Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Entsetzen nach Razzia mit 25 Toten in Rio
Polizei und Drogengangster liefern sich in einem Armenviertel stundenlange Feuergefechte
RIO DE JANEIRO (KNA) - Stundenlange Feuergefechte zwischen der Polizei und Drogengangstern haben in Rio 25 Tote gefordert. Dabei hatte das Oberste Gericht große Polizeiaktionen während der Pandemie untersagt. Menschenrechtler fordern jetzt Aufklärung.
Von „Desaster“, „Massaker“bis „Tragödie“reichten die Kommentare in der brasilianischen Presse angesichts der Polizeiaktion im Armenviertel Jacarezinho. Dabei wurden am Donnerstag mindestens 25 Menschen getötet, darunter ein Polizist. Zudem gibt es Berichte über von der Polizei hingerichtete Menschen, die jedoch von der Behörde zurückgewiesen werden.
Die Polizisten waren am frühen Morgen mit vier Panzerwagen und Unterstützung durch Hubschrauber in die Favela Jacarezinho eingedrungen. Ziel war es demnach, Mitglieder einer Drogenbande aufzuspüren, die Kinder und Jugendliche für den Drogenhandel anwerben sowie MetroZüge ausgeraubt und Auftragsmorde begangen haben sollen.
Doch in den engen Straßen der 40 000-Einwohner-Favela in Rios Norden kamen die Polizisten nicht weit. Die Drogenbande „Comando Vermelho“(Rotes Kommando), die das Armenviertel kontrolliert, hatte mit Straßenbarrikaden die Panzerwagen zum Stehen gebracht. Es entwickelte sich ein neun Stunden langes Feuergefecht, bei dem Einwohner und Fahrgäste eines Metro-Zuges ins Kreuzfeuer gerieten. Zwei Menschen in dem Zug wurden verletzt, ebenso mindestens zwei Anwohner sowie zwei Polizisten.
Mit 25 Toten ist die Polizeiaktion die blutigste überhaupt in Rio de Janeiro seit Beginn der Datenerfassung im Jahr 1989. Anwohner berichteten jedoch, dass die wahre Zahl der Opfer höher sei. So seien Polizisten in Häuser eingedrungen, wo sie Unschuldige exekutiert haben sollen. Vertreter der Verteidigungsstaatsanwaltschaft „Defensoria Publica“nahmen Zeugenaussagen in der Favela auf. Sie hätten aufgebrochene Häuser und erschreckend viel Blut auf den Straßen gesehen, berichten sie.
Die Polizei erklärte nicht, wie die 24 angeblich Verdächtigen zu Tode kamen. Ein Sprecher der Polizei verneinte aber, dass es Exekutionen gegeben habe. Man habe zudem sechs Verdächtige festgenommen sowie 16 Pistolen, 7 Gewehre, eine Maschinenpistole und 12 Granaten sichergestellt. Die Polizei wehrte sich auch gegen den Vorwurf, dass die Aktion illegal sei. Man habe sämtliche Vorgaben eingehalten.
Das Oberste Gericht des Landes hatte im Juni größere Polizeiaktionen während der Pandemie untersagt. Nur in extremen Ausnahmefällen seien Einsätze in den Armenvierteln zugelassen. „Diese Entscheidung untersagt uns nicht, unsere Hausaufgaben zu machen“, zitieren Medien einen Polizeisprecher. „Das Schlimmste überhaupt ist, keine Aktionen durchzuführen.“
Noch am Donnerstag entschied das Oberste Gericht angesichts der Vorfälle in Jacarezinho, am 21. Mai erneut über die Beschränkung von Polizeieinsätzen zu beraten.
Rio de Janeiros Polizei gilt als eine der weltweit gewalttätigsten überhaupt, die für etwa ein Drittel aller Tötungsdelikte in Rio verantwortlich ist. Im Jahr 2018 wurden mehr als 1500 Menschen Opfer von Polizeiaktionen, 2019 waren es sogar 1810 Menschen.