Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Die Magie des Einfalls
Der Israeli Etgar Keret brennt in seinem Erzählband „Tu’s nicht“ein wahres Feuerwerk der Fantasie ab
Seine erste Geschichte schrieb Etgar Keret im Alter von 19 Jahren als deprimierter Soldat während eines langen Dienstes auf einer israelischen Armeebasis. Ihm war, als müsse er die Erzählung sofort jemandem zu lesen geben. Also fragte er mit bemüht ruhiger Stimme den pockennarbigen Unteroffizier, der ihn nach 14 Stunden ablöste. Der nahm die Sonnenbrille ab und entgegnete: „Leck mich am Arsch!“
Sein Bruder, dem er den Text als Nächstem zeigte, gab sich begeistert, fragte gleich, ob er eine Kopie besitze. Als Keret bejahte, bückte der Bruder sich und hob mit dem Blatt Papier das große Geschäft seines Hundes auf. „In diesem Moment begriff ich, dass ich Schriftsteller sein wollte“, erinnert sich Etgar Keret. Weil ihm klargeworden sei, dass es nicht um die Geschichte auf dem Blatt gehe. Die sei nur eine „Rohrleitung“für seine Gefühle. „Ich hatte eine Form der Magie entdeckt, die mir helfen würde, die zwei langen Jahre bis zu meiner Entlassung beim Militär zu überstehen.“
Mit Kurz- und Kürzestgeschichten in Bänden wie „Gaza Blues“(1996) oder „Der Busfahrer, der Gott sein wollte“(2001) hat sich der 1967 in Ramat Gan geborene Israeli Etgar Keret, der auch Graphic Novels und Drehbücher schreibt, einen Namen weit über sein Heimatland hinaus gemacht. Er ist ein fantasievoller Märchenerzähler, der die orientalische Erzähltradition aus 1001 Nacht mit postmodernen Erzählformen der Gegenwart vereint. Der Spiegel nannte ihn einen „fröhlichen Eklektiker“mit „Turbo-Schreibe“.
Auch in den 22 Geschichten seines aktuellen Erzählbandes „Tu’s nicht“(der im Original 2018 erschienen ist und von Barbara Linner jetzt ins Deutsche übersetzt wurde) gehen ihm die Ideen nicht aus. Im Gegenteil: Er brennt ein wahres Feuerwerk der Fantasie ab.
Immer noch schreibt Etgar Keret sich die alltägliche Bedrohung in Israel schön, weil das der einzige Ausweg aus einer Situation zu sein scheint, mit der man sich nicht identifizieren kann und auf die man eh keinen Einfluss besitzt. An einem Mangel leiden fast alle seine Figuren. Ob es jener „Todd“in der gleichnamigen Geschichte ist, der den Erzähler bittet, er möge ihm eine Geschichte schreiben, die ihm helfe, „Mädchen ins Bett zu kriegen“.
Oder der Ich-Erzähler in „Pineapple Crush“, der jeden Abend seinen Joint raucht, weil er sonst sein eintöniges Leben als Betreuer in einem Schülerhort nicht aushält. Das Kiffen aber macht die Sache nicht gerade besser. Bald brennt es im Hort und ein Kind liegt mit Gehirnerschütterung im Krankenhaus. Erst als er am Meer zufällig eine Frau kennenlernt, mit der er jeden Abend gemeinsam sein Gras raucht, scheint Hoffnung in Sicht. Wenn auch nur für kurze Zeit.
Nachdem Etgar Keret in seinem letzten Buch „Die sieben guten Jahre“(2015) zuletzt über sein Leben als Vater geschrieben hat, kehrt er diesem autobiografischen Ansatz mit den neuen Texten wieder den Rücken und begibt sich zu seinen Anfängen zurück. Etwas länger sind die Geschichten als in den 1990erund frühen 2000er-Jahren. Nicht mehr so sehr auf Pointe geschrieben und kaum noch politisch motiviert. Oft sind sie surreal und ein spielerischer Gestus dominiert.
Doch so absurd sie auch anmuten mögen: Etgar Keret erzählt das alles auf eine flotte, naiv-humorvolle Art, gerade so als seien selbst die abstrusesten Einfälle das Natürlichste von der Welt. Von diesem unverwechselbaren Erzähler lässt man sich gerne alles erzählen.
Etgar Keret: Tu’s nicht, Aufbau Verlag, 240 Seiten, 20 Euro.