Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
BGH pocht nach Unfall auf Schutz von Dementen
Patient stirbt nach Sturz aus dem dritten Stock eines Pflegeheims – Ehefrau fordert Schmerzensgeld
KARLSRUHE/BOCHUM sich jedoch ein 40 Zentimeter hoher Heizkörper sowie in 70 Zentimetern Höhe eine Fensterbank befunden. Es hätte schon eine Vorrichtung gereicht, mit der man die Fenster nur einen Spalt weit öffnen kann, sagte der Anwalt der Witwe in der Verhandlung.
Der Vertreter der SBO Senioreneinrichtungen der Stadt Bochum gGmbH verwies darauf, dass der 64Jährige noch sehr mobil gewesen sei und man dann alle Fenster in dem Gebäude hätte entsprechend ausrüsten müssen. Das sei mit Blick auf die Freiheit der anderen Bewohner nicht angemessen gewesen, sagte er: „Die machen nämlich gerne mal ein Fenster auf.“Anders als die Klägerin sah der Heimbetreiber auch keine Gefahr, dass der Mann aus dem Fenster klettern könnte.
Dieser Sichtweise waren das Landgericht Bochum und das Oberlandesgericht (OLG) Hamm als vorherige Instanzen gefolgt und hatten der Frau das Geld verwehrt. Dagegen ging die Witwe am BGH vor.
Die Richter dort entschieden nun, das OLG müsse den Fall noch einmal neu beurteilen. Für das erste Urteil sei das gesamte Krankheitsbild des Mannes nicht ausreichend beachtet worden. Er sei noch sehr mobil gewesen, zugleich aber unruhig und desorientiert. Außerdem habe er Gedächtnisstörungen und Selbstgefährdungstendenzen gehabt. Durch den
Heizkörper und das Fensterbrett habe er das Dachfenster treppenartig erreichen können. Die Beurteilung des OLG für das Risiko eines Unfalls berücksichtige aber nicht all diese Faktoren, sagte der Vorsitzende. „Sie schöpft den Sachverhalt nicht voll aus.“Im neuen Verfahren sollte auch ein Sachverständiger zurate gezogen werden.
Der Anwalt der Witwe sagte der Deutschen Presse-Agentur nach der Urteilsverkündung, es sei nicht in erster Linie um das Schmerzensgeld gegangen – sondern darum, etwas für Gerechtigkeit zu sorgen. „Da ist man mit der Gesundheit zu lasch umgegangen.“Ein Heimträger könne natürlich nicht alles verhindern. Aber wenn nicht mal eine Tritthilfe verhindert werden könne, seien die Standards zu niedrig. „Ich möchte schon, dass man das als Angehöriger nicht selbst merken muss.“
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz hofft nun, dass das OLG im zweiten Verfahren anders entscheidet. „Das wäre wichtig und gut.“Und es hätte Signalwirkung für andere Fälle.
Eigentlich sei der Schutz von Patienten nicht Aufgabe der Gerichte, sondern des Gesetzgebers, monierte Brysch. „Ich sehe in der Politik aber im Moment niemanden, der da etwas ändern will.“Daher bleibe nur, dass Gerichte den konkreten Fall würdigen, wenn auch das Handwerkszeug nicht ausreiche, sagte er. Anders als bei Produkten, bei denen der Hersteller die Sicherheit nachweisen müsse, gebe es keine Dienstleistungshaftungspflicht in Deutschland. Daher müssten Angehörige – oder wie in diesem Fall Hinterbliebene – belegen, dass Heimträger oder Mitarbeiter verantwortlich für einen Schaden seien.