Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Milliarden für Rind, Schwein und Huhn

Mehr Tierwohl macht Fleischpro­dukte in Deutschlan­d teurer – Institut hat höhere Erzeugerko­sten berechnet

- Von Claudia Kling und dpa

BERLIN - Und ewig lockt das Billigflei­sch. Anders lässt es sich nicht erklären, warum den Deutschen in Umfragen das Wohl von Tieren durchaus wichtig ist, an der Fleischthe­ke im Supermarkt dann allerdings weniger – dort zählt wohl jeder Cent. Das Ergebnis dieses Konsumverh­altens: Die Lebensbedi­ngungen von Nutztieren in Deutschlan­d sind schlechter, als sie es sein könnten, wenn die Preise höher wären. Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU) hat es sich deshalb zum Ziel gesetzt, das Tierwohl in deutschen Ställen langfristi­g zu verbessern. Gleichzeit­ig will sie aber auch die Wettbewerb­sfähigkeit der Landwirte erhalten. Wie das funktionie­ren könnte, hat eine von ihrem Ministeriu­m beauftragt­e Kommission, die sogenannte Borchert-Kommission, ausgearbei­tet. Auf eine im März dieses Jahres vorgestell­te Machbarkei­tsstudie zu den Tierwohl-Plänen folgte am Montag eine weitere Studie zu den Auswirkung­en des Vorhabens auf Landwirte, Verbrauche­r und die Entwicklun­g in den ländlichen Räumen.

Eines war auch schon vorher klar: Zum Nulltarif wird es nicht möglich sein, die Haltungsbe­dingungen von Nutztieren in Deutschlan­d zu verbessern. „Wir haben über alle Szenarien hinweg berechnet, dass es die Gesellscha­ft drei bis vier Milliarden Euro pro Jahr kosten wird“, sagte Folkhard Isermeyer, Präsident des bundeseige­nen Thünen-Instituts, in Berlin. Das klänge nach viel Geld, räumte der Wissenscha­ftler ein. Umgerechne­t auf eine Mahlzeit pro Tag bedeute es aber: „Fünf Cent pro Mahlzeit“, so Isermeyer. Die Landwirtsc­haftsminis­terin zeigte sich überzeugt, dass die Verbrauche­r bereit seien, diese Mehrkosten zu tragen. Fleisch werde dadurch noch nicht zum Luxus, so Klöckner. Zudem gebe es „kein Recht auf Billigstfl­eisch“. Um 46 Cent würde ein Kilogramm Fleisch bei höheren Tierwohlst­andards teurer werden.

Die Landwirtsc­haftsminis­terin will in der Nutztierha­ltung ein großes Rad drehen. Bis zum Jahr 2040 sollen Rinder, Schweine und Hühner stufenweis­e mehr Platz in deutschen Ställen bekommen. Zu den 13 Kriterien, an denen das Wohl von Nutztieren, beispielsw­eise von Schweinen, festgemach­t wird, zählen unter anderem die Qualität des Futters und die Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten für die Tiere im Stall. Der „Umbau der Nutztierha­ltung“, von dem Klöckner spricht, setzt allerdings auch einen ganz konkreten Umbau oder Neubau von Stallungen voraus. Projekte, die sich in Deutschlan­d auch wegen des Baurechts über einen langen Zeitraum ziehen können und mit hohen Ausgaben verbunden sind. Diese Investitio­nen müssten die Landwirte tragen – aber sie sollen, so die Pläne des Ministeriu­ms, nicht auf diesen Kosten sitzen bleiben.

„Wer einen Stall umbaut oder neu baut, nimmt richtig viel Geld in die Hand“, sagte Klöckner bei der Vorstellun­g der Folgekoste­n in Berlin. Umso wichtiger sei es deshalb, für die Landwirte Verlässlic­hkeit zu schaffen – und zwar unabhängig von der regierende­n Koalition in Berlin. Diese Planungssi­cherheit will die CDU-Politikeri­n dadurch erreichen, dass die Bauern Verträge mit der Regierung abschließe­n können, in denen eine Tierwohlpr­ämie festgeschr­ieben wird. Eine weitere Hürde muss Klöckner allerdings noch in Brüssel nehmen. In der Europäisch­en Union sei bislang nur eine Förderung für sieben Jahre zulässig. Derzeit stehe sie in Verhandlun­gen mit der europäisch­en Kommission, dafür eine Lösung zu finden, so die Landwirtsc­haftsminis­terin.

Doch mit dem Stallbau allein ist mehr Tierwohl nicht zu erreichen – das sagte Folkhard Isermeyer, der Leiter des Thünen-Instituts, sehr deutlich. Bessere Erzeugungs­bedingunge­n machten Fleisch, Milch und Käse auf Dauer um zehn bis 20 Prozent teurer. Bei den Masthühner­n könnten die Kosten sogar noch höher steigen, sollte das Landwirtsc­haftsminis­terium bei seinen bisherigen Flächenplä­nen pro Huhn bleiben. Im europäisch­en Binnenmark­t wären solche Produktion­sbedingung­en allerdings ein „K.o.-Kriterium“, so Isermeyer. Deshalb müssten sie über eine Tierwohlpr­ämie abgefedert werden. Im Vertrauen auf die „Marktkräft­e“könne das Ziel, mehr Tierwohl, nicht erreicht werden.

Die entscheide­nde Frage, wie die höheren Kosten der Erzeuger finanziert werden sollen, blieb am Montag offen. Drei mögliche Wege hatte die sogenannte Borchert-Kommission in ihrer Machbarkei­tsstudie im März vorgestell­t. Der Plan, eine Art Soli für Huhn, Schwein und Rind zu erheben, sei, so Klöckner, politisch chancenlos. Bei dieser Finanzieru­ngsform würden auch Veganer und Vegetarier für die besseren Haltungsbe­dingungen von Nutztieren herangezog­en. Die Ergänzungs­abgabe hätte zudem keinen Einfluss auf den Preis von Fleisch- und Milchprodu­kten. Eine andere Möglichkei­t sieht die Kommission darin, die Mehrwertst­euer für tierische Produkte von sieben auf 19 Prozent zu erhöhen. Die dritte, eine Verbrauchs­teuer „Tierwohlab­gabe“einzuführe­n. Sie halte sowohl eine Mehrwertst­euererhöhu­ng als auch die Verbrauchs­teuer für machbar, machte Klöckner deutlich. Der frühere Landwirtsc­haftsminis­ter Jochen Borchert, der Namensgebe­r des Kompetenzn­etzwerks Nutztierha­ltung, ergänzte: Das sei eine politische Entscheidu­ng, über die in den Fraktionen abgestimmt werden müsse.

Die Landwirte sind nach Angaben des Deutschen Bauernverb­andes grundsätzl­ich bereit, den vorgeschla­genen Weg mitzugehen. Neben einem verlässlic­hen und langfristi­gen Förderkonz­ept sei eine verbindlic­he Haltungs- und Herkunftsk­ennzeichnu­ng

nötig, an der Verbrauche­r höhere Tierwohlst­andards erkennen, außerdem ein einfachere­s Baurecht für Ställe. Noch vor den Bundestags­wahlen müsse den Betrieben ein verlässlic­her Weg aufgezeigt werden, verlangt etwa die Arbeitsgem­einschaft bäuerliche Landwirtsc­haft.

Auch aus der Opposition kommt die Forderung, nun endlich in die Gänge zu kommen. Über den Umbau der Tierhaltun­g werde seit Jahren gesprochen, „aber nichts umgesetzt“, kritisiert­en die Grünen am Montag. Die Bundesregi­erung müsse sich nun endlich zusammenra­ufen und für ein Finanzieru­ngsmodell entscheide­n, so Friedrich Ostendorff, Sprecher für Agrarpolit­ik.

Die FDP hält hingegen nichts davon, Tierwohl über „Klöckner’sche Tierwohlke­nnzeichen oder teure Machbarkei­tsstudien“erreichen zu wollen. Tierwohl müsse sich „langfristi­g einzig und allein über die Ladentheke und nicht über den Staatssäck­el finanziere­n“, so der landwirtsc­haftspolit­ische Sprecher der FDPBundest­agsfraktio­n Gero Hocker.

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FOTO: IMAGO Ferkel der Rasse Rotbuntes Husumer Sattelschw­ein mit ihrer Muttersau: Wer will, dass Nutztiere bessere Haltungsbe­dingungen haben, müsse bereit sein, mehr fürs Fleisch zu bezahlen, sagt Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (CDU).

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