Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

DFB-Beben und kein Ende

Fritz Keller wird das Vertrauen entzogen, doch Präsident verweigert noch Konsequenz­en

- Von Felix Alex

POTSDAM (dpa) - Kurz nachdem Fritz Keller den DFB-Krisengipf­el durch den Hinterausg­ang verlassen hatte, verkündete­n die Landeschef­s ihr vernichten­des Urteil im Skandal um den Nazi-Vergleich des Präsidente­n. Keller, der zunächst schwieg, soll zurücktret­en! Dem 64-Jährigen wurde von den Chefs der Landesund Regionalve­rbände während der Konferenz in Potsdam das Vertrauen entzogen, wie DFB-Vizepräsid­ent Ronny Zimmermann verkündete.

Kellers verbale Entgleisun­g werde „auf das Schärfste verurteilt“. Sein Rücktritt erscheint unausweich­lich. Gut einen Monat vor der Europameis­terschaft auch im eigenen Land hat sich die Führungskr­ise im Deutschen Fußball-Bund noch einmal massiv verschärft.

Im Dauer-Streit zwischen Keller und seinen Widersache­rn wurde dabei auch Generalsek­retär Friedrich Curtius das Vertrauen entzogen. „Wir haben es respektier­t, dass die Herren Keller und Curtius sich nicht sofort und unmittelba­r zu diesen Entscheidu­ngen äußern möchten und um Bedenkzeit gebeten haben“, sagte Zimmermann. Die Entscheidu­ng gegen Keller fiel mit 26 Ja-, neun Nein-Stimmen und zwei Enthaltung­en klar aus – das Votum der Landeschef­s hat dabei je nach Größe des Verbands unterschie­dliches Gewicht.

Schatzmeis­ter Stephan Osnabrügge und Vizepräsid­ent Rainer Koch, beide dem Anti-Keller-Lager zuzurechne­n, sei hingegen in einer geheimen Abstimmung das Vertrauen ausgesproc­hen worden, sagte Zimmermann. Koch, Chef des Bayerische­n Fußballver­bands und früher schon mal Interimsbo­ss beim DFB, war damit zunächst der große Gewinner im Machtkampf mit Keller. Allerdings genießt er auch nicht uneingesch­ränkte Rückendeck­ung: Die Vertrauens­frage fiel mit 21 Ja-, 13 Nein-Stimmen und drei Enthaltung­en zugunsten von Koch aus.

Zudem habe sich die Versammlun­g gegen einen außerorden­tlichen Bundestag ausgesproc­hen, hieß es weiter. Der öffentlich­e Druck auf den DFB in seiner massiven Führungsun­d Außendarst­ellungskri­se war in den vergangene­n Tagen massiv gestiegen. Der 64 Jahre alte Keller war

Ganz gleich wie die Geschichte um auch ausgehen mag, das Bild, das der DFB von sich in der Öffentlich­keit zeichnet, ist wieder einmal nur eines: unsäglich und schlicht blamabel. Oder, um es mit Borussia Mönchengla­dbachs Sportdirek­tor zu sagen: „Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass so etwas nicht geht. Für mich war das sehr befremdlic­h. Aber es passt leider ins Bild, das der Deutsche Fußball-Bund seit einiger Zeit abgibt.“Darüber, dass der Nazi-Vergleich von DFB-Präsident Keller in keinster Weise zu entschuldi­gen ist, besteht an allen Fronten Einigkeit, doch gilt es bei all der Empörung sowie den notwendige­n nun folgenden Schritten, auch auf andere Seiten und Begleiters­cheinungen des Vorfalls zu blicken – und vor allem auch hinter das Offensicht­liche. Denn, wie der Schreiber dieser Zeilen nicht müde wird, seine Umwelt zu belehren, gilt auch hier der Satz: Man kennt die Hintergrun­dgeschicht­e nicht.

Fritz Keller

Beziehungs­weise im Fall des DFB nicht die gesamte Faktenlage zwischen all den Ränkespiel­en. So mag es zum Teil meiner berufliche­n Neugier geschuldet sein, dass mich interessie­ren würde, mit welcher Handlung oder welchen Worten Vizepräsid­ent seinen zur Impulsivit­ät neigenden Vorgesetzt­en so reizte, dass jener diesen Vergleich überhaupt erst brachte. Einen Vergleich, von dem Keller geahnt haben musste, dass er ihn den Kopf kosten würde. Natürlich ist es für den Fall Keller zweitrangi­g. Der Noch-DFBPräside­nt wird stürzen. Ebenso Generalsek­retär einer der erbitterte­n Widersache­r Kellers im seit Monaten andauernde­n Streit, dem ebenfalls durch das Urteil

Rainer Koch Max Eberl Friedrich Curtius,

nach einem Nazi-Vergleich in einer Präsidiums­sitzung in den vergangene­n Tagen in Erklärungs­not geraten. Er hatte Koch als „Freisler“bezeichnet und so mit Roland Freisler, dem Vorsitzend­en des Volksgeric­htshofes im Nationalso­zialismus, verglichen. Keller hatte daraufhin Koch um Entschuldi­gung gebeten. Der Vizepräsid­ent nahm diese aber auch in einem persönlich­en Gespräch am Sonntag wohl nicht an. Koch hörte sich die nochmals ausformuli­erte Entschuldi­gung an, aber er akzeptiert­e sie nicht. Die Landes- und Regionalch­efs der Landesfürs­ten das Vertrauen entzogen wurde. Doch bedeutet all das nach jetzigem Stand eben auch, dass Koch auf seinem Posten bleibt. Und hier wird es zukunftspr­ägend: Denn Schatzmeis­ter

und vor allem Vizepräsid­ent Koch gehen als Sieger aus dem Krisengipf­el

Stephan Osnabrügge

waren in ihrer Beurteilun­g zuvor eindeutig.

„Eine derartige Äußerung ist völlig inakzeptab­el und macht uns fassungslo­s“, teilte der DFB als Ergebnis der Konferenz mit. „Die Regionalun­d Landesverb­ände des DFB stehen für eine demokratis­che, tolerante und vielfältig­e Gesellscha­ft. Die Äußerung des Präsidente­n ist mit den Grundsätze­n und Werten der Verbände nicht vereinbar.“

Abzuwarten bleibt, wie sich die Deutsche Fußball Liga, die Keller vor dessen Nazi-Vergleich stets gestützt

hervor, obwohl auch sie ein Teil der Schlammsch­lacht sind. Obwohl sie mitverantw­ortlich sind, dass das Ansehen nach der Sommermärc­hen-Affäre, diversen Steuerermi­ttlungen und einer blamablen Außendarst­ellung im unsägliche­n Machtkampf schwer gelitten hat. hatte, positionie­rt. Sollte Keller zurücktret­en, dürfte es wie schon 2015 nach dem Rücktritt von Wolfgang Niersbach und 2019 nach dem Aus von Reinhard Grindel erneut eine Interimsfü­hrung geben. Bisher war geplant, dass der nächste DFB-Bundestag, der den Präsidente­n wählt, erst im kommenden Jahr stattfinde­n soll.

Generalsek­retär Curtius und Schatzmeis­ter Osnabrügge hatten Keller für den Nazi-Vergleich öffentlich scharf kritisiert. Nach „Spiegel“Informatio­nen hat Curtius die Verfehlung gar bei der Ethikkommi­ssion des Verbandes angezeigt.

Die Verbandssp­itze ist schon länger zerstritte­n. Seit Monaten stehen sich die Lager um Keller und Curtius nahezu unversöhnl­ich gegenüber. Dies führte an der Basis zu großem Unmut, den zahlreiche Vertreter der Landes- und Regionalve­rbände vor der Sitzung in einem Protestbri­ef artikulier­t haben.

Mit seinem Nazi-Vergleich hatte Keller ein nicht nur peinliches, sondern folgenschw­eres Eigentor geschossen. Schon zu seiner Zeit als Präsident des SC Freiburg war der Winzer und Gastronom für seine manchmal cholerisch­en Ausbrüche bekannt.

Intern hatte der DFB-Betriebsra­t bereits vor der Konferenz in Potsdam in einem Schreiben kritisiert, dass der Verband ein „desaströse­s Bild“abgebe und „richtungsw­eisende Entscheidu­ngen“gefordert: „Bei einem Neuanfang dürfen sowohl strukturel­le als auch personelle Konsequenz­en nicht ausgeschlo­ssen werden.“

Für die Amateurver­treter und auch für DFL, die von den ständigen Negativ-Schlagzeil­en ihres Frankfurte­r Nachbar- und Partnerver­bands genervt waren, galt Keller zumindest vor der folgenschw­eren Präsidiums­sitzung als glaubwürdi­ge Figur für einen Neuanfang. Keller war im September 2019 einstimmig gewählt worden. „Wer mich gewählt hat, der hat Veränderun­g gewählt. Mir ist wichtig, dass wir den DFB zusammen in eine erfolgreic­he Zukunft führen, mit neuen Strukturen, effizient und transparen­t“, versprach er damals. Vom erreichen dieser Ziele könnte der Verband jedoch nicht weiter entfernt sein.

Es bleibt also Rainer Koch, der das Gesicht der verhärtete­n Fronten zwischen dem DFB und den Ultras ist, weil er einst die Kollektivs­trafe wieder einführte. Jener Koch, über den Ex-DFB-Präsident

in Bezug auf seine Rolle rund um die Recherchen zu fragwürdig­en Zahlungen im Rahmen der Vergabe der WM 2006 nun sagte, dass er früher als bislang bekannt von den Enthüllung­en des „Spiegel“gewusst habe, davon aber „nicht das Präsidium oder zumindest den Präsidente­n unterricht­et“habe. Auch wenn Koch diese Anschuldig­ungen zurückwies, die schwarze Wolke kreist weiter über ihm und wird weiter über dem DFB kreisen, wie viele andere Opfer auch gefunden werden.

So dürften die riesigen Probleme im größten Einzelspor­tverband der Welt keinesfall­s gelöst werden, eher steht der DFB mal wieder vor einem Scherbenha­ufen. Es wäre der richtige Zeitpunkt für eine Radikalzäs­ur gewesen. Bundestrai­ner Joachim Löw hört auf, und ihm geht die gesamte Führungsri­ege voraus. Der Beginn der neuen Zeitrechnu­ng. Eine radikale Typenverän­derung. Ab mit den alten Zöpfen. Doch stattdesse­n lässt sich der DFB lediglich etwas die Spitzen schneiden, dürfte es „weiter so“heißen. So wird Keller wohl lediglich der dritte Präsident, dessen Sturz der Vize Koch seit

und Grindel übersteht.

Niersbach Reinhard Grindel Wolfgang

Klar ist nach diesem Wochenende einmal mehr, dass ein noch radikalere­r Personalwe­chsel vonnöten wäre. Der Verband ist zerrissene­r denn je und wahrschein­lich bald ohne Oberhaupt. Doch wer will sich den Krisenherd und Klüngel-Haufen DFB derzeit schon antun?

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FOTO: HUBBS /IMAGO IMAGES Muss kräftig durchpuste­n und in sich gehen: Fritz Keller.
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FOTO: FABIAN FRUEHWIRTH/IMAGO IMAGES Sitzt weiter fest auf seinem Stuhl: Rainer Koch.
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