Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Eine Erkrankung mit schwerem Gepäck“
Susanne Ritter aus Westerheim als betroffene Mutter bringt ein Tagebuch heraus – Autorin will Verständnis für die Krankheit wecken
WESTERHEIM - „Eine Erkrankung mit schwerem Gepäck“ist ein Tagebuch von Susanne Ritter aus Westerheim überschrieben, das sie demnächst veröffentlichen möchte. Darin schildert sie ihre Erfahrungen als Mutter zur Erkrankung ihrer Tochter Celine, die seit 2014 an dem chronischen Erschöpfungssyndrom oder dem chronischen Müdigkeitssyndrom – auch Myalgische Enzephalomyelitis (ME) oder Chronic Fatigue Syndrome (CFS) genannt – schwer leidet. „Und keiner glaubt ihr/uns“lautet der Untertitel des Buches, in dem sie vor allem für mehr Verständnis für diese heimtückische Krankheit werben möchte. Das schwere Schicksal ihrer Tochter möchte Susanne Ritter dem Leser vor Augen führen.
„Es ist das Tagebuch einer Mutter, die ihre schwer kranke Tochter über einen Zeitraum von fünf Jahren von 2014 bis 2019 begleitet. Es ist auch die Odyssee einer Mutter, die mit viel Ignoranz, Unglauben und Vorurteilen von Mitmenschen zurecht kommen muss, bis hin zum Unverständnis auf Ämtern bei vielen Behördengängen“, erklärt Susanne Ritter. Mit manchen Behördenvertretern habe sie sich richtig anlegen und gegen manche Sturheit vorgehen müssen. Harte Jahre würden hinter ihr und ihrer Tochter Celine liegen, schwere weiterhin vor ihnen, weiß die Westerheimerin.
„Celine sitzt an die Wand gelehnt auf dem Bett. Aufstehen fällt ihr saumäßig schwer. Alleine ist es nicht machbar. Ich helfe ihr auf und sie kann kaum stehen. An das Frühstück ist nicht zu denken.“Diese Sätze stehen im ersten Kapitel zum Januar 2014 des Tagebuchs, das in 60 Abschnitte beziehungsweise Kapitel gegliedert ist. Aus einem fröhlichen, aufgeweckten und lebhaften Kind mit üblichen Hobbys für ein Mädchen wie Reiten, Turnen und Gymnastik, aber auch Kampfsport sei mehr oder weniger über Nacht ein Mädchen geworden, das „hinter der eigenen Tür gefangen und quasi ans Bett gefesselt ist.“Dieser Zustand sei zum Jahresbeginn 2014 eingetreten und ein komplexes und schwer zu fassendes Krankheitsbild liegt seitdem bei Celine Ritter vor. Das Krankheitsbild zeichnet sich in erster Linie durch eine lang anhaltende enorme Erschöpfung aus, für die sich keine Ursache finden lässt.
„Diese Krankheit sieht man keinem Betroffenen an. Und doch ist Myalgische Enzephalomyelitis eine schwere Erkrankung, die den ganzen Körper von der Haarspitze bis zum Fußende betreffen kann“, erläutert Susanne Ritter und lässt in ihrem Tagebuch Bilder ihrer Tochter aus vergangenen fünf Jahren vor sich vorüberziehen: „Sie liegt im Bett, ist schlaff und müde und hat keinerlei Energie. An ein Aufstehen ist gar nicht zu denken. Selbst das Essen muss sie meist liegend im Bett einnehmen“, so beschreibt sie den Zustand über Jahre hinweg. In welcher Form sie ihr Tagebuch herausbringen kann, ist noch offen. Da sei sie für Tipps dankbar.
Diese seltene und noch sehr unerforschte Krankheit möchte Susanne Ritter bekannter machen und auf das Schicksal der Betroffenen aufmerksam machen. „Ich kämpfe für die Erkrankten und vor allem für die Kinder, die an ME oder CFS leiden“, erklärt die Mutter, die sich seit fast sieben Jahren aufopferungsvoll um ihre Tochter kümmert. Mit seiner Energie müsse ein Betroffener sehr gut haushalten, der Akku sei nur schwer aufzuladen, das weiß sie aus Erfahrung und dem Schicksal ihrer bald 18jährigen Tochter. „Ohne Energie kann nichts weiter bestehen. Also haushalte mit dieser, um den Tag zu überstehen“, gibt sie den Erkrankten in dem Buch mit auf den Weg.
Die Krankheit könne jeden treffen, von heute auf morgen, Jung und Alt, weiß Susanne Ritter, die die Selbsthilfegruppe ME-CFS Alb-Donau-Kreis / Schwäbische Alb unter dem Dach der Korn-Selbsthilfegruppen vor zwei Jahren gegründet hat. „Auf einmal ist das normale Alltagsleben einfach weg und nichts ist mehr wie zuvor“, sagt sie und denkt an das Jahr 2014 zurück, als sich ein ganz normales Leben schlagartig änderte und ihre Tochter jede Energie und Lebenslust verlor, und auch ihre Freundinnen. Sie besuchte damals als Elfjährige die Laichinger Realschule
und war auf dem Weg zum mittleren Bildungsabschluss.
Ein neues Leiden sei hinzugekommen, berichtet die Mutter: Neuerdings leide Celine unter einer orthostatischen Intoleranz, das mit einem abrupten Blutdruckabfall im Stehen verbunden sei und Blut quasi in die Beine absacke. Auch Bauchschmerzen gehörten zu den Beschwerden. Und damit die inneren Organe an der richtigen Stelle im Körper bleiben, müsse sie einen Rückengurt tragen. Eine Notfalltasche und Notfallmedikamente müssten sie immer mitführen. Wegen dieser Zusatzbelastung sei ihre Tochter bei kleinen Spaziergängen
im Ort meist nur noch im Rollstuhl sitzend unterwegs.
Den Coronavirus habe ihre Tochter bislang unbeschadet überstanden, einer von einigen Lichtblicken, die Susanne Ritter aufzeigt, gleichwohl sie weiß: „Corona geht, das Ermüdungssyndrom bleibt.“Dass der Coronavirus an ihnen bislang vorbeiging, weiß sie einfach zu begründen: „Wir sind ja fast nur unter uns.“Begegnungen mit anderen Menschen gebe es nur bei Einkäufen und den Arztterminen. Weitere kleine Lichtblicke zeigt Susanne Ritter auf, die ihr einfach gut tun: Die Reha in Geisingen am Bodensee hat ihre Tochter überstanden, auch wenn sie gewichtsmäßig abgenommen habe und sich leichte Entzündungen im Magen und in beiden Knien zuzog.
Mit ihrer Energie könne Celine etwas besser haushalten, so habe sie es sogar geschafft, einen PatchworkPullover nach einem Jahr fertigzustellen – eine tolle Leistung, wie Celines Mutter meint. Sie stricke jetzt gern und lese nach wie vor im Bett oder auf dem Sofa liegend viele Bücher, auch englische Literatur. Ein psychologisches Gutachten habe erbracht, dass das Mädchen weiterhin zuhause betreut und gepflegt werden darf und nicht suizidgefährdet sei. Bald seien Auseinandersetzungen mit dem Jugendamt passé, da ihre Tochter in Kürze den 18. Geburtstag feiern darf.
Anhängende Gerichtsverfahren mit dem Jugendamt und der Kinderpsychiatrie seien vom Tisch. Über die Flex Fernschule und den zweiten Bildungsweg möchte die junge Frau den Realschul-Abschluss nachholen, der Wille bei ihrer Tochter sei da, berichtet Susanne Ritter. Stundenweise möchte sie mal in ein Praktikum reinschnuppern, am liebsten auf dem handwerklichen Gebiet bei Arbeiten mit Stein oder Holz.
Eine Änderung steht bei Celine und Susanne Ritter an: Ihr „Pflegegast“aus dem Esslinger Raum wird sie demnächst verlassen, die zu einer Betreuung auf die Alb gekommen war und sich dort wohlfühlte. Auch diese Frau leidet an dem chronischen Müdigkeitssyndrom, konnte sich in den vergangenen Monaten fangen und stabilisieren, wie die Westerheimerin wissen lässt. Sie strebt nun eine Reha an, nach Möglichkeit in Bad Boll.
Ihr Gast brauche nach wie vor viel Ruhe und Erholung, werde aber den erlernten Beruf als Biochemikerin wohl nicht mehr ausüben können. Nach „ihrer Kur auf der Alb“und der Reha wird die Frau zu ihrem Vater zurückkehren, sagt Susanne Ritter, die intensiv nach einer Zusatztätigkeit Ausschau hält. Sie sucht eine Arbeitsstelle im Büro für 20 Stunden im näheren Umkreis, da sie zusätzlich noch 15 Stunden trotz der Pflegestufe zwei ihrer Tochter ableisten muss. Dankbar ist sie für unlängst erhaltene Geldspenden, besonders von Herrn Häberle aus Laichingen, der sie in den vergangenen zwei Jahren mehrfach unterstüzt hat.
„Das Einzige, was bleibt, sei die Hoffnung auf Forschung und gute Forschungsergebnisse, um das Chronic Fatigue Syndrome (CFS) besiegen zu können“, sagt sie. Betroffenen und ihren Angehörigen möchte sie Mut machen, sie sollen sich in der neuen Selbsthilfegruppe finden und austauschen, gemeinsam sollen sie das harte Schicksal besser ertragen lernen. „In der Selbsthilfegruppe möchten wir Erfahrungen austauschen, aber uns auch Halt und Unterstützung geben und aufmuntern“, erläutert sie. Erste Treffen hätten bereits erfolgreich stattgefunden, doch der Coronavirus habe bei manchen Planungen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Begegnungen konnten nicht vor Ort in Kreisen stattfinden, sie mussten virtuell oder telefonisch stattfinden.
„Celine sitzt an die Wand gelehnt auf dem Bett. Aufstehen fällt ihr saumäßig schwer.“Mit diesen Worten beginnt das Tagebuch von Susanne Ritter
Nach den aktuellen Bestimmungen der Bundes- und Landesregierung in Zusammenhang mit Covid-19 muss das für diesen Samstag, 7. November, angesetzte Treffen der Selbsthilfegruppe CFS-ME (Myalgische Enzephalomyelitis (ME) oder Chronic Fatigue Syndrome (CFS) im Alb-Donau-Kreis / Schwäbische Alb abgesagt werden. Susanne Ritter aus Westerheim hatte diese Selbsthilfegruppe gegründet. Nun findet ein Online-Meeting statt, ferner gibt es telefonische Beratungen bei Gruppenleiterin Susanne Ritter montags und dienstags unter Telefon 07333 / 950196. Weitere Infos gibt es auch bei den Selbsthilfegruppen Korn über Telefon 0731 / 88034410. Weitere Informationen zu dem Erschöpfungssyndrom gibt es auch im Internet unter www.buendnis-mecfs.de oder www.fatigato.de