Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Mit Plakaten gegen den „Puff Europas“
„Mädchenhandel passiert auch vor unserer Haustür“– Bündnis macht aufmerksam
NEU-ULM/ULM - Manchen Passanten sind die Plakate wahrscheinlich schon aufgefallen. Von schwarzem Hintergrund scheinen junge Mädchen die Vorbeigehenden anzustarren. Auf ihrer Haut steht „Not for Sale“, auf Deutsch: nicht zum Verkauf. Daneben stehen in weißen Lettern Informationen zu den Themen Mädchenhandel, Prostitution und Sextourismus. Das Frauenbüro der Stadt Ulm und das Ulmer Bündnis gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution möchten damit ein Problem thematisieren, das gerade in Deutschland existiert, aber oft unbeachtet bleibe.
Die Plakataktion entwickelte die Fotografin Lena Reiner 2016. Die nun 32-jährige fotografierte für die Plakate 20 Schülerinnen der St. Elisabeth-Realschule in Friedrichshafen von 11 bis 16 Jahren. Diese Altersgruppe ist weltweit am meisten gefährdet, Opfer von Menschenhandel zu werden. Die Schülerinnen wurden ausgewählt, um zu vermitteln, dass Handel mit Minderjährigen und Zwangsprostitution kein ausländisches oder importiertes Problem sei, sondern auch Mädchen aus dem eigenen Umfeld betroffen sein können.
Die Fotos wurden schon in Friedrichshafen, Biberach, Aalen, Münster und Hamburg ausgestellt. Jetzt hängen die insgesamt 20 Plakate unter anderem am Ulmer Bahnhof, im Kobelgraben und an Baustellen in der Karlstraße sowie in Neu-Ulm in der Bahnhofsstraße, am Petrusplatz und am Allgäuer Ring. Mindestens zwei Monate sollen sie dort bleiben.
Am Mittwoch wurde die Aktion mit Vertretern der Städte Ulm und Neu-Ulm eröffnet. „Damit wollen wir das Thema Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Kindern und jungen Frauen in die Öffentlichkeit tragen“, erklärte Diana Bayer, Leiterin des Frauenbüros der Stadt Ulm. Mädchenhandel sei ein unterschätztes Problem in Deutschland. „Es passiert auch hier vor unserer Haustür.“
Laut dem Bericht des Bundeskriminalamtes
gab es im Jahr 2019 155 registrierte Fälle von Mädchenhandel in Deutschland. Die Zahlen seien zwar in den vergangenen Jahren rückläufig, doch sie stellen lediglich die strafrechtlich erfassten Fälle dar. Das Dunkelfeld sei weitaus größer, so Bayer. Aktuell werden Mädchen und junge Frauen in Deutschland besonders durch die Loverboy-Methode zur SexArbeit gezwungen. Dabei nähert sich ein meist sehr attraktiver Mann seinem Opfer emotional an, isoliert sie von ihrem sozialen Umfeld und drängt sie in die Prostitution. In diesen Fällen waren 2019 68 Prozent der Opfer Mädchen mit deutscher Staatsbürgerschaft. „Das Problem zieht sich durch alle Schichten und kennt keine unterschiedlichen Nationalitäten“, warnte Bayer.
„Wir sind froh, dass wir die Aktion hierherholen konnten“, sagte Dagmar Engels vom Ulmer Bündnis gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution. „Wegen Corona fielen die meisten unserer Veranstaltungen aus.“Die Mitglieder des Bündnisses sprechen sich geschlossen für das sogenannte „Schwedische Modell“aus. In dem skandinavischen Land ist Prostitution verboten und bei Verstößen wird der Freier bestraft, nicht die Prostituierte. Deutschland sei durch seine liberale Gesetzgebung bezüglich der Prostitution zum „Puff Europas“geworden, kritisieren sie.