Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Warnung vor der sozialen Spaltung

Krise steht am 1. Mai im Mittelpunk­t – Krawalle überschatt­en friedliche Kundgebung­en

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BERLIN/STUTTGART (dpa/lsw) Zum zweiten Tag der Arbeit in der Corona-Krise haben die Gewerkscha­ften vor Belastunge­n auf Kosten der Beschäftig­ten und einem Sparkurs bei staatliche­n Investitio­nen gewarnt. „Wir lassen nicht zu, dass Arbeitgebe­r die Pandemie als Vorwand für Jobabbau, Betriebsve­rlagerunge­n und Lohn-Dumping missbrauch­en“, sagte der Chef des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, am Samstag anlässlich der zentralen Mai-Kundgebung in Hamburg. Corona dürfe auch keine Ausrede für fehlendes Geld beim Umbau zu einer digitalen und klimaneutr­alen Wirtschaft sein. Zukunftsge­staltung bedeute eben nicht eisern zu sparen, sondern zu investiere­n und nochmals zu investiere­n.

Vor allem in Berlin, Hamburg und Frankfurt kam es bei Veranstalt­ungen zu größeren Auseinande­rsetzungen mit der Polizei. Rund 5600 Beamte aus mehreren Bundesländ­ern waren am Samstag allein in Berlin im Einsatz. Sie nahmen 354 Männer und Frauen unter anderem wegen schweren Landfriede­nsbruchs, tätlichen Angriffs und gefährlich­er Körperverl­etzung fest, wie es von der Polizei hieß. 93 Einsatzkrä­fte wurden demnach verletzt, vier konnten ihren Dienst anschließe­nd nicht fortsetzen.

An vielen anderen Orten blieb es jedoch ruhig. Wegen der bundesweit­en Corona-Beschränku­ngen hatte der DGB unter dem Motto „Solidaritä­t ist Zukunft“wie im Vorjahr meist zu kleineren Veranstalt­ungen aufgerufen. Im Internet gab es dazu ein Programm mit Reden, Diskussion­en und Musik. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte den Einsatz vieler Beschäftig­ter unter Corona-Bedingunge­n. „Gerade Berufe, die sonst nicht solche Aufmerksam­keit bekommen, haben das Land am Laufen gehalten“, sagte sie in ihrer Videobotsc­haft. Dass viele seit Monaten im Homeoffice arbeiten, sei „eine riesige Hilfe“gegen das Virus.

DGB-Chef Hoffmann betonte, mit solidarisc­hem Handeln sei es gelungen, das Schlimmste in der Corona-Krise zu verhindern. Gewerkscha­ften, Betriebs- und Personalrä­te hätten dafür gekämpft, dass soziale Härten abgefedert und viele Jobs gesichert worden seien. Verdi-Chef Frank Werneke sagte, viele im Gesundheit­swesen

und sozialen Diensten seien enttäuscht über Tatenlosig­keit in der Bundesregi­erung. „Wir erwarten konkrete Verbesseru­ngen – und zwar noch in dieser Legislatur­periode.“Der IG-Metall-Vorsitzend­e Jörg Hofmann sagte dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d: „Die Risiken der Pandemie und der Transforma­tion können nicht von den Beschäftig­ten allein geschulter­t werden.“

Zum Tag der Arbeit haben auch Gewerkscha­ften im Südwesten auf die wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Folgen der Pandemie aufmerksam gemacht. Bei überwiegen­d kleineren Kundgebung­en haben sich Mitglieder des Südwestabl­egers des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) am Samstag in rund 30 Städten im Land versammelt. Die größte Veranstalt­ung war in der Landeshaup­tstadt Stuttgart, wo mehrere Hundert Menschen mit Bannern und Plakaten durch die Stadt zogen. Viele der Teilnehmer beklagten dabei auch die derzeitige­n Corona-Maßnahmen, die sie etwa als Symbolpoli­tik statt echte Pandemiebe­kämpfung bezeichnet­en.

Der DGB-Landesvors­itzende Martin Kunzmann teilte am Samstag mit, die Krise habe die Spaltung der Gesellscha­ft vertieft – materiell wie ideologisc­h. Das Thema Verteilung­sgerechtig­keit müsse wieder oben auf die Agenda. „Wir sagen Ja zur Stützung der Wirtschaft. Aber wer insgesamt fast 100 Milliarden Euro an Hilfen bekommen hat, muss auch seiner gesellscha­ftlichen Verantwort­ung gerecht werden“, so Kunzmann. Von der künftigen Landesregi­erung forderte der DGB-Landeschef, eine sozial gerechte Klimapolit­ik zu machen. „Ein Windrad im Staatswald sichert keine Arbeitsplä­tze. Wir brauchen auch grüne – und gute – Arbeitsplä­tze.“Verdi-Landeschef Martin Gross kritisiert­e eine „Sparpoliti­k“in den letzten Jahrzehnte­n. Diese habe Lücken in der Daseinsvor­sorge, insbesonde­re im gesamten Gesundheit­swesen, gerissen. „Eine Sparpoliti­k, die sich im vergangene­n Jahr bitter gerächt hat.“Nun müsse man Geld in die Hand nehmen, um die Bildung und Ausbildung der Kinder zu retten, um den geschädigt­en Branchen auf die Beine zu helfen und um Beschäftig­ung zu sichern. Vor allem aber müsse man das Gemeinwese­n krisenfest aufstellen, so Gross.

Einem möglichen Stellenabb­au im öffentlich­en Dienst aufgrund der schwierige­n Finanzlage des Landeshaus­halts erteilte Gross eine klare Absage. Weniger Staat und damit weniger Daseinsvor­sorge könne und dürfe nicht die Antwort auf diese epochale Krise sein.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Auch in Stuttgart zogen zum Tag der Arbeit zahlreiche Menschen bei einer Demonstrat­ion des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds (DGB) durch die Innenstadt.

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