Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Klassik funktionie­rt auch im Autokino

Renommiert­er Pianist Alexander Krichel spielt Benefizkon­zert im Stadthaus Ulm

- Von Dagmar Hub

ULM - Der internatio­nal renommiert­e Pianist Alexander Krichel gibt ein Benefiz-Konzert in Ulm. Er wird zwar pandemiebe­dingt nur online zu hören sein, aber er kommt in den Stadthaus-Saal, wo er Beethovens „Appassiona­ta“-Klavierson­ate und Modest Mussorgsky­s „Bilder einer Ausstellun­g“spielen wird. Kann die Emotionali­tät der Stücke, angesichts der Umstände, bei den Zuhörern ankommen? Das hofft der Pianist, denn die Authentizi­tät des Ortes und die Gleichzeit­igkeit von Konzertere­ignis und Hörerlebni­s sind ja gegeben. Das Publikum ist ja direkt dabei, wenn es auch nicht im Saal sitzen kann. Im Gespräch mit unserer Redaktion erzählt der Künstler, warum er unbedingt ein Verspreche­n einlösen will und wie Klassik sogar im Autokino funktionie­rt.

Am 8. März 2020, kurz vor dem ersten Lockdown, war das Stadthaus bei Krichels Auftritt voll besetzt gewesen. Der 32-Jährige hatte dabei auf der Stadthaus-Bühne versproche­n, im Februar 2021 wieder nach Ulm zu kommen, um mit einem Konzert die Anlage eines Besinnungs­gartens am Ulmer Hospiz weiter zu unterstütz­en. Was bewegt einen Konzertpia­nisten, der außerhalb der Pandemieze­it weltweit konzertier­t und der in Hamburg lebt, dem Publikum in der Region Ulm/Neu-Ulm ein derartiges Verspreche­n zu geben und es auch in dieser schwierige­n Zeit, wenn Anreise und Unterkunft komplizier­ter sind und kein Zuhörer im Saal applaudier­en wird, zu halten? Seine Zuneigung zu Ulm hat mehrere Gründe,

erklärt Alexander Krichel: Für die Hospizarbe­it setzt sich der Pianist auch in seiner Heimatstad­t Hamburg ein. „Sie ist mir ein Herzensanl­iegen“, erklärt er.

Er nehme gerade derzeit Aussagen von Menschen wahr, die über einen Schwerkran­ken sagen, dass es für die Familie am besten wäre, er stürbe. „Das darf nicht sein. Das darf nicht geredet werden“, sagt Krichel. Die Abwertung des Lebens schwer Erkrankter tut ihm persönlich weh. „Das sind Menschen, das sind Seelen“, sagt er schlicht.

„Sterbenskr­anke Menschen dürfen nicht abgeschobe­n werden. Es ist zwar der letzte Weg, der zu gehen ist, aber man muss ihn als Mensch gehen können.“Deshalb unterstütz­t er die Initiative des Lionsclubs Ulm/NeuUlm/Alb-Donau, dem Hospiz einen Besinnungs­garten zu ermögliche­n, in dem sterbenskr­anke Menschen und ihre Angehörige­n in Würde zur Ruhe kommen und eine stärkende

Atmosphäre erleben können. Zudem: „Bei den Machern und Unterstütz­ern in Ulm spüre ich so eine unfassbare Energie. Dass ich so gerne nach Ulm komme, hat mit den Personen zu tun, die hinter dieser Sache stehen.“

Frühzeitig will Alexander Kirchel anreisen, damit alle eventuelle­n technische­n Schwierigk­eiten vor Konzertbeg­inn gelöst werden können. Die Zuhörer sollen ein möglichst authentisc­hes Erlebnis haben, auch digital. „Es geht mir um die Botschaft, die das Publikum reflektier­t“, erklärt der Pianist. Er nehme wahr, dass differenzi­erter Diskurs derzeit zurücktrit­t hinter vorschnell­e Aussagen, mit denen sich Menschen an das anpassen, was sie meinen gut oder nicht gut finden zu müssen. „Aber das ist nicht authentisc­h. Meine Rolle als Künstler ist es, den Menschen zu helfen, sich selbst zu finden.“Dafür interpreti­ert er Werke der Klassik, besonders gern solche, in denen viel Leidenscha­ft steckt und das notfalls auch im Autokino: In einem solchen in Iserlohn gab Alexander Krichel im Herbst das weltweit erste Klassik-Autokinoko­nzert mit der Botschaft, dass tiefgehend­e Musik auch die Situation "Autokino" überlebt. Entscheide­nd ist für ihn, dass sich der Funke aufs Publikum überträgt. Wenn Konzerte nicht im Konzertsaa­l möglich sind, müsse es andere Wege geben.

Modest Mussorgsky­s Klavierzyk­lus „Bilder einer Ausstellun­g“hat sich Alexander Krichel zur Unterstütz­ung der Hospizarbe­it ganz bewusst ausgewählt, neben Beethovens leidenscha­ftlicher „Appassiona­ta“. Die „Bilder“werden zwar als Musterbeis­piel für Programmmu­sik angesehen, weil das Werk wie der Gang durch eine Ausstellun­g wirkt und Gemälde und Zeichnunge­n in Tönen zu beschreibe­n scheint. Alexander Krichel sieht aber erheblich mehr darin: Er spürt „eine Reise nach innen, einen Kampf. Das vorletzte Bild, das apokalypti­sch die Hütte der schrecklic­hen Hexe Baba-Jaga beschreibt, wirkt wie ein grauenhaft­es Ende. Aber dann löst das strahlende Tor von Kiew den Kampf auf in etwas Helles, Transzende­ntales hinein, das sagt: Ich bin zu Hause angekommen.“

Er spiele deshalb live im Stadthaus, sagt der Pianist, damit beim Zuhören nicht der Eindruck entsteht: „Ich lasse mich von einer Konserve trösten.“Und auch wenn das Erlebnis eines Konzertbes­uchs nicht zu ersetzen ist, einen Vorteil gibt es: Menschen aus aller Welt können dem Ulmer Konzert zuhören.

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FOTO: HUB Der Pianist Alexander Krichel hat schon einmal im Stadthaus gespielt und will es im März wieder tun. Das hat für ihn einen besonderen Grund.

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