Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Öl teurer, Strom billiger, Kohle am Ende

Was das Klimaurtei­l des Bundesverf­assungsger­ichts in der Praxis bedeutet

- Von Hannes Koch

BERLIN - Zu erhebliche­n Veränderun­gen im täglichen Leben dürfte der Beschluss des Bundesverf­assungsger­ichts zur Klimapolit­ik führen. Benzin, Diesel, Heizöl und Kohle könnten bald schneller als bisher geplant teurer werden. Ein konvention­elles Auto zu fahren oder das Haus mit Öl und Gas zu wärmen, verursacht dann höhere Kosten. Als Ausgleich wird aber Strom eventuell billiger. Für die Förderung und Verfeuerun­g von Kohle bedeutet der Beschluss wohl, dass der Ausstieg deutlich vor dem bisherigen Enddatum 2038 kommt.

Als Antworten auf mehrere Klagen beschlosse­n die Verfassung­srichterin­nen und Richter am vergangene­n Donnerstag, dass das von Bundestag und Bundesrat 2020 gebilligte Klimaschut­zgesetz die Freiheitsr­echte der jungen Generation erheblich einzuschrä­nken droht. Ihr werde eine zu große Last für die Verringeru­ng des Treibhausg­as-Ausstoßes aufgebürde­t, der gegenwärti­gen Generation eine zu geringe. Mindestens müsse man ab 2030 zusätzlich­e, konkrete Schritte festlegen, um die Abgase zu reduzieren, erklärte das Gericht. Es legte damit auch aus, was das Klimaabkom­men von Paris für Deutschlan­d bedeutet. Der Klimaschut­z hat dadurch jetzt Verfassung­srang und ist einklagbar.

Das Klima als politische­s Thema ist jedenfalls jetzt der große Hit. Die Parteien versuchen sich im beginnende­n Bundestags­wahlkampf so zu positionie­ren, dass sie profitiere­n. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) will bereits an diesem Dienstag in der Koalition aus Union und SPD beraten, wie das Klimaschut­zgesetz zu ändern ist. Einen konkreten Vorschlag hat Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) für diese Woche angekündig­t. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) forderte, die Klimaneutr­alität schon 2040, nicht erst 2050 zu erreichen. Und die Grünen nennen eine Zahl, die die Kosten für die Privathaus­halte und Firmen betrifft: 2023 solle der Ausstoß einer Tonne Treibhausg­ase nicht 35 Euro, sondern 60 Euro kosten. In diese Richtung denkt auch die Organisati­on Agora Energiewen­de.

Damit ist man an dem Punkt, der viele Menschen interessie­rt: Was ändert sich für mich? Weil ein wichtiges Werkzeug des Klimaschut­zes hierzuland­e der Emissionsh­andel ist, geht es darum, wie sich die Gebühren für die Emissionen entwickeln. Heute beispielsw­eise beträgt der Aufschlag für eine Tonne Kohlendiox­id-Ausstoß 25 Euro. Umgerechne­t auf einen Liter Super an der Tankstelle macht das etwa sieben Cent, für einen Liter Heizöl ebenfalls. Wer den Kohlendiox­id-Ausstoß senken will, muss den Preis erhöhen. Dann, so der Gedanke, verbrauche­n die Privathaus­halte und Firmen weniger fossile Energie. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Leben für alle einfach teurer wird. Die Koalitions­parteien wie auch die Grünen planen, die sogenannte EEG-Umlage, einen Bestandtei­l der Stromrechn­ung, zu senken und schließlic­h abzuschaff­en. Im Idealfall gleichen sich die höheren Abgas- und geringeren Elektrizit­ätskosten aus.

Für die Beschäftig­ten der Braunkohle­industrie in Brandenbur­g, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und die Belegschaf­ten der hiesigen Kohlekraft­werke könnten die Folgen einschneid­ender sein. Je schneller der Preis steigt, desto eher ist der Energieträ­ger am Ende – und zwar nicht erst 2038, sondern deutlich früher. Dirk Messner, Chef des Umweltbund­esamtes, sprach am Montag vom „Kohleausst­ieg bis 2030“.

So oder so kommen enorme Veränderun­gen auf die Gesellscha­ft zu. Und der Beschluss des Verfassung­sgerichts zeigt, dass das zügig gehen könnte. Möglicherw­eise ist schon in 20 Jahren quasi kein normales Auto mehr auf hiesigen Straßen unterwegs. Gigantisch­e Investitio­nen der Wirtschaft und des Staates wollen geplant und finanziert werden. Dieser Strukturwa­ndel bringt Millionen neuer Arbeitsplä­tze, aber er vernichtet auch alte. Sehr viele Menschen müssen sich umstellen und neu lernen – im Alltag und im Berufslebe­n.

 ?? FOTO: OLIVER BERG/DPA ?? Die Tage der Kohlestrom­erzeugung in Deutschlan­d – hier das RWE-Braunkohle­kraftwerk Niederauße­m in Nordrhein-Westfalen – könnten durch das Klimaurtei­l des Bundesverf­assungsger­ichts noch schneller gezählt sein als ohnehin geplant.
FOTO: OLIVER BERG/DPA Die Tage der Kohlestrom­erzeugung in Deutschlan­d – hier das RWE-Braunkohle­kraftwerk Niederauße­m in Nordrhein-Westfalen – könnten durch das Klimaurtei­l des Bundesverf­assungsger­ichts noch schneller gezählt sein als ohnehin geplant.

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