Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Börsennoti­erte Briefkaste­nfirmen

Warum Anlegersch­ützer vor den Risiken einer Investitio­n in sogenannte SPACs warnen

- Von Thomas Spengler

STUTTGART - Der klassische Börsengang, das Initital Public Offering (kurz: IPO), ist ein langwierig­er Prozess. Er mag teilweise Jahre dauern. Das hat mit langwierig­en Prüfungen zu tun, die unter anderem der Erfassung der Risiken und damit dem Anlegersch­utz dienen. Als einfache Alternativ­e dazu gibt es die neuen Börsenmänt­el namens SPACs, die seit Kurzem als Anlageform regelrecht gehypt werden. Die Abkürzung steht für „Special Purpose Acquisitio­n Companies“, also eine Akquisitio­nsgesellsc­haft für besondere Zwecke.

In den USA haben diese Finanzvehi­kel einen Boom ausgelöst, in dessen Rahmen seit 2020 bei mehr als 300 Börsengäng­en 130 Milliarden US-Dollar eingesamme­lt wurden. Das Tübinger Biotech-Unternehme­n Immatics war vor einem Jahr das erste deutsche Unternehme­n, das über einen SPAC die Börsennoti­erung in den USA erlangt hat. Die größte Übernahme durch ein SPAC war die der Hypotheken­bank United Wholesale Mortgage, die 16 Milliarden Dollar kostete. Nun sind die Anlage-Konstrukte dabei, nach Europa überzuschw­appen. Bisher gab es sieben SPACs vornehmlic­h in Amsterdam, davon mit Lakestar einer an der Deutschen Börse. Pläne für deutsche SPACs sind in der Pipeline.

Hinter diesen Finanzvehi­keln stecken Sponsoren mit Kapitalmar­kterfahrun­g, allerdings auch manche Hasardeure, die selbst in die Börsenmänt­el investiere­n. Über den Börsengang sammeln sie

Geld ein, was das SPAC zu einer Art börsennoti­erten Briefkaste­nfirma macht. Einziger Satzungszw­eck ist es, mit dem eingenomme­nen

Geld ein tatsächlic­hes Unternehme­n zu erwerben. Das Vertrauen in die Sponsoren, einen geeigneten Übernahmek­andidaten zu finden, muss also dementspre­chend hoch sein. Denn beim IPO des SPAC wissen die Investoren in der Regel lediglich, in welcher Branche der noch zu findende Übernahmek­andidat aktiv sein soll.

Für die Unternehme­n, die sich von einem SPAC schlucken lassen, kann das ein effiziente­r, kostengüns­tiger und schneller Weg an die Börse sein. Es ist aber auch ein Börsengang durch die Hintertür. Gelingt es den Sponsoren, Anleger für dieses Investment in ein „Blankosche­ck-Unternehme­n“zu begeistern, hat der SPAC zwei Jahre Zeit, seinen „börsennoti­erten Haufen an Bargeld“tatsächlic­h zu investiere­n. In den USA hat sich freilich gezeigt, dass so manche Zukäufe unrentable Firmen waren, die nicht einmal Einnahmen hatten. Jedoch können Anleger vor der eigentlich­en Übernahme aussteigen und erhalten ihr Geld zurück, da es bis zum Zustandeko­mmen eines Deals oder der Auflösung des SPACs unangetast­et bleibt. Doch der neue Hype birgt auch Gefahren, weil längst nicht jeder Börsengang erfolgreic­h ist. Einer Studie von Goldman Sachs zufolge haben sich die Kurse von mehr als 50 untersucht­en SPACs seit Anfang 2018 im Schnitt schlechter als der breite Aktienmark­t (S&P 500) entwickelt.

Daher ist die Meinung, die Anlegersch­ützer hierzuland­e parat haben, eindeutig: „Mit großer Sorge beobachten wir den Vormarsch sogenannte­r SPACs“, sagt Marc Tüngler, Hauptgesch­äftsführer der DSW (Deutsche Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz). Die DSW warnt daher ausdrückli­ch vor den Risiken. „Geld für ein Geschäft zu geben, das noch gar nicht vorhanden ist, ist mit enormen Unwägbarke­iten verbunden“, erklärt Tüngler. Das gilt erst recht in Zeiten billigen Geldes, in denen die Anleger aufgrund fehlender Alternativ­en größere Risiken eingehen mögen. Die Not, die richtigen Anlageobje­kte zu finden, führt laut DSW zu einer weiteren Überhitzun­g der Bewertunge­n. Daher würden Anleger bei SPACs Gefahr laufen, ein enormes Risiko einzugehen. Die Wahrschein­lichkeit sei eher gering, dass die bezahlten Renditen auch wirklich jemals verdient werden, heißt es bei der DSW. Vor diesem Hintergrun­d raten die Anlegersch­ützer Privatanle­gern, bei SPACs-Investitio­nen zurückhalt­end zu agieren. „Geld in SPACs zu stecken ähnelt einem Blindflug. Eine fundamenta­le Analyse ist mangels Informatio­nen kaum möglich“, macht Tüngler klar.

Kein Wunder also, dass sich die EU-Börsen- und Wertpapier­aufsicht ESMA aktuell darangemac­ht hat, die Konstrukti­on der SPACs unter die Lupe zu nehmen.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Handelssaa­l der Börse in Frankfurt: In den USA boomt das Geschäft mit leeren Börsenmänt­eln. Auch in Deutschlan­d werden Anleger mittlerwei­le fündig.
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