhalten demokratischer Lokalgrößen verbreitet hätte. In Pennsylvania, behauptete er, verbiete es der Gouverneur den Leuten, sonntags in die Kirche zu gehen. In Kalifornien zwinge man die Menschen zum Tragen „spezieller Masken“, die sie nicht mal beim Essen abnehmen dürften. Nichts davon stimmt.
In einem Satz, sollte Trump die Wahl verlieren, wäre seine Hinterlassenschaft ein Grand Canyon, den zu überbrücken auch einem Präsidenten Biden schwerfallen dürfte. Geschaffen hat Trump den Graben nicht, den gab es schon vorher, auch unter Barack Obama, einem Hoffnungsträger, der angetreten war mit dem Versprechen, das blaue und das rote Amerika, das der Demokraten und das der Republikaner, zu versöhnen. Schon zu Obamas Zeiten beschrieben Bücher das Phänomen des „Big Sort“: In welchem Viertel man wohnte, welchen Fernsehkanal man einschaltete, ob man seine Informationen vom konservativen Sender Fox News oder vom linksliberalen
Gegenstück MSNBC bezog, hing schon damals maßgeblich von den eigenen politischen Ansichten ab. Demokraten wie Republikaner wollten unter sich sein, worunter die Fähigkeit, sich die Schuhe des jeweils anderen anzuziehen, zusehends litt.
Heute hat der Grand Canyon eine Breite erreicht, dass selbst die Art des Umgangs mit der Corona-Epidemie als politisches Statement gesehen wird. Vier Fünftel der Anhänger Bidens geben an, seit den ersten Wochen der Seuche einen Mund-NasenSchutz zu tragen, während 57 Prozent der Anhänger Trumps Masken bis heute ablehnen. Die Politikwissenschaftler Nathan Kalmoe und Lilliana Mason – er forscht an der Louisiana State University, sie an der University of Maryland – haben in einer Studie statistisch aufgeschlüsselt, wie weit der Hass auf den anderen geht. Demnach sehen 60 Prozent der Wahlberechtigten in den Sympathisanten der jeweils anderen Partei eine Gefahr für das Land. 42 Prozent beantworten die Frage, ob sie die Opposition für „geradezu böse“halten, mit einem Ja. Ein Sechstel der Demokraten
und ein Siebtel der Republikaner ist der Meinung, dass Gewalt gerechtfertigt wäre, sollte die Gegenseite die Wahl gewinnen.
Spricht man mit Fans Donald Trumps, fragt man sie, was sie besonders an ihm schätzen, kommt häufig als Erstes: die klare Sprache. Es folgen Loblieder auf einen Mann, der die Dinge beim Namen nenne, ohne sich um die scheinheiligen Regeln der Political Correctness zu scheren. Tatsächlich hat der Präsident ein Gespür für Themen, mit denen er punkten kann. Er greift Probleme auf und spitzt sie in seiner Beschreibung noch zu, als müsste er eine besonders grelle Karikatur zeichnen. Dass viele Amerikaner, bei weitem nicht nur konservative Hardliner, darauf drängen, der illegalen Einwanderung über die Südgrenze einen Riegel vorzuschieben, hat er 2016 besser verstanden als jeder seiner Rivalen. Sein Symbol für die vermeintliche Lösung war die Mauer, deren Bau Mexiko bezahlen würde. Der Mauerbau ist bis heute Stückwerk, Mexiko hat keinen Cent dafür gezahlt, aber das stört Trump nicht: Allein schon mit seiner Rhetorik hat er einen Nerv getroffen. Auch wenn er im Wahlkampf von Amerikas „endlosen Kriegen“spricht, die er beenden will, etwa durch den Abzug aller US-Soldaten aus Afghanistan, greift er eine weitverbreitete Stimmung auf. Mit durchaus feinen Antennen.
Es ändert nichts an der Misere des demokratischen Diskurses, der vor allem durch ihn so gelitten hat. Trump charakterisiert sich als Konterboxer, der nur zurückschlägt, wenn er angegriffen wird, dann aber umso härter. Das ist eine Lüge, eine von vielen. In Wahrheit kennt er keinerlei Hemmschwelle, wenn es darum geht, Kontrahenten madig zu machen. „Sperrt ihn ein!“, skandieren seine Anhänger, wenn er die durch nichts belegte These verbreitet, nach der Biden senior von den Geschäften seines Sohnes Hunter in China und der Ukraine profitiert haben soll. Es lässt an das „Lock her up!“des Jahres 2016 denken, an die Forderung, Hillary Clinton wegen ihres Umgangs mit dienstlichen EMails ins Gefängnis zu stecken.
Sollten Joe Biden und Kamala Harris gewinnen, twitterte der Amtsinhaber diese Woche, werde das Land einen Albtraum erleben. „Unsere Gegner wollen Amerika in ein kommunistisches Kuba oder ein sozialistisches Venezuela verwandeln“, schrieb er, wohl wissend, dass Biden wie Harris für den moderaten Flügel ihrer Partei stehen, für moderate Reformen, die den Kapitalismus nicht aus den Angeln heben werden. Faktenbasierte Sachlichkeit, unter Donald Trump ist sie völlig auf der Strecke geblieben.