Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Angriffe sind Alltag
DRK-Studie bestätigt häufige Gewalt gegen Sanitäter – Deeskalationstraining soll helfen
BERLIN - Beschimpfen, Androhen von Gewalt, körperliche Übergriffe – fast vier von fünf Angriffen auf Rettungskräfte gehen von Menschen aus, denen eigentlich geholfen werden soll. Das geht aus einer Befragung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) hervor, die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Man wolle die Beschäftigten künftig durch Schulungen besser auf schwierige Situationen vorbereiten, kündigte DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt an. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wie groß ist das Problem?
Sehr groß. Die Befragung ergab, dass Rettungskräfte des DRK im Schnitt mindestens einmal pro Jahr beschimpft, bedroht oder sogar körperlich angegangen werden. Hasselfeldt wertete das als erschreckendes Ergebnis. Es zeige, dass „Beleidigungen, Beschimpfungen und auch körperliche Übergriffe mittlerweile zum Alltag im Rettungsdienst gehören“. Für die Studie wurden 425 Fragebögen von DRK-Beschäftigten ausgewertet.
Wie sieht die Gewalt gegen Rettungskräfte aus?
Die häufigsten Formen körperlicher Gewalt waren Schlagen, Treten (32,7 Prozent) sowie Schubsen (31,5 Prozent). Bei den verbalen Übergriffen liegen Beschimpfungen und Beleidigungen mit 91,1 Prozent weit vorn, gefolgt von der Androhung von Gewalt (55,3 Prozent). Nicht immer richtete sich die Gewalt gegen Personen. Auch das Einsatzfahrzeug oder Ausrüstungsgegenstände waren Ziel der Aggressionen.
Welche Situationen sind besonders gefährlich?
Oft kommt es schon direkt nach dem Eintreffen des Rettungsdienstes zu Problemen oder dann während der Behandlung eines Patienten. Einsätze am Abend oder in der Nacht sind deutlich gefährlicher als am Morgen oder am Tag.
Was hat die Gesetzesverschärfung von 2017 bewirkt?
Seit 2017 drohen härtere Strafen: Seither müssen Personen, die Rettungskräfte oder Feuerwehrleute angreifen, mit bis zu fünf Jahren Haft rechnen. Außerdem stellt das Gesetz das Gaffen an der Unfallstelle oder Blockieren einer Rettungsgasse
unter Strafe. Welchen Effekt diese höheren Strafandrohungen genau haben, ist bislang schwer zu sagen. Immerhin: Laut polizeilicher Kriminalstatistik ist die Zahl von Straftaten gegenüber Rettungskräften nicht weiter gestiegen. Sie verbleibt mit bundesweit rund 1500 Angriffen pro Jahr aber auf hohem Niveau. Beim DRK heißt es, mit dem Strafrahmen sei man zufrieden und eine weitere Erhöhung nicht nötig. Aber angezeigte Straftaten müssten besser von den Ermittlern verfolgt werden.
Mit welchen Mitteln wäre der Gewalt gegen Rettungskräfte besser beizukommen?
Die Autoren der Studie fordern vor allem Schulungen des Personals in Deeskalation und Kommunikation. Aber auch der Selbstschutz der Beschäftigten müsse gestärkt werden, unter anderem verlangten einige der begfragten Helfer eine Ausbildung in Selbstverteidigung. Zudem sollten Einsatzlagen, zum Beispiel Feste mit vielen alkoholisierten Besuchern, vorab frühzeitig als Orte identifiziert werden, an denen Gewalt drohen könnte. Vor allem aber solle die Dokumentation von Gewalttaten systematischer als bisher erfolgen. Hintergrund: 15,7 Prozent der Retterinnen und Retter gaben an, nach einem Übergriff auf eine Anzeige verzichtet zu haben – mit der Begründung, solche Verfahren seien sowieso aussichtslos und würden eingestellt.
Was sagt die Gewalt gegen Rettungskräfte über den Zustand unserer Gesellschaft aus?
Laut einer Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbunds zu dem Thema sehen 92 Prozent der Befragten in den Übergriffen ein Symptom des schwindenden gesellschaftlichen Zusammenhalts und einer gesellschaftlichen Verrohung. Für 87,7 Prozent sind sie Hinweis darauf, dass allgemein in der Gesellschaft die Hemmschwelle zu aggressivem Verhalten gesunken ist. Der Leiter der DRK-Studie, der DRK-Bundesarzt Peter Sefrin, fügte eine weitere Erklärung hinzu: Seitens der Patienten sei in zunehmendem Maße ein überzogener Anspruch gegenüber dem Rettungspersonal festzustellen, etwa was die Mitsprache bei der Art der Behandlung betrifft. „Ein Anspruchsdenken hat es schon immer gegeben. Aber es wurde nicht versucht, es mit Gewalt durchzusetzen“, konstatiert Sefrin.