Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Der Koch der Amerikaner
Wie Josef „Joe“Malischewski zum Chef von US-Soldaten wurde – Seine Frau, heute Stadträtin in Ulm, erzählt
NEU-ULM/ULM - Wie alles angefangen hat, weiß niemand mehr. Nicht einmal Helga Malischewski. Ihr Mann, der vor 15 Jahren starb, hat nicht viel über den Krieg und die Zeit direkt danach gesprochen. Klar ist bloß: Josef Malischewski, den alle Joe nannten, stieg vom amerikanischen Kriegsgefangenen zum Manager aller US-Clubs in Neu-Ulm auf. Und später führte er gemeinsam mit seiner Frau ein Lokal, in dem die GIs nachts Schnitzel in Massen verdrückten. Helga Malischewski schätzt die Amerikaner, daran hat sich nie etwas geändert. Das Vertrauen zwischen dem Ehepaar und den amerikanischen Soldaten war schon vor Jahrzehnten groß.
Joe Malischewski wurde 1945 aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen. Davor war er in einem Lazarett behandelt worden, wohl auch bei den Amerikanern. Im Krieg hatte der in Ostpreußen geborene Mann einen Finger an der linken Hand verloren, an seinem Rücken blieb die Narbe einer Schusswunde. Menschen hängten sich Schilder um, auf denen „Ich nehme jede Arbeit an“stand. Joe Malischewski fing bei den amerikanischen Besatzern an. Bis 1963 arbeitete er in verschiedenen Städten als Koch und Küchenchef im Dienst der US-Armee, zuletzt in Neu-Ulm.
Helga Malischewski hat Fotos aus dieser Zeit. Viele sind undatiert und nicht immer ist klar, wer die Männer und Frauen darauf sind. Einen erkennt man immer: Joe Malischewski, wie er ein Spanferkel brät. Joe Malischewski beim Musizieren mit GIs. Joe Malischewski als Trauzeuge eines US-Soldaten. Joe Malischewski als Nikolaus vor einem amerikanischen Panzer. Joe Malischewski lachend mit Kochmütze zwischen vier schwarzen Soldaten. Dieses Bild hängt heute in der Garderobe des Wiley-Clubs. Gastronom Thomas Eifert hatte Helga Malischewski nach Fotos gefragt. Er wolle die Seele des Treffs bewahren, der früher amerikanischen Unteroffizieren vorbehalten war.
Ende der 50er-Jahre stieg Joe Malischewski zum Manager der hiesigen US-Clubs auf. Abends holte er überall die Einnahmen ab, vorsichtshalber durfte er eine Waffe tragen und bekam einen GI als Begleiter. „Er war der Chef. Und er konnte gut delegieren“, erzählt Helga Malischewski.
Den Mann, mit dem sie 41 Jahre lang verheiratet sein sollte, lernte sie 1963 im Offizierscasino kennen. Ein gemeinsamer Freund hatte die junge Frau hineingebracht. Im gleichen Jahr verließ Joe Malischewski die Amerikaner und wurde Pächter der Raststätte Ströhle. Bald schon half seine spätere Frau dort mit. Im darauffolgenden Jahr heirateten die beiden. Er war 40, sie 22. Zwei Jahre später kam die gemeinsame Tochter zur Welt.
Die Raststätte, heute das Autohaus Held und Ströhle, lag direkt an der Bundesstraße. Das Geschäft mit den
Durchreisenden, die zum Tanken und Essen kamen, war gut. Das mit den Amerikanern auch. Direkt gegenüber der Raststätte war der Eingang zu den Kasernen. Die GIs kamen nachts gegen 23.30 Uhr, eine halbe Stunde vor Zapfenstreich. Sie nahmen Bier mit und Cognac und sie kauften Schnitzel und Ham-and-Cheese-Sandwiches. Helga Malischewski sagt, sie könne den Geruch von Fritteusenfett nicht mehr ertragen. Neun Jahre lang briet sie Schnitzel: „Acht nebeneinander und zwei Körbe Pommes frites oben drauf, damit sie sich nicht wellen“, erinnert sie sich. Die Amerikaner nahmen die Schnitzel zwischen zwei Scheiben Toastbrot mit aufs Militärgelände.
Gut war nicht nur das Geschäft mit Essen und Trinken. Die Soldaten hatten Angst, betrogen zu werden, wenn sie in Bars und Bordellen mit Dollars zahlten. Also wechselten sie ihr Geld bei Taxifahrern – oder bei den Malischewskis. Die nahmen 40 Pfennig Gebühr. Die GIs zahlten das bereitwillig, sie vertrauten dem Wirtspaar. Und das Wirtspaar vertraute ihnen. Wenn Mitte des Monats das Geld ausging, konnten die Soldaten anschreiben lassen. „Wir haben nicht einen Dollar verloren“, berichtet Helga Malischewski. Ein Mann sei ein Vierteljahr später wiedergekommen und habe seine Schulden beglichen – er sei ganz kurzfristig in die Heimat abkommandiert worden.
Schlägereien, Übergriffe? Gab es nicht. Die Amerikaner holten Essen oder sie kamen zum Essen. Gefeiert wurde anderswo. Dass Joe Malischewski die Kommandeure und Militärpolizisten kannte, mag auch geholfen haben. „Die Amerikaner waren offen und freundlich. Sie hatten Respekt vor uns und wir vor ihnen“, sagt Helga Malischewski.
1972 übernahm das Ehepaar auf Drängen der Ulmer Münster Brauerei das Restaurant zum Schlachthof im Donautal. 1982 kauften die Wirtsleute das Lokal, acht Jahre später verkauften sie es wieder. Joe Malischewski, der auch lange Karnevalspräsident in Ulm war, hatte Herzprobleme. Das Ehepaar hörte auf. Zumindest in der Gastronomie. Ulmer Stadträtin ist Helga Malischewski noch heute, seit 1984 sitzt die Wiblingerin im Gemeinderat.
Ein Jahr, nachdem das Ehepaar im Donautal den Schlussstrich gezogen hatte, verließ die US-Armee NeuUlm. Zeitweise hatten 8000 Amerikaner in der Stadt gelebt. Heute sind es nach der Statistik des Landratsamts Neu-Ulm noch knapp 250 – im ganzen Landkreis. Helga und Joe Malischewski blieben in Kontakt zu den Amerikanern. 1970 besuchten sie einen Freund Joes aus dessen Zeit in USDiensten. Nach dem Tod ihres Mannes war Helga Malischewski noch ein weiteres Mal dort, in New Jersey.
Und als der Weltkriegsveteran Myron Roker 2015 in seiner 70 Jahre alten Uniform nach Ulm zurückkam, steckte sie dem damals 91-Jährigen einen kleinen Spatz ans Revers. Roker war am 24. April 1945 als Angehöriger des 324. Infanterieregiments ins zerbombte Ulm einmarschiert. Es sei friedlich gewesen, erzählte Roker bei seiner Rückkehr. Es habe keine Häuserkämpfe gegeben. Die Wiblingerin berührt die Erinnerung an diese Begegnung noch immer. Die Amerikaner, sagt sie, hätten Arbeit und Geld gebracht. Und sie erinnert an die Rosinenbomber, die West-Berlin Ende der 40er-Jahre mit Lebensmitteln versorgten. All das, sagt Helga Malischewski, dürfe man nicht vergessen: „Das war ein Geschenk.“