Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Von dunklen Winkeln und hellen Lichtstube­n

Gemeinscha­ftliches Beisammens­ein mit Gesang und Tanz wird gepflegt

- Von Stefanie Palm

ALB●- Wenn es am späten LAICHINGER Nachmittag immer früher dunkel wurde, traf man sich auch in Laichingen ab der Frühen Neuzeit bis ins letzte Jahrhunder­t in den Lichtstube­n (auch Kunkelstub­en, Spinnstube­n oder Lichtkarz), um teure Kerzen und Lampenöl gemeinsam zu nutzen. Hier wurden Handarbeit­en, zum Beispiel für die Aussteuer gefertigt und Geselligke­it gepflegt – Hans Medick (der die wissenscha­ftliche Studie „Weben und Überleben in Laichingen“verfasst hat) spricht von „Arbeitsges­elligkeit“. Unter der Aufsicht der jeweiligen Hauseltern kamen junge unverheira­tete Mädchen und Frauen zusammen. Ab acht oder neun Uhr kamen die jungen Burschen des Dorfes dazu. Dann wurde auch gesungen und getanzt.

Was bei diesem Zusammentr­effen der Geschlecht­er, dem Gerede und auf dem Nachhausew­eg geschah, war von der Obrigkeit nicht zu kontrollie­ren. Und da fing das Misstrauen an, denn die Lichtstube­n gehörten zur dörflichen Kultur, zum Umgang der Geschlecht­er miteinande­r und zur Eheanbahnu­ng.

Die literarisc­hen Zeugnisse der Zeit und die Erlasse rückten die Lichtstube­n gerne in die Nähe von Lasterhöhl­en. Deshalb mussten die Ausrichter einer Lichtstube im eigenen Haus eine Genehmigun­g unter Angabe der Besucher beantragen. Und es sollte auf keinen Fall zu wildem Hin und Her im Flecken kommen – wie am 13. Oktober 1756 in den Kirchenkon­ventsproto­kollen von Laichingen zu lesen ist: „Da waren Leute, die zu unterst im Ort wohnten zu denen gegangen, die zu oberst im Dorf wohnten. Dadurch kam es zu Unordnung und Gelegenhei­ten… – bei ledigen Leuten beiderlei Geschlecht­s bei dem Ganzen hin und her gehen.“

Eingericht­et wurden die Kirchenkon­vente in der Folge des Dreißig Jährigen Krieges. Die Dörfer waren damals allesamt verwüstet, die Felder lagen brach, die Bewohner waren ermordet oder verhungert. Die wenigen Überlebend­en waren jahrzehnte­lang sich selbst überlassen. Auch die Schwäbisch­e Alb war betroffen. Gegenüber den 1200 Einwohnern, die 1634 in Laichingen gezählt wurden, waren es 1648 gerade noch circa 270. Durch Zuwanderun­g wuchs die Bevölkerun­g bis 1730 wieder auf 1400 an.

1642/44 wurden zur Aufrichtun­g von Sitte und Moral im ganzen Herzogtum

Württember­g die Einrichtun­g von Kirchenkon­venten befohlen – bestehend aus Pfarrer, Amtmann, Heiligenpf­leger (Kirchengut­sverwalter) und zwei Ratsmitgli­edern. Es ging um die Kirchengut­sverwaltun­g, die Schule und das weite Feld der Sozialfürs­orge. Und sie waren für die Lichtstube­n verantwort­lich. In den Protokolle­n wurden die Namen der ausrichten­den Hausväter und die Zahl der angemeldet­en Besucherin­nen vermerkt, meist mit dem Hinweis, sich „ordentlich und geziemend“zu verhalten. Das zeigt auch ein Eintrag von 1737: „...wurde beschlosse­n, die Lichtstube­n diesen Winter zwar zu erlauben, hingegen aber denen ledigen Kerlen verboten in solche zu gehen….“

Die Ermahnung scheint jedoch wieder in Vergessenh­eit geraten zu sein, denn 1756 wurde eine Ordnung erlassen, die langen Heimwegen vorbeugen sollte. Dass nicht nur Männer Lichtstube­n anmelden konnten, zeigt eine Liste von 1772. Hier wurde acht Personen (für insgesamt 90 Frauen und Mädchen) die Abhaltung von Lichtstube­n erlaubt, unter ihnen Anna Maria Ostertag und der Witwe Anna Maria Schenck. Die jungen Männer kamen nach wie vor zu den Lichtstube­n – trotz der Verbote.

Die Eintragung­en zeigen, dass deshalb versucht wurde, diese „Besuche“zu lenken – die Mitglieder des Gremiums waren auch einmal jung gewesen und sicherlich kannte der Eine oder Andere das Treiben in und um Lichtstube­n aus eigener Erfahrung. Nachzulese­n im Eintrag vom 6. Dezember 1783 ist, dass „10 Männer wurden Lichtstube­n für 115 Mädchen und Frauen erlaubt unter der Bedingung, daß Samstags, Sonntags und Feiertags kein Mannskerl in selbige einzulasse­n, an Werktagen nur eine Stunde und nach 9 Uhr auf den Gassen zu schwärmen oder in Spielhäuse­rn sich aufzuhalte­n, am allerwenig­sten gestattet sein soll aber die Mägde und Weibsbilde­r heim zu führen, oder sich bei Ihnen im Winkel aufzuhalte­n“.

Auf den Heimwegen, in den Winkeln, war es mitunter zu engeren

Kontakten mit Folgen gekommen. Ab und zu suchten Einige in den dunklen Winkeln sehr persönlich­e Erfahrunge­n. In der Regel aber hatten die Stuben eine große soziale Bindekraft und gemeinsam macht ja bekanntlic­h auch die Arbeit mehr Spaß.

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FOTO: ARCHIV

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