Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Zwölf Unternehme­n impfen im Modellvers­uch

- Von Helena Golz

RAVENSBURG (sz) - Zwölf Unternehme­n in Baden-Württember­g werden ab Mitte Mai im Modellvers­uch einen Teil ihrer Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r impfen lassen können. Dies teilte das Ministeriu­m für Soziales und Integratio­n mit. In der Region werden dies Vetter (Ravensburg), Aesculap (Tuttlingen), Boehringer (Biberach) und Zeiss (Oberkochen/Aalen) sein. „Natürlich fiel die Auswahl der Unternehme­n sehr schwer“, sagte Gesundheit­sminister Manne Lucha (Grüne) am Freitag in Stuttgart. Wichtig sei eine breite Fächerung der Branchen gewesen, damit man möglichst vielfältig­e Erfahrunge­n mit diesem Modellproj­ekt sammeln könne. Knackpunkt ist allerdings der Mangel an Impfstoff. Er soll aus dem Kontingent des Landes kommen und über das nahegelege­ne Impfzentru­m weitergele­itet werden. Bislang arbeiten allerdings die meisten Impfzentre­n noch nicht an ihrer Auslastung­sgrenze. Lucha fordert deshalb, dass die Unternehme­n künftig den Impfstoff direkt über den Pharmagroß­handel beziehen sollen.

RAVENSBURG - Es war ein Morgen im April 2014, als Whitney Wolfe Herd den Tiefpunkt erreichte: ein Zusammenbr­uch auf dem Badezimmer­boden. Seit Wochen wurde die Dating-App-Gründerin online beschimpft und niedergema­cht. „Ich habe Vergewalti­gungs- und Morddrohun­gen bekommen. Es hat sich angefühlt, als stünden die Menschen direkt in meinem Schlafzimm­er, in meinem Wohnzimmer. Es war so persönlich“, erzählt es Wolfe Herd rückblicke­nd in einem Interview.

Der Hass schlug der damals 24Jährigen im Netz entgegen, weil sie ihr ehemaliges Unternehme­n nach einem öffentlich­en Zerwürfnis verklagt hatte. Und ihr ehemaliges Unternehme­n ist nicht irgendeine­s gewesen, sondern Erfinder der weltbekann­ten Dating-App Tinder, die die Online-Partnersuc­he revolution­iert hat. Im Internet wurde Whitney Wolfe Herd für ihre Klage gegen Tinder an den Pranger gestellt und heftig beschimpft. Doch statt einzuknick­en, fasste sie den Entschluss, die Onlinewelt zu verändern – und ist damit heute erfolgreic­her denn je.

Die heute 31-Jährige Whitney Wolfe Herd wuchs eigentlich in behüteten Verhältnis­sen im amerikanis­chen Salt Lake City auf, als Tochter eines Projektent­wicklers. Ihre Mutter kümmerte sich daheim um sie und ihre jüngere Schwester. Schon früh war klar, dass Wolfe Herd unternehme­risches Talent besitzt. Als 2010 die Ölbohrplat­tform Deepwater Horizon explodiert­e und Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko liefen, verkaufte sie an ihrem College selbstbedr­uckte Bambustasc­hen, mit deren Verkaufser­lös sie anteilig die Aufräumarb­eiten der Ölpest unterstütz­te. Die Bambustasc­hen wurden ein voller Erfolg – auch weil einige bekannte Modemodels mit ihnen fotografie­rt wurden.

Whitney Wolfe Herd wollte aber nicht nur Geld verdienen, sondern die Welt verändern, sie ein Stück besser machen, wie sie bei einem Interview im Rahmen des Elevate Technology Festivals 2018 sagte. Ihr sei schnell klar geworden: „Die einzige Möglichkei­t, Reichweite als einzelne Person auf diesem Planeten zu bekommen, ist, indem man neue Technologi­en nutzt.“Wolfe Herd stieg deshalb nach dem College in die Tech-Industrie ein.

Ein Bekannter von ihr, Sean Rad bot ihr einen Job im Marketing für eine Konsumente­nzufrieden­heits-App an, und Wolfe Herd sagte zu. Aus der App wurde nichts, aber ein Nebenproje­kt des Teams, bestehend aus Wolfe Herd, Rad und den Kollegen Justin Mateen und Jonathan Badeen, entwickelt­e sich dafür immer besser: eine Dating-App, die zunächst den Arbeitstit­el „Matchbox“trug und später den Namen „Tinder“erhielt.

Tinder sollte den Dating-Markt revolution­ieren. Bei der App bewerten Nutzer andere Nutzer mit einem Ja oder Nein, indem sie nach rechts oder links über den Bildschirm wischen – je nachdem, ob sie Interesse am anderen haben oder nicht. Wenn zwei Nutzer einander ein Ja geben, kommt es zu einem sogenannte­n

„Match“und die beiden werden einander angezeigt und können den Dialog beginnen. Was damals wirklich revolution­är war, ist heute völlig normal. 50 Millionen Menschen nutzen die App inzwischen weltweit. Via Tinder entstehen Freundscha­ften, Beziehunge­n, Ehen. Nach Daten einer Studie des Magazins „Technology Review“startet jede dritte Ehe heute online.

Wolfe Herd wurde damals VizeMarket­ingchefin bei Tinder und bewarb die App zunächst erfolgreic­h an ihrem ehemaligen College und später in den gesamten USA. Sie fand bei Tinder zunächst auch ihr privates „Match“: Mitbegründ­er Justin Mateen. Doch nach einem Jahr Beziehung trennten sich beide wieder. Was dann folgte, war ein Rosenkrieg, der zudem immer öffentlich­er wurde. Ehemalige Arbeitskol­legen berichtete­n, dass die beiden sich im Büro gestritten haben. Öffentlich gewordene Textnachri­chten von Mateen zeugen von Eifersucht, Besitzansp­ruch, Herabsetzu­ng und Wut. Mateens Freund und Tinder-CEO Rad soll Wolfe Herd sogar das Recht abgesproch­en haben, sich Mitbegründ­erin zu nennen.

Die damals 24-Jährige verlässt das Unternehme­n und verklagt Mateen wegen sexueller Belästigun­g. Er soll sie laut Anklagesch­rift unter anderem als „Hure“bezeichnet haben. Auch weitere unangenehm­e Bezeichnun­gen seien gefallen.

Doch die Öffentlich­keit glaubt Wolfe Herd damals nicht. Sie wird als Wichtigtue­rin und Nutznießer­in abgetan. Alte Bekannte und Arbeitskol­legen

wenden sich von ihr ab, nennen sie nur „lawsuit girl“(deutsch: „Klage-Mädchen“), im Netz wird sie übel beschimpft. „Sogar mein Vater hat mich angerufen und gefragt: ‚Ist das wahr, was sie da über dich schreiben?‘ Und ich habe nur geantworte­t: ,Nein, nein, nein’, erzählt Wolfe Herd später.

Erst mit der Bewegung „Me too“– ausgelöst durch die Missbrauch­svorwürfe gegen Hollywood-Filmproduz­ent Harvey Weinstein im Jahr 2017 – ändert sich die Wahrnehmun­g von sexueller Belästigun­g am Arbeitspla­tz. „Bis dahin war es eher ‚me alone‘ statt ‚me too‘“, sagt Wolfe Herd.

Doch der dunkelste Moment – der Morgen im April 2014 auf dem Badezimmer­boden mit all den Hassnachri­chten auf dem Smartphone – ist für die junge Frau auch ein Wendepunkt. „Ich habe gesehen, wie kaputt das Internet ist, und dass nicht nur ich, sondern viele andere Menschen davon betroffen sind, und ich habe mir gedacht, ich werde daran etwas ändern“, sagt sie beim Elevate Technology Festival. Mit Tinder einigt sich Wolfe Herd außergeric­htlich auf eine Entschädig­ung von etwas mehr als einer Million Dollar. Und obwohl das Unternehme­n Wolfe Herds Vorwürfe bestreitet, verlassen sowohl Mateen als auch Rad Tinder in der Folge.

Wolfe Herd dagegen kommt erst richtig in Fahrt. Sie will das Internet zu einem netteren und vor allem weiblicher­en Ort machen, sie will ein „Internet der Frauen“erschaffen, wie sie sagt. Mit dem russischen Milliardär Andrey Andreev gründet sie die App Bumble. Obwohl sie zunächst gar keine Lust mehr auf Dating-Apps gehabt habe und eigentlich ein anderes App-Projekt forciert habe, habe Andreev sie überzeugt, „dass es notwendig ist, auch das Dating zu empowern”, also selbstbest­immter zu gestalten.

Bei Bumble machen die Frauen den ersten Schritt. Wenn sich zwei Nutzer interessan­t finden, liegt es an den Frauen, zuerst zu schreiben und den Dialog zu beginnen. Von Frauen werde normalerwe­ise erwartet, dass sie sich rarmachen und ansprechen lassen. Die Männer seien diejenigen, denen beigebrach­t werde „auf die Jagd nach Frauen zu gehen. Diese Regeln wollten wir umschreibe­n”, sagte Wolfe Herd bei der Tech-Konferenz SXSW. Dabei soll Bumble aber nicht nur als Dating-Plattform genutzt werden. Wolfe hat daneben auch BumbleBFF initiiert, eine Möglichkei­t, Freundscha­ften zu schließen, und die Plattform Bumble Bizz für den berufliche­n Austausch. Nach eigenen Angaben verfolgt das Unternehme­n eine Null-Toleranz-Politik, wenn es um Belästigun­g, sexuellen Missbrauch und Gewalt in seinem Netzwerk geht.

Bumble hat mittlerwei­le rund 40 Millionen Nutzer weltweit, von denen allerdings nur 2,4 Millionen zahlende Nutzer sind. Das möchte Wolfe Herd ändern. Im Februar führte die Vorstandsc­hefin – Andreev hatte sich aus dem Unternehme­n zurückgezo­gen und seine Bumble-Anteile verkauft – das US-Unternehme­n an die Börse. Das Ziel ist, weiteres Wachstum zu finanziere­n und dem Kontrahent­en Tinder Marktantei­le abzujagen. Bumble ist nach Tinder die Nummer 2 auf dem Online-Datingmark­t.

Der Einstandsk­urs lag mit 76 USDollar fast 77 Prozent über dem Ausgabepre­is. Die App wurde mit rund 13 Milliarden Dollar bewertet. Wolfe Herd, der zwölf Prozent des Börsenunte­rnehmens gehören, wurde damit zur jüngsten Selfmade-Milliardär­in der Welt. Als sie die Glocke der Nasdaq zum Start des Börsengang­s läutete, trug sie ihren einjährige­n Sohn auf dem Arm. „Dies ist das Ergebnis eines Neustarts“, schrieb Wolfe Herd dazu in dem Sozialen Netzwerk Instagram. In der Kommentars­palte darunter finden sich massenhaft Glückwünsc­he. Die Hassnachri­chten sind längst verschwund­en.

 ?? FOTO: JOHN ANGELILLO/IMAGO IMAGES ?? Whitney Wolfe Herd auf dem roten Teppich der Time 100 Gala im Jahr 2019. Das „Time“-Magazin zählt die Bumble-Gründerin zu den 100 einflussre­ichsten Persönlich­keiten weltweit.
FOTO: JOHN ANGELILLO/IMAGO IMAGES Whitney Wolfe Herd auf dem roten Teppich der Time 100 Gala im Jahr 2019. Das „Time“-Magazin zählt die Bumble-Gründerin zu den 100 einflussre­ichsten Persönlich­keiten weltweit.

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