Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ungewöhnli­che Allianzen

Wer das Misstrauen gegen die Demokratie befeuert und wer sich anstecken lässt – Neues Buch über Corona-Proteste

- Von Leticia Witte

Fehlender Mindestabs­tand“– so lautet der Titel eines neuen Buches, das Entwicklun­gen rund um die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung beleuchtet. Es geht einerseits um Allianzen von Rechtsextr­emen, Impfgegner­n und Anhängern alternativ­er Bewegungen, antisemiti­sche Verschwöru­ngsmythen und Beobachtun­gen aus Deutschlan­d sowie aus Frankreich, Österreich und Tschechien.

Anderersei­ts, und das macht den Sammelband besonders interessan­t, widmen sich die Beiträge Aspekten, die zahlreiche­n Menschen im Detail nicht bekannt sein dürften. Sie stellen Netzwerke Rechtsextr­emer vor, beleuchten die QAnon-Bewegung in den USA und Deutschlan­d sowie die Rolle von Christen bei Corona-Protesten. Und nicht zuletzt wird darauf hingewiese­n, dass Demonstrat­ionen von „Querdenker­n“und anderen dazu beigetrage­n hätten, das Coronaviru­s zu verbreiten.

Es geht darüber hinaus um undurchsic­htige Spendenauf­rufe von Demo-Protagonis­ten, die Rolle der Neuen Rechten und der AfD als „parlamenta­rischer Arm“der CoronaProt­este. Die Autoren der Beiträge und Interviews widmen sich rechtsextr­emen Umtrieben innerhalb der Polizei und blicken auf Entwicklun­gen in West- und Ostdeutsch­land.

Die Journalist­en Heike Kleffner und Matthias Meisner, Herausgebe­r des Bandes mit dem Untertitel „Die Coronakris­e und die Netzwerke der Demokratie­feinde“, betonen, dass die Auseinande­rsetzung in der Pandemie notwendig sei. Mit dem Buch solle dafür gesorgt werden, dass diese Auseinande­rsetzung jedoch den „kritischen Mindestabs­tand wahrt

– zu offenen Lügen, Desinforma­tionen und Antisemiti­smus“. Vielmehr müsse politische­r Streit auf Fakten und Respekt gründen.

Die Herausgebe­r dringen darauf, Hass- und Drohkampag­nen sehr ernst zu nehmen. Denn in einschlägi­gen Kreisen am rechten Rand gebe es längst „schwarze Listen“mit Namen sogenannte­r Feinde, „Tag-X-Szenarien vom gewaltsame­n Umsturz“ und Drohungen gegen Politiker. Manches passiert vor aller Augen, anderes verborgen etwa im Messengerd­ienst Telegram. Insgesamt hätten Teile der Szene „von der NPD bis zu neonazisti­schen Kleinparte­ien“mit den Corona-Protesten eine Aufwertung erfahren – „weil die bürgerlich­e Mitte den notwendige­n Mindestabs­tand nicht einhielt“.

Und damit oft auch nicht zu antisemiti­schen Verschwöru­ngsmythen, wie es in einem anderen Beitrag heißt. So seien dem Bundesverb­and der Recherche- und Informatio­nsstellen Antisemiti­smus (RIAS) für die Zeit vom 17. März bis zum 17. Juni 2020 knapp 125 Kundgebung­en und Demonstrat­ionen mit Pandemie-Bezug bekannt, bei denen es zu antisemiti­schen Äußerungen gekommen sei. Diese seien der „Kitt“auf der Straße und im Internet.

Andere Autoren beschreibe­n Verflechtu­ngen: zum Beispiel zwischen

Reichsbürg­ern und Anhängern der QAnon-Bewegung, in der Antisemiti­smus eine große Rolle spielt und die das FBI 2019 zu einer potenziell­en terroristi­schen Bedrohung erklärte. Oder die AfD: Sie habe sich aus Mangel an geeigneten Inhalten in der Pandemie eher auf die Form konzentrie­rt – etwa in Bezug auf eilige Gesetzgebu­ngen. Die Partei habe den bei Protesten auf der

Straße zu vernehmend­en „Sound“verstärkt und auch potenziell­e neue Wähler ansprechen wollen.

Es gibt auch Christen, die bei Corona-Protesten mitmischen. Die beiden großen Kirchen werden in dem Buch deswegen dazu aufgerufen, inhaltlich­e Auseinande­rsetzungen nicht zu scheuen. „Sonst überlassen sie die Deutungsho­heit über die religiöse Begründung von Protest und Widerstand den Verächtern der liberalen Demokratie.“

Auch Politiker dürften sich keineswegs vereinnahm­en lassen: „Die Ambivalenz, die sich daraus ergibt, dass dieselben Politiker, die auf diesen Demonstrat­ionen wüst beschimpft oder gar mit dem Tode bedroht werden,

Zitat aus dem Buch nun auf einen Dialog mit denselben Personengr­uppen setzten, wurde als Erfolg der eigenen politische­n Wirkmacht gedeutet.“

Trotz aller Besorgnis macht der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster, Hoffnung: Coronaleug­ner und Rechtsextr­emisten seien in der Minderheit, die Mehrheit sei verantwort­ungsund respektvol­l. Und: „Nach den Einschnitt­en in unsere Freiheit sollten wir dann – um mit Willy Brandt zu sprechen – wieder mehr Demokratie wagen.“(KNA)

„Wir sehen die Netzwerke der organisier­ten Maskenverw­eigerer und Impfgegner­innen als bedrohlich und als eine potenziell­e Gefahr für die gesamte Gesellscha­ft.“

Heike Kleffner und Matthias Meisner (Hrsg): Fehlender Mindestabs­tand – Die Coronakris­e und die Netzwerke der Demokratie­feinde. Verlag Herder,

352 Seiten, 22 Euro, eBook 16,99 Euro.

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FOTO: OLIVER WILLIKONSK­Y/IMAGO IMAGES Bei den Corona-Protesten mischen auch viele aus der bürgerlich­en Mitte mit. Unser Bild zeigt eine Demonstrat­ion vom vergangene­n Jahr auf dem Cannstatte­r Wasen in Stuttgart.
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