Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Börsennotierte Briefkastenfirmen
Warum Anlegerschützer vor den Risiken einer Investition in sogenannte SPACs warnen
STUTTGART - Der klassische Börsengang, das Initital Public Offering (kurz: IPO), ist ein langwieriger Prozess. Er mag teilweise Jahre dauern. Das hat mit langwierigen Prüfungen zu tun, die unter anderem der Erfassung der Risiken und damit dem Anlegerschutz dienen. Als einfache Alternative dazu gibt es die neuen Börsenmäntel namens SPACs, die seit Kurzem als Anlageform regelrecht gehypt werden. Die Abkürzung steht für „Special Purpose Acquisition Companies“, also eine Akquisitionsgesellschaft für besondere Zwecke.
In den USA haben diese Finanzvehikel einen Boom ausgelöst, in dessen Rahmen seit 2020 bei mehr als 300 Börsengängen 130 Milliarden US-Dollar eingesammelt wurden. Das Tübinger Biotech-Unternehmen Immatics war vor einem Jahr das erste deutsche Unternehmen, das über einen SPAC die Börsennotierung in den USA erlangt hat. Die größte Übernahme durch ein SPAC war die der Hypothekenbank United Wholesale Mortgage, die 16 Milliarden Dollar kostete. Nun sind die Anlage-Konstrukte dabei, nach Europa überzuschwappen. Bisher gab es sieben SPACs vornehmlich in Amsterdam, davon mit Lakestar einer an der Deutschen Börse. Pläne für deutsche SPACs sind in der Pipeline.
Hinter diesen Finanzvehikeln stecken Sponsoren mit Kapitalmarkterfahrung, allerdings auch manche Hasardeure, die selbst in die Börsenmäntel investieren. Über den Börsengang sammeln sie
Geld ein, was das SPAC zu einer Art börsennotierten Briefkastenfirma macht. Einziger Satzungszweck ist es, mit dem eingenommenen
Geld ein tatsächliches Unternehmen zu erwerben. Das Vertrauen in die Sponsoren, einen geeigneten Übernahmekandidaten zu finden, muss also dementsprechend hoch sein. Denn beim IPO des SPAC wissen die Investoren in der Regel lediglich, in welcher Branche der noch zu findende Übernahmekandidat aktiv sein soll.
Für die Unternehmen, die sich von einem SPAC schlucken lassen, kann das ein effizienter, kostengünstiger und schneller Weg an die Börse sein. Es ist aber auch ein Börsengang durch die Hintertür. Gelingt es den Sponsoren, Anleger für dieses Investment in ein „Blankoscheck-Unternehmen“zu begeistern, hat der SPAC zwei Jahre Zeit, seinen „börsennotierten Haufen an Bargeld“tatsächlich zu investieren. In den USA hat sich freilich gezeigt, dass so manche Zukäufe unrentable Firmen waren, die nicht einmal Einnahmen hatten. Jedoch können Anleger vor der eigentlichen Übernahme aussteigen und erhalten ihr Geld zurück, da es bis zum Zustandekommen eines Deals oder der Auflösung des SPACs unangetastet bleibt. Doch der neue Hype birgt auch Gefahren, weil längst nicht jeder Börsengang erfolgreich ist. Einer Studie von Goldman Sachs zufolge haben sich die Kurse von mehr als 50 untersuchten SPACs seit Anfang 2018 im Schnitt schlechter als der breite Aktienmarkt (S&P 500) entwickelt.
Daher ist die Meinung, die Anlegerschützer hierzulande parat haben, eindeutig: „Mit großer Sorge beobachten wir den Vormarsch sogenannter SPACs“, sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der DSW (Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz). Die DSW warnt daher ausdrücklich vor den Risiken. „Geld für ein Geschäft zu geben, das noch gar nicht vorhanden ist, ist mit enormen Unwägbarkeiten verbunden“, erklärt Tüngler. Das gilt erst recht in Zeiten billigen Geldes, in denen die Anleger aufgrund fehlender Alternativen größere Risiken eingehen mögen. Die Not, die richtigen Anlageobjekte zu finden, führt laut DSW zu einer weiteren Überhitzung der Bewertungen. Daher würden Anleger bei SPACs Gefahr laufen, ein enormes Risiko einzugehen. Die Wahrscheinlichkeit sei eher gering, dass die bezahlten Renditen auch wirklich jemals verdient werden, heißt es bei der DSW. Vor diesem Hintergrund raten die Anlegerschützer Privatanlegern, bei SPACs-Investitionen zurückhaltend zu agieren. „Geld in SPACs zu stecken ähnelt einem Blindflug. Eine fundamentale Analyse ist mangels Informationen kaum möglich“, macht Tüngler klar.
Kein Wunder also, dass sich die EU-Börsen- und Wertpapieraufsicht ESMA aktuell darangemacht hat, die Konstruktion der SPACs unter die Lupe zu nehmen.