Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
40 Cent mehr pro Kilogramm Fleisch
Expertenkommission gibt grünes Licht für Tierwohlabgabe – Zeitpunkt der Umsetzung noch unklar
BERLIN - Mit einer Abgabe könnte der Fleischkonsum in Deutschland verteuert werden, um mit den Einnahmen die Tierhaltung in den Ställen zu verbessern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Machbarkeitsstudie des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Damit könnte ein Startschuss für den Umbau der Tierhaltung gefallen sein. Das mahnt zumindest der frühere Landwirtschaftsminister Jochen Borchert an. Die nach ihm benannte Kommission hat Wege zu mehr Tierwohl ausgearbeitet. „Noch haben wir die Chance, die Umstellung der Nutztierhaltung selbst zu gestalten“, warnt Borchert vor einer Verzögerung des Umbaus.
Die Borchert-Kommission hatte eine Tierwohlabgabe ins Gespräch gebracht. 40 Cent mehr pro Kilogramm Fleisch sollen die Verbraucher im Supermarkt bezahlen. Bei Käse beträgt der vorgeschlagene Aufschlag 15 Cent, bei Butter zwei Cent. Mit den Einnahmen soll der Bund die Investitionen der Bauern in komfortablere Ställe bezahlen und eine Prämie für mehr Tierwohl finanzieren. Zugleich wollen die Experten ein Label einführen, an dem die Kunden den Grad des Tierwohls beim Einkauf erkennen können.
Hintergrund der Initiative: Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist selten so hoch wie beim Fleischkonsum. Eine große Mehrheit der Verbraucher will mehr Tierwohl in den Ställen. Doch an der Ladentheke greifen die Konsumenten vor allem nach den günstigsten Angeboten. Verbessern Landwirte die Haltungsbedingungen für Geflügel, Schweine oder Rinder, kostet sie das viel Geld. Ihre Erzeugnisse müssten teurer werden. Gegen Billigangebote aus dem In- und Ausland hätten hiesige Erzeuger kaum eine Chance. Wir kommen nicht um politische Instrumente herum“, sagt deshalb
Martin Scheele, der die 275-seitige Studie mitverfasst hat.
Der Umfang der Expertise deutet schon an, dass eine rechtssichere Lösung nicht ganz einfach ist. Denn der europäische Binnenmarkt setzt nationalen Alleingängen hier Grenzen. So ist eine reine Verteuerung des Fleisches zur Förderung heimischer Landwirte beim Einkauf wohl vom Tisch. Es ist nicht zulässig, Angebote aus dem Ausland mit einer Abgabe zu belegen, die anschließend nur den deutschen Landwirten zugute kommt. „Das wäre ein Verstoß gegen das EU-Recht“, sagt Mitautor Ulrich Karpenstein. Hier haben die Juristen wohl auch aus der Pkw-Maut gelernt, die an der Diskriminierung ausländischer Autobesitzer gescheitert ist.
Stattdessen weist die Studie drei Möglichkeiten zur Finanzierung besserer Haltungsbedingungen aus. Am leichtesten erscheint die Einführung einer Ergänzungsabgabe auf die Einkommenssteuer, also ein Soli für Huhn, Schwein und Rind. Rechtlich wäre dies problemlos. Allerdings erkennen die Autoren darin keine Lenkungswirkung für das Verbraucherverhalten. Im Supermarkt würde sich für die Konsumenten nichts ändern. Schließlich müssten auch Veganer für mehr Tierwohl blechen.
Beeinflusst würde das Verbraucherverhalten dagegen von einer Anhebung des Mehrwertsteuersatzes für tierische Produkte von derzeit sieben auf 19 Prozent oder alternativ aller Lebensmittel auf zehn Prozent. Auch eine reine Tierwohlabgabe pro Kilogramm hätte eine Steuerungswirkung. Diese beiden Varianten müssten jedoch in Einlang mit dem EU-Recht gebracht werden. Das halten die Juristen grundsätzlich für möglich, wenn die Zweckbindung der Einnahmen entfällt.
„Für mich geht es nicht um das Ob, wir reden über das Wie“, sagt Bundeslandwirtschaftsministerin
Julia Klöckner (CDU). Sie will einen parteiübergreifenden Konsens für den Systemumbau erreichen. Für ein Gesetz noch in dieser Wahlperiode ist die Zeit auch sehr knapp. Ende Juni beendet der Bundestag seine Arbeit praktisch.
Die Umweltorganisation Greenpeace erklärte, es gebe nun „keine Ausreden mehr“, die Machbarkeit der Vorschläge der Kommission sei belegt. Klöckner müsse sie noch vor der Bundestagswahl umsetzen. Die Anpassung an den Regelsteuersatz von 19 Prozent sei „überfällig“, erklärte Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter. Um Verbraucher und Verbraucherinnen zu entlasten, müsse jedoch zugleich der Mehrwertsteuersatz für Obst, Gemüse und Bioprodukte sinken.
Die FDP-Fraktion im Bundestag lehnt dagegen eine Steuer auf Fleisch für mehr Tierwohl ab. „Mit zusätzlichen Steuern, sei es durch eine Anhebung der Mehrwertsteuer oder eine gesonderte Fleischsteuer, ein Mehr an Tierwohl erreichen zu wollen, ist schlichtweg Augenwischerei“, sagte am Dienstag FDP-VizeFraktionschef Frank Sitta der Nachrichtenagentur AFP. Es sei „klar“, dass Gelder aus einer Fleischsteuer überhaupt nicht zielgerichtet bei den Landwirten im Stall ankommen, „sondern im Staatshaushalt versickern werden“.
Sitta kritisierte, Klöckner wecke „völlig falsche Hoffnungen, indem sie Landwirten freudig mit Geldscheinen zuwedelt“. Der FDP-Fraktionsvize forderte stattdessen eine „echte Tierwohl-Offensive mit einer generellen Anhebung der EU-weiten Tierhaltungsstandards und einem verbindlichen, einfachen und transparenten Tierwohllabel in der gesamten EU“. Zudem müssten Landwirte die Möglichkeit bekommen, durch die Abschaffung von unnötigen Hürden im Baurecht ihre Ställe einfacher anpassen zu können, sagte Sitta.