Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Storchenpaar mit Doppelwohnsitz
Storchenbetreuer erklärt, was sich derzeit an den Nestern am Landratsamt abspielt
EHINGEN - Wer in diesen Tagen in der Nähe des Landratsamts in Ehingen den Kopf hebt und in den Himmel blickt, könnte bemerkt haben, dass mehrere Störche immer wieder über die Nester kreisen. Mag gewöhnlich wirken, ist es aber in diesem Fall nicht. Momentan spielt sich an den beiden Nestern nämlich ein sehr spannendes Drama ab. Storchenbetreuer Rudi Kohlruß erklärt, was Dekadenz mit Störchen zu tun haben könnte und wann die ersten Jungstörche zu erwarten sind.
In Ehingen gibt es insgesamt drei Nester: eines auf dem Dach des Landratsamts, eines neben dem Landratsamt über einem Strommast und das dritte in der Webergasse. Pünktlich zur Brutzeit, die schon begonnen hat, wird auch in zwei Nestern in Ehingen fleißig gebrütet: Sowohl in der Webergasse als auch im Nest auf dem Strommast neben dem Landratsamt, erklärt der langjährige Storchenbetreuer Rudi Kohlruß.
Drei Nester und zwei Brutpaare: Klingt eigentlich völlig normal und stellt auch kein Problem dar, wenn da nicht das eine Brutpaar wäre, das sich nicht entscheiden kann. „Das Storchenpaar, das bisher auf dem Landratsamt gebrütet hat, ist umgezogen. Sie nisten jetzt im Nest auf dem Strommast neben dem Landratsamt.“Ein Umzug sei ja nichts
Ungewöhnliches, aber das Problem dabei sei, dass dieses Storchenpaar „etwas dekadent“sei, weil die Vögel zeitgleich noch ihr „altes“ursprüngliches Nest besetzen. Ein Nest zum Brüten, eines zum Leben quasi. Dass dieses Storchenpaar sich einfach nicht für ein Nest entscheiden kann, sorgt bei anderen Störchen, die auf Nestsuche sind, für Ärger.
„Es gibt das eine oder andere Storchenpaar, das bislang noch kein Nest für sich gefunden hat.“Durch die Zunahme der Population herrsche ein Mangel an Brutmöglichkeiten, also Nestern. Ein echter „Wohnungsmangel“, wenn man das so nennen möchte. Aus diesem Grund sei es öfter zu beobachten, dass Störche herumkreisen und noch nach möglichen „freien“Nestern suchen.
„Das Nest auf dem Strommast ist letztes Jahr von einem anderen Storchenpaar gebaut worden. Aber das Storchenpaar auf dem Landratsamt hat es fertiggebracht, dass sie nun beide Nester belegen.“Rudi Kohlruß beobachtet immer wieder, dass Störche über dem Landratsamt kreisen, weil sie sehen, dass da ein Nest ist, in dem kein Storch zum Brüten sitzt.
Ein freies Nest: genau das, was momentan Mangelware ist. Doch sobald sie „einziehen“möchten, werden sie vom alteingesessenen Storchenpaar
TRAUERANZEIGEN
verscheucht. „Ich habe gesehen, dass sie das Nest auf dem Landratsamt auch verteidigen, obwohl sie da gar nicht brüten“, erklärt Kohlruß.
Ob das normal für Störche ist, kann Kohlruß nicht sagen, aber er kann sich dabei das Lachen auch nicht verkneifen: „Das müsste man mal die Störche selbst fragen. Aber es ist auf jeden Fall kurios, was da vor sich geht. Die haben einfach zwei Wohnungen.“Es sei so wie bei den Menschen, fügt Kohlruß hinzu: „Sie haben gleich mehrere Wohnungen und lassen trotz Wohnungsmangel auch eine mal gern leer stehen, anstatt sie zu vermieten oder zu verkaufen.“Der Storchenbetreuer kommt somit zu dem Ergebnis, dass es nicht nur dekadente Menschen gäbe, sondern auch dekadente Störche.
Durch die Zunahme der Störche vermutet Rudi Kohlruß, dass es über das Jahr hinweg immer wieder zu beobachten sein werde, dass vielleicht sogar junge Störche, die gar nicht geschlechtsreif sind über das Land ziehen werden. In zwei bis vier Wochen wird dann auch die Storchenpopulation in Ehingen zunehmen, wenn die ersten Störche der beiden Brutpaare schlüpfen.
Im Juni kann man dann vielleicht schon die Jungstörche bei ihren ersten Flugversuchen, Start- und Landemanövern beobachten.