Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Die „Fastenzeit der Liebe“beginnt
Warum das Besinnen und nicht der Verzicht im Vordergrund stehen sollte
EHINGEN - Mit dem Aschermittwoch endet die Fasnet und startet die Fastenzeit – 40 Tage lang, bis Ostern. Für viele ist es Tradition, in dieser Zeit auf Dinge zu verzichten, die einem wichtig oder zur Gewohnheit geworden sind: Alkohol, Schokolade, Fernsehen. Für die Kirchen aus der Region steht in der Fastenzeit aber nicht der Verzicht im Vordergrund, sondern die Besinnung auf den Glauben und die Vorbereitung auf das Osterfest. Aber haben wir nach einem Jahr Pandemie nicht schon genug gefastet und ist es aus gesundheitlicher Sicht überhaupt sinnvoll zu fasten? Drei Geistliche und eine Ernährungsberaterin klären das auf.
In der katholischen Kirche ist die Fastenzeit die österliche Bußzeit. Für Pfarrer von der Seelsorgeeinheit Allmendingen geht es in dieser Zeit vor allem darum, den Blick auf Gott zu lenken. „Man kann diese Wochen nutzen, um den eigenen Glauben intensiv aufzufrischen“, sagt er. Die Fastenzeit sei aus katholischer Sicht der Abschnitt, in dem man sich auf Ostern vorbereitet, sich besinnt und umkehrt. „Es ist wie wenn man die Reset-Taste bei einem Computer drückt und neu hochfährt“, erklärt er. Die Beichte sei dabei als wichtiger Bestandteil in der Fastenzeit mit der österlichen Bußzeit verbunden.
Der Brauch des Fastens ist aber nicht traditionell christlichen Ursprungs, sondern vor allem menschlich, sagt Pfarrer Wittschorek. „Es ist ein Brauch, bei dem es darum geht, seinen Körper zu reinigen“, betont er. Fasten dürfe nicht mit Selbstbestrafung gleichgestellt werden und solle auch keine Kontoführung mit Gott sein. „In der österlichen Bußzeit geht es um die Beziehung mit Gott, auf die man sich besinnt. Es ist wie mit dem Partner: In einer guten Beziehung ist es nicht wichtig, ob die Finanzen stimmen, sondern ob die Beziehung passt“, erklärt der Pfarrer.
Gerade durch die vergangenen Monate sei das vielleicht nochmals wichtiger geworden. Denn Wittschorek findet, dass die Pandemie gut mit einer österlichen Bußzeit verglichen werden kann. „Wir verzichten seit Monaten auf Dinge für einen höheren Zweck. Das ist zutiefst im Sinne der Beziehung zum Leben und zu Gott“,
Martin Wittschorek
TRAUERANZEIGEN betont er. Deswegen sei in diesem Jahr vor allem das Besinnen auf die Mitmenschen und die Gemeinschaft besonders wichtig.
Auch in der evangelischen Kirche gibt es keine verbindlichen Fastenregeln, sondern in der sogenannten Passionszeit richten sich die Gläubigen innerlich auf das Leiden Jesu aus. „Es geht in dieser Zeit um eine geschärfte Haltung. Man gedenkt dem Leiden Jesu und dem Leiden der Menschen“, erklärt Pfarrerin vom Evangelischen Pfarramt Nord in Ehingen. Es gehe in dieser Zeit vor allem darum, das eigene Leben zu überdenken und den Glauben zu stärken. Trotzdem könne jeder Mensch in der Passionszeit individuell auf einzelne Dinge verzichten. Pfarrerin Margot Lenz sieht in der heutigen Generation vor allem die Möglichkeit, Fernsehen und Internet zu fasten oder den Konsum zumindest zu reduzieren.
In ihrer Gemeinde am Ehinger Wenzelstein wird es in den nächsten Wochen immer wieder kleine Impulse zum Thema geben. „Diese Impulse sind ein schönes Mittel, um sich die Passionszeit bewusst zu machen und sie gerade in Corona-Zeiten miteinander zu gestalten“, betont Margot Lenz. Sie selbst will in dieser Zeit darauf achten, bewusster zu leben und sich auch bewusster zu ernähren. „Ich versuche zum Beispiel, nicht gedankenlos zur Tafel Schokolade zu greifen, sondern mir klar zu machen, was ich esse“, sagt sie.
Viele Menschen ernähren sich aber nicht nur bewusster, sondern verzichten teilweise in dieser Zeit komplett
Margot Lenz
aufs Essen. Ein solches sogenanntes Heilfasten muss aber wohl überlegt sein und sollte unbedingt unter ärztlicher Aufsicht erfolgen, sagt Diätassistentin vom Ehinger Gesundheitszentrum. „Man muss unter ärztlicher Betreuung schauen, ob das sinnvoll ist und ob man das gesundheitlich überhaupt machen kann“, erklärt sie. Viele würden nur den Nebeneffekt im Blick haben, dadurch abzunehmen. Aber gerade für ältere Menschen oder Menschen mit Vorerkrankungen wie Diabetes kann das fatale Folgen haben. „Heilfasten ist nicht für alle gedacht. Und es geht dabei nicht primär ums Abnehmen, sondern darum, den Körper zu entgiften“, betont Nicole Knoll.
Auf einzelne Lebensmittel zu verzichten, hält die Diätassistentin allerdings für gesundheitlich ungefährlich und äußerst sinnvoll. „Wenn man auf Süßes, Alkohol oder Fleisch verzichtet, ist das unbedenklich und hat eigentlich nur Vorteile“, sagt sie. Der bewusste Verzicht einzelner Lebensmittel helfe auch besser abzunehmen. „Da kann man richtig viele Kalorien einsparen“, betont sie. Allerdings muss man nach der Fastenzeit darauf achten, dass man die Lebensmittel, auf die man gefastet hat, nicht in sich hineinschlingt, sondern langsam beginnt.
„Es muss eine klare Definition von Portionen geben, wenn man lange auf etwas verzichtet hat“, erklärt Nicole Knoll. Sie selbst hat sich für die Fastenzeit noch nicht vorgenommen, auf etwas Bestimmtes zu verzichten. Aber sie räumt mit einem Vorurteil auf: „Auch wir Diätassistenten wissen natürlich,
Nicole Knoll
wie Schokolade aussieht und wie gutes Essen schmeckt.“
Für von den Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul im Kloster Untermarchtal ist die Fastenzeit nicht nur die Zeit, in der man auf etwas verzichtet, sondern vor allem die Phase, in der man versucht, geistig wacher zu werden. „Es ist für mich die intensive Vorbereitungszeit auf Ostern, in der ich mich mit dem Glauben neu auseinandersetze“, sagt sie. In der Osternacht dann erneuert sie wie alle Christen ihr Taufversprechen und zusätzlich noch gemeinsam mit ihren Mitschwestern im Orden ihr Ordensgelübde.
Natürlich könne jeder auf etwas verzichten, aber Schwester Karin versteht das Fasten auch als Möglichkeit, den Blick zu schärfen und sich wichtige Dinge bewusst zu machen. „Der Papst hat die Fastenzeit der Liebe ausgerufen. In den nächsten Wochen kann man auch seine sozialen Kontakte und Beziehungen pflegen“, betont sie. Man solle die Möglichkeit nutzen, um sich bei Freunden und Bekannten zu melden.Gerade wegen der Corona-Pandemie müsse man in der diesjährigen Fastenzeit versuchen, sich zu ermutigen und nicht zu resignieren. „Wir haben die vergangenen Monate genug gefastet.
Ich war selbst in Quarantäne und das ist wirklich Fastenzeit“, erklärt Schwester Karin. Deswegen sollte man aus den kleinen Dingen Zuversicht schöpfen. Das versucht sie die nächsten 40 Tage und hofft – wie wir alle – Ostern hoffentlich wieder gemeinsam feiern zu können.
Schwester Karin