Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Die Krisenmanagerin
Janet Yellen wird die erste Frau an der Spitze des US-Finanzministeriums
WASHINGTON - Janet Yellen wird ihre ganze Erfahrung als Krisenmanagerin benötigen. Als designierte USFinanzministerin muss die 74-Jährige gegen die dramatischen wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie ankämpfen. Zweifel an ihrer Eignung gibt es keine: Die angesehene Wirtschaftsexpertin war zwischen 2014 und 2018 die erste Frau an der Spitze der mächtigen USNotenbank Fed. Jetzt wird sie, eine Bestätigung des Senats vorausgesetzt, als erste US-Finanzministerin Geschichte schreiben.
Zur Ökonomie brachte Janet Yellen die Arztpraxis ihres Vaters. Dessen Patienten stammten aus einem Arbeiterviertel in Brooklyn. Sie waren zumeist einfache Leute, die mit dem Auf und Ab der Wirtschaft zu kämpfen hatten. „Als ich heranwuchs, bekam ich oft mit, was es für das Leben einer Familie bedeutete, wenn jemand seinen Job verlor“, so Yellen. Der Blick für die Auswirkungen ökonomischer Trends auf den Alltag der Menschen prägte sie.
Nun soll die 74-Jährige Finanzministerin unter dem künftigen USPräsidenten Joe Biden werden. An Qualifikationen fehlt es ihr nicht. Yellen hat an Eliteuniversitäten gelehrt, in Harvard, London und Berkeley. Unter Bill Clinton leitete sie den Wirtschaftsrat des Weißen Hauses. Zudem machte sie Karriere in der amerikanischen Notenbank, Fed. Als das „Wall Street Journal“prominente Volkswirte bat, Yellens Wirken an der Spitze der Bank zu bewerten, fiel das Urteil eindeutig aus. 60 Prozent der Befragten vergaben die Note Eins, 30 Prozent die Zwei, nur acht die Drei. Donald Trump hat Yellens vierjährige Amtszeit dennoch nicht verlängert, was Medienberichten zufolge nicht zuletzt daran lag, dass er die 1,60-Meter-Frau für zu klein hielt, um das große Amerika repräsentieren zu können.
Die Wirtschaftsweise aus New York ist mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger George Akerlof verheiratet. In einer gemeinsamen Studie schrieb das Paar einst gegen den amerikanischen Billiglohntrend an. Die Kernthese: Arbeitnehmer seien produktiver, wenn sie das Gefühl hätten, fair bezahlt zu werden. Als Notenbankdirektorin sprach sie von der wachsenden sozialen Ungleichheit, die ihr Sorgen mache. Sie frage sich, ob dies vereinbar sei mit den Idealen, die tief in der Geschichte der USA wurzelten, „damit, dass Amerikaner traditionell großen Wert auf Chancengleichheit legen“. Ihre Expertise für den Arbeitsmarkt ist sehr hilfreich gerade jetzt, da die
USA wegen Corona unter anhaltend hoher Arbeitslosigkeit leiden.
Wird sie im Januar oder Februar vom Senat bestätigt, ist Yellen die erste Frau an der Spitze der Treasury, wie die US-Amerikaner das Finanzministerium nennen. Biden baut damit auf eine Expertin, die nicht alles dem Markt überlässt – weder in der Corona-Krise noch sonst. Die USA hatten im Frühjahr mehrere Rettungspakete für die in die Krise gerutschte Wirtschaft aufgelegt. Doch während Experten weitere Hilfen anmahnen, herrscht seit Monaten eine Blockade zwischen Trumps Republikanern im Kongress und den Demokraten. Sollte bis zum Amtsantritt des gewählten Präsidenten Joe Biden am 20. Januar kein neues Hilfspaket stehen, wird das für Yellen oberste Priorität haben. Und mit Hilfsprogrammen kennt sich Yellen aus. Als Vize-Chefin der US-Notenbank war sie ab 2010 verantwortlich für die Finanzhilfen zur Bekämpfung der weltweiten Finanzkrise.
Damals bewies sie ebenfalls nüchternen Realismus. Während andere Analysten vom dauerhaften Anstieg der Immobilien schwärmten, warnte Yellen bereits. Die Immobilienblase sei der 600-Pfund-Gorilla im Zimmer, mahnte sie fünfzehn Monate vor dem Kollaps der Märkte.
Später gestand die Ökonomin gleichwohl eigene Irrtümer ein. Die Manöver der Banken und RatingAgenturen habe sie unterschätzt. „Ich habe nichts davon kommen sehen, bis es tatsächlich geschah“, räumte sie ein. Das hat ihre Glaubwürdigkeit letztlich nur gestärkt – zumal sich manche ihrer männlichen Kollegen nie zu derart selbstkritischen Worten durchringen konnten.