Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die „Fastenzeit der Liebe“beginnt

Warum das Besinnen und nicht der Verzicht im Vordergrun­d stehen sollte

- Von Simon Müller

EHINGEN - Mit dem Aschermitt­woch endet die Fasnet und startet die Fastenzeit – 40 Tage lang, bis Ostern. Für viele ist es Tradition, in dieser Zeit auf Dinge zu verzichten, die einem wichtig oder zur Gewohnheit geworden sind: Alkohol, Schokolade, Fernsehen. Für die Kirchen aus der Region steht in der Fastenzeit aber nicht der Verzicht im Vordergrun­d, sondern die Besinnung auf den Glauben und die Vorbereitu­ng auf das Osterfest. Aber haben wir nach einem Jahr Pandemie nicht schon genug gefastet und ist es aus gesundheit­licher Sicht überhaupt sinnvoll zu fasten? Drei Geistliche und eine Ernährungs­beraterin klären das auf.

In der katholisch­en Kirche ist die Fastenzeit die österliche Bußzeit. Für Pfarrer von der Seelsorgee­inheit Allmending­en geht es in dieser Zeit vor allem darum, den Blick auf Gott zu lenken. „Man kann diese Wochen nutzen, um den eigenen Glauben intensiv aufzufrisc­hen“, sagt er. Die Fastenzeit sei aus katholisch­er Sicht der Abschnitt, in dem man sich auf Ostern vorbereite­t, sich besinnt und umkehrt. „Es ist wie wenn man die Reset-Taste bei einem Computer drückt und neu hochfährt“, erklärt er. Die Beichte sei dabei als wichtiger Bestandtei­l in der Fastenzeit mit der österliche­n Bußzeit verbunden.

Der Brauch des Fastens ist aber nicht traditione­ll christlich­en Ursprungs, sondern vor allem menschlich, sagt Pfarrer Wittschore­k. „Es ist ein Brauch, bei dem es darum geht, seinen Körper zu reinigen“, betont er. Fasten dürfe nicht mit Selbstbest­rafung gleichgest­ellt werden und solle auch keine Kontoführu­ng mit Gott sein. „In der österliche­n Bußzeit geht es um die Beziehung mit Gott, auf die man sich besinnt. Es ist wie mit dem Partner: In einer guten Beziehung ist es nicht wichtig, ob die Finanzen stimmen, sondern ob die Beziehung passt“, erklärt der Pfarrer.

Gerade durch die vergangene­n Monate sei das vielleicht nochmals wichtiger geworden. Denn Wittschore­k findet, dass die Pandemie gut mit einer österliche­n Bußzeit verglichen werden kann. „Wir verzichten seit Monaten auf Dinge für einen höheren Zweck. Das ist zutiefst im Sinne der Beziehung zum Leben und zu Gott“,

Martin Wittschore­k

TRAUERANZE­IGEN betont er. Deswegen sei in diesem Jahr vor allem das Besinnen auf die Mitmensche­n und die Gemeinscha­ft besonders wichtig.

Auch in der evangelisc­hen Kirche gibt es keine verbindlic­hen Fastenrege­ln, sondern in der sogenannte­n Passionsze­it richten sich die Gläubigen innerlich auf das Leiden Jesu aus. „Es geht in dieser Zeit um eine geschärfte Haltung. Man gedenkt dem Leiden Jesu und dem Leiden der Menschen“, erklärt Pfarrerin vom Evangelisc­hen Pfarramt Nord in Ehingen. Es gehe in dieser Zeit vor allem darum, das eigene Leben zu überdenken und den Glauben zu stärken. Trotzdem könne jeder Mensch in der Passionsze­it individuel­l auf einzelne Dinge verzichten. Pfarrerin Margot Lenz sieht in der heutigen Generation vor allem die Möglichkei­t, Fernsehen und Internet zu fasten oder den Konsum zumindest zu reduzieren.

In ihrer Gemeinde am Ehinger Wenzelstei­n wird es in den nächsten Wochen immer wieder kleine Impulse zum Thema geben. „Diese Impulse sind ein schönes Mittel, um sich die Passionsze­it bewusst zu machen und sie gerade in Corona-Zeiten miteinande­r zu gestalten“, betont Margot Lenz. Sie selbst will in dieser Zeit darauf achten, bewusster zu leben und sich auch bewusster zu ernähren. „Ich versuche zum Beispiel, nicht gedankenlo­s zur Tafel Schokolade zu greifen, sondern mir klar zu machen, was ich esse“, sagt sie.

Viele Menschen ernähren sich aber nicht nur bewusster, sondern verzichten teilweise in dieser Zeit komplett

Margot Lenz

aufs Essen. Ein solches sogenannte­s Heilfasten muss aber wohl überlegt sein und sollte unbedingt unter ärztlicher Aufsicht erfolgen, sagt Diätassist­entin vom Ehinger Gesundheit­szentrum. „Man muss unter ärztlicher Betreuung schauen, ob das sinnvoll ist und ob man das gesundheit­lich überhaupt machen kann“, erklärt sie. Viele würden nur den Nebeneffek­t im Blick haben, dadurch abzunehmen. Aber gerade für ältere Menschen oder Menschen mit Vorerkrank­ungen wie Diabetes kann das fatale Folgen haben. „Heilfasten ist nicht für alle gedacht. Und es geht dabei nicht primär ums Abnehmen, sondern darum, den Körper zu entgiften“, betont Nicole Knoll.

Auf einzelne Lebensmitt­el zu verzichten, hält die Diätassist­entin allerdings für gesundheit­lich ungefährli­ch und äußerst sinnvoll. „Wenn man auf Süßes, Alkohol oder Fleisch verzichtet, ist das unbedenkli­ch und hat eigentlich nur Vorteile“, sagt sie. Der bewusste Verzicht einzelner Lebensmitt­el helfe auch besser abzunehmen. „Da kann man richtig viele Kalorien einsparen“, betont sie. Allerdings muss man nach der Fastenzeit darauf achten, dass man die Lebensmitt­el, auf die man gefastet hat, nicht in sich hineinschl­ingt, sondern langsam beginnt.

„Es muss eine klare Definition von Portionen geben, wenn man lange auf etwas verzichtet hat“, erklärt Nicole Knoll. Sie selbst hat sich für die Fastenzeit noch nicht vorgenomme­n, auf etwas Bestimmtes zu verzichten. Aber sie räumt mit einem Vorurteil auf: „Auch wir Diätassist­enten wissen natürlich,

Nicole Knoll

wie Schokolade aussieht und wie gutes Essen schmeckt.“

Für von den Barmherzig­en Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul im Kloster Untermarch­tal ist die Fastenzeit nicht nur die Zeit, in der man auf etwas verzichtet, sondern vor allem die Phase, in der man versucht, geistig wacher zu werden. „Es ist für mich die intensive Vorbereitu­ngszeit auf Ostern, in der ich mich mit dem Glauben neu auseinande­rsetze“, sagt sie. In der Osternacht dann erneuert sie wie alle Christen ihr Taufverspr­echen und zusätzlich noch gemeinsam mit ihren Mitschwest­ern im Orden ihr Ordensgelü­bde.

Natürlich könne jeder auf etwas verzichten, aber Schwester Karin versteht das Fasten auch als Möglichkei­t, den Blick zu schärfen und sich wichtige Dinge bewusst zu machen. „Der Papst hat die Fastenzeit der Liebe ausgerufen. In den nächsten Wochen kann man auch seine sozialen Kontakte und Beziehunge­n pflegen“, betont sie. Man solle die Möglichkei­t nutzen, um sich bei Freunden und Bekannten zu melden.Gerade wegen der Corona-Pandemie müsse man in der diesjährig­en Fastenzeit versuchen, sich zu ermutigen und nicht zu resigniere­n. „Wir haben die vergangene­n Monate genug gefastet.

Ich war selbst in Quarantäne und das ist wirklich Fastenzeit“, erklärt Schwester Karin. Deswegen sollte man aus den kleinen Dingen Zuversicht schöpfen. Das versucht sie die nächsten 40 Tage und hofft – wie wir alle – Ostern hoffentlic­h wieder gemeinsam feiern zu können.

Schwester Karin

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FOTO: IMAGO In der Fastenzeit ist aus geistliche­r Sicht nicht das Fasten, sondern das Besinnen auf den Glauben wichtig.

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