Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Ausgetanzt
Clubs und Discos sind seit Monaten zu – Betreiber und Besucher leiden
LINDAU/SIGMARINGEN/ULM Scharen junger Menschen, die auf den Einlass warten, flackernde Lichter und zuckende Körper auf der Tanzfläche: Von diesem Anblick träumen Clubbesitzer und -besucher schon seit Monaten. Doch wegen der Pandemie bleiben die Musikboxen in Clubs und Diskotheken weiter aus und deren Türen geschlossen. Wann sich das ändern wird, ist unklar. Dabei belastet die aktuelle Situation nicht nur die Geldbeutel der Inhaber von Clubs, sondern im schlimmsten Fall auch die Psyche derjenigen, die dort feiern gehen.
Markus Miller ist Fan des Clubs Vaudeville in Lindau. Vor Corona war er etwa alle zwei Wochen dort: zum Leute treffen, Musik hören, Entspannen. „Der Club bedeutet für mich Freiheit“, sagt er. Doch darauf muss er seit Monaten verzichten, genau wie Florian Sattich aus dem Kleinwalsertal in Vorarlberg, den es vor der Pandemie ebenfalls regelmäßig nach Lindau gezogen hat. „Das ist schon ein Stück Lebensgefühl, das da verloren gegangen ist“, sagt er. „Ich versuche, das zu kompensieren, indem ich mir CDs und Konzerte im Internet anhöre. Aber das ist natürlich nicht dasselbe wie das Feiern im Club.“
Das denkt auch der Jugendforscher Simon Schnetzer. Ihm zufolge sind Clubs und Diskotheken wichtige Sozialräume. Junge Menschen knüpfen und festigen dort Kontakte, bekommen Anerkennung oder haben einfach Spaß daran, sich auszutoben.
„Wir beobachten aktuell, dass diese Bedürfnisse ersatzweise über TikTok, YouTube oder Clubhouse ausgelebt werden“, sagt Schnetzer. Auf diesen Internetplattformen laden Menschen unter anderem Videos von sich beim Tanzen hoch. Generell sei das aber kein Ersatz für das „Feiern, Tanzen oder Knutschen“im Club, so der Jugendforscher weiter.
„Der menschliche Kontakt, den man beim Feiern erlebt, lässt sich nur schwer kompensieren“, sagt auch Clubbesucher Miller. Vor allem junge Menschen leiden deshalb oft unter der Schließung ihrer Treffpunkte, zu denen beispielsweise auch Sportvereine gehören, erklärt der Bildungswissenschaftler Klaus Hurrelmann. Studien hätten gezeigt, dass die Zahl von Depressionen und Angststörungen in der Pandemie gestiegen sei, weil den Menschen ein Ventil fehle, um Dampf abzulassen und ihre Alltagssorgen zu vergessen. „Stattdessen fressen sie ihre Probleme zunehmend in sich hinein“, erläutert Hurrelmann.
Doch nicht nur die Besucher der Clubs belastet der Lockdown. Auch ihre Besitzer sind mehrheitlich unzufrieden. Das liege vor allem an der Ungewissheit, sagt Jörg Hochberger, Inhaber des Clubs Frau Berger in Ulm. „Es fehlt die Perspektive, wann wir wieder aufmachen können.“Außer gelegentlichen Auftritten seiner DJs im Internet könne er derzeit nichts machen, um das Image des Clubs zu pflegen und die Künstler zu unterstützen. „Wir müssen selbst auf jeden Euro achten.“
Sparen sei vor allem deshalb wichtig, weil Hochberger befürchtet, dass es noch lange dauern wird, bis alle Menschen gegen Covid-19 geimpft sind. „Es wäre deshalb toll, wenn die Politik einen Plan B hätte“, sagt er. „Beispielsweise könnte man mehr testen und die Leute bei einem negativen Ergebnis wieder in den Club gehen lassen.“
Das würde ihm in puncto Einnahmen noch mehr helfen als die November- und Dezemberhilfen, die Bund und Länder zur Verfügung stellen. Beantragen können diese Betriebe, Selbstständige, Vereine und Einrichtungen, die vom Lockdown in der Vorweihnachtszeit bis zum Jahreswechsel besonders stark betroffen waren. Für die Schließungstage werden Zuschüsse von bis zu 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahreszeitraum gezahlt.
Das Problem dabei: Bei vielen Antragstellern ist der volle Betrag bislang nicht angekommen. Das Land habe nach Angaben des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums bisher die Novemberhilfen ausgezahlt, für die Dezemberhilfen waren Anfang Januar Abschlagszahlungen geflossen, Unternehmen konnten also einen Vorschuss auf die spätere Zahlung bekommen. Mit den regulären Auszahlungen habe das Land nach einer Verzögerung Anfang Februar begonnen.
Neff Beser, dem das Alfons X und das Eichamt in Sigmaringen gehören, hofft, dass der volle Betrag bald bei ihm ankommt. Dass er bislang nur einen Teil der Hilfen erhalten hat, stört ihn. Trotzdem könne er die Entscheidung für den zweiten Lockdown grundsätzlich verstehen, sagt Beser. Er nutzt die Zeit, um das Alfons X zu renovieren und umzubauen. „Was soll man sonst machen.“Veranstaltungen haben bei ihm seit März nicht mehr stattgefunden.
Beser ist froh, dass er dennoch zumindest den hauseigenen DJ durch Kurzarbeit vor der Arbeitslosigkeit bewahrt hat. Für DJs, die als Gast in seinem Club aufgetreten sind, könne er jedoch wenig machen. „Die tun mir schon leid“, sagt er. Trotz der vielen Herausforderungen möchte Beser keinen Spendenaufruf für das Alfons X starten, sondern die Lage aus eigener Kraft meistern.
Das Vaudeville in Lindau freut sich dagegen über Spenden. Bereits im vergangenen Jahr haben die Verantwortlichen über eine Spendenkampagne einen fünfstelligen Betrag gesammelt.
2020 sei man mit dem Club deshalb noch gut über die Runden gekommen und habe trotz Corona rund 90 Events organisiert, von denen auch die lokalen Künstler profitiert haben, berichtet Marc Jehnes, der für die Buchungen im Vaudeville zuständig ist. „Dass im November dann wieder alles zugemacht wurde, war für uns ein Schock.“Denn die Veranstaltungen im Corona-Jahr haben ihm zufolge funktioniert.
Grund dafür sei das gut durchdachte Hygienekonzept des Clubs gewesen. Das Personal habe Masken getragen und am Eingang die Kontaktdaten der Besucher erfasst, damit keine falschen Identitäten abgegeben werden konnten, erklärt Jehnes. Im Club gibt es zudem mehrere Desinfektionsstationen und eine Belüftungsanlage. Bedient wurde nur am Platz. Wer aufstand, musste seine Maske tragen.
Vom Tanzen abgehalten habe das die Menschen nicht.
„Es gab Leute, die am
Platz mit Maske aufgestanden sind und mit den Füßen gewippt haben“, berichtet Jehnes. „Viele Besucher haben auch ihre Körper im Sitzen zur Musik bewegt.“
Auch die Künstler hätten ihren Teil beigetragen und die Besucher regelmäßig auf die geltenden
Regeln hingewiesen. Wer sich trotzdem nicht daran gehalten hat, musste den Club verlassen. „Dieses Konzept wurde vielfach gelobt und übernommen“, sagt Jehnes. 2020 habe es keinen einzigen Corona-Fall im Vaudeville gegeben.
„Nun hoffen wir, dass wir ab Mitte März oder spätestens ab Ostern wieder öffnen können. Ansonsten wird es für uns und viele andere Clubs echt schwierig werden“, befürchtet Jehnes. Wie Neff Beser kritisiert er, dass die staatlichen Hilfen für November und Dezember verzögert ausgezahlt werden.
An die Politik richtet Jehnes deshalb die Bitte, Zahlungen schneller und unbürokratischer auszustellen. Außerdem wünscht er sich konkretere Pläne und Ansagen für eine mögliche Wiedereröffnung der Clubs. Das wäre ihm zufolge nur fair: „Unsere Branche ist immerhin die, die als Erstes durch die Pandemie
gestraft wurde und die wahrscheinlich am längsten brauchen wird, um sich von ihr zu erholen.“
Auch die Deutschen Hotel- und Gaststättenverbände (Dehoga) Bayern und Baden-Württemberg wünschen sich eine rasche Entscheidung der Politik und hoffen auf den Erfolg der Impfkampagne. „Wir hoffen, dass das Infektionsgeschehen bis zum Sommer so weit abgeflacht ist, dass man dann Clubs und Diskotheken mit einem erweiterten Hygienekonzept und reduziertem Angebot wieder öffnen kann“, sagt Thomas Geppert, Geschäftsführer des Dehoga in Bayern. Denkbar wäre es ihm zufolge zum Beispiel, die Clubs ab einer Inzidenz von 20 ohne Tanzflächen wieder aufzumachen. Thomas Zwiener, Geschäftsführer der Dehoga Baden-Württemberg, sieht das eher kritisch. Tanzflächen zählen zum Hauptgeschäft von Clubs und Diskotheken. Würden sie beispielsweise nur als Getränkebar öffnen, würde das dem massiven Umsatzverlust wahrscheinlich wenig helfen, sagt er. Dieser betrug im November im Vergleich zum Vorjahr beinahe 90 Prozent. „Die Clubs liegen sozusagen am Boden“, resümiert Zwiener. Staatliche Hilfsprogramme könnten nur eine gewisse Zeit überbrücken. „Was wir brauchen, ist eine verlässliche Öffnungsperspektive.“
Diese wünschen sich auch die Clubbesucher Florian Sattich und Markus Miller. „Ich hoffe, dass die Clubs bald wieder aufmachen. Viele aus meinem Freundeskreis vermissen das Feiern“, sagt Sattich, der vor Corona etwa zehn- bis fünfzehnmal pro Jahr ins Vaudeville gegangen ist.
Auch Miller hält die aktuelle Situation für das „krasse Gegenteil“zum Spaß, den er beim Feiern erlebt. Er wisse aber auch, dass es derzeit keine andere Möglichkeit gibt, als die Entscheidungen der Politik auszuharren. „Man kann nur warten, bis alle geimpft sind. So lange müssen wir die Zähne zusammenbeißen.“
„Der menschliche Kontakt, den man beim Feiern erlebt, lässt sich nur schwer kompensieren.“
Clubbesucher Markus Miller