Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Wenn Kunst auf Wissenschaft trifft
Hohle Fels als Schauplatz eines besonderen Videoprojekts – Musik als zentrales Thema
SCHELKLINGEN - Schicht um Schicht legen die Höhlenforscher Jahr um Jahr im Hohle Fels die Geschichte der Menschheit frei. Spektakuläre Kunstfunde wie die Venus und auch einzigartige Flöten treffen so regelmäßig auf Wissenschaft(ler). Diesen Ansatz verfolgt auch das Künstlerpaar VestAndPage: Das Ziel ihres jetzt gestarteten Projekts mit dem Titel „strata“(italienisch für Schichten) ist ein Performance-Kunst-Film, bei dem nicht nur Performances, Theater, Tanz, Bildende Kunst und Musik in Höhlen der menschlichen Vorgeschichte zu bewundern sind, sondern auch wissenschaftliche Experten zu Wort kommen, die die Bedeutung der Kunst unserer Vorfahren erklären. Verena Stenke hat das Kunstprojekt mit ihrem aus Venedig stammenden Mann Andrea Pagnes ins Leben gerufen.
„Wir gehen nicht an einen Ort, um eine Geschichte zu erzählen, wir gehen an einen Ort, um die Geschichte zu finden“, so lautet der Leitsatz, nach dem sie ihre Kunst ausrichten. Bis der Film im nächsten Jahr zu sehen ist, liegt allerdings noch einiges an Arbeit vor dem Künstlerpaar aus Neckarsulm.
Grundsätzlich möchten die Projektbeteiligten einen zeitgenössischen Diskurs über die erd- und menschheitsgeschichtliche Vergangenheit
eröffnen und Zukunftsvisionen für ein respektvolles, nachhaltig ökologisches Miteinander von Mensch und Natur anregen. Produktionsorte hierfür sind die eiszeitlichen Höhlen der Schwäbischen Alb. Es sind diese einzigartigen Orte unserer Region, die die Kunstschaffenden dazu inspirieren, ihre Sicht auf die Menschwerdung darzustellen.
In den Höhlen der Region – am Mittwoch wird im Hohle Fels gedreht, am Dienstag fanden vor Ort Proben statt – treffen rund 20 Performer und Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern aufeinander. Der Schwerpunkt für den Hohle Fels liegt aufgrund der Funde wie der bekannten Flöte aus Gänsegeierknochen auf der Hand: Die Musik spielt eine zentrale Rolle.
„Für die Zeit vor 35 000, 40 000 Jahren ist die Flöte Hightech“, erklärt Barbara Spreer, die zusammen mit ihrem Kollegen aus dem Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren, Johannes Wiedmann, und dem archäologische Experten Rudi Walter von der Museumsgesellschaft Schelklingen vor Ort Einblick in den wissenschaftlichen Hintergrund gibt. Handwerkliches Geschick und vor allem viel Zeit und Liebe hätten unsere Vorfahren in die Musikinstrumente investiert. Zudem „macht Musik Gemeinschaft“, so Spreer. Für Rudi Walter, der den Hohle Fels sehr genau kennt, hat das Projekt
des Künstlerpaars einen neuen Blickwinkel geschaffen. Allein wie beispielsweise die Resonanz der Musik von Andreas Bauer Kanabas (Klassischer Bass) und Stephan Knies (Klassische Violine) an verschiedenen Stellen in der Höhle ausfalle, sei faszinierend. Auch vom Künstlerpaar Verena Stenke und Andrea Pagnes, das das Projekt vor rund einem Jahr ins Leben gerufen hat, ist Walter beeindruckt. Sie würden den Raum, sprich den Hohle Fels, nicht nutzen, um sich selbst darzustellen, sondern um den Ort als solches in den Mittelpunkt zu stellen. Die Höhle spreche eine gewisse Sprache, sagt Walter philosophisch, und diese Sprache werde von beiden gesprochen.
Das Projekt beleuchtet Tiefenzeit und Erinnerungsschichten in der Menschheitsgeschichte und dem Geologischen, heißt es der Beschreibung des Konzepts.
Über 20 Kunstschaffende und Forschende aus den Geistes-, Sozial- und Geowissenschaften sind beteiligt, um „den menschlichen Körper als Ort in Kontinuität zum Geologischen zu untersuchen“.
Für Andrea Pagnes, so erklärt er, ragt der Fels wie ein Beschützer aus dem Boden. „Der Hohle Fels ist auch wie ein offenes Haus der Geschichte“, sagt er. Seine Frau Verena Stenke, die den Auftritt der Musiker mit der Kamera filmt, ist ebenso angetan vom
Naturdom. „Ich habe schon immer eine Urfaszination für die Archäologie“, sagt sie. „Der Ort hier erzählt uns viel“, so Stenke. Genauso wichtig sei für das Projekt aber auch der wissenschaftliche Input, der in Form von „dokumentarischen Gesprächselementen“später im Film eingebunden werde.
Um das lang angelegte Videoprojekt – gefilmt wird seit April, das Ende wird im August sein – finanziell zu stemmen, erhält das Vorhaben eine Förderung vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Realisiert wird es in Zusammenarbeit mit dem Museum für Urgeschichte Blaubeuren, dem Museum Ulm, Cojote Outdoor Bad Urach, und dem Forschungsnetzwerk „Rock/Body“der Universität Exeter, sowie den Kulturvereinen EntrAxis (Neckarsulm), Studio Contemporaneo und Live Arts Cultures (Venedig). Unterstützung erfährt „Strata“durch die UNESCO, das Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg, ForstBW, den Städten Blaubeuren, Schelklingen und Grabenstetten sowie Urgeschichte Hautnah.
Für Schelklingens Tourismusbeauftragte Friederike Schöll ist das Projekt etwas ganz Besonderes und Neues. „Ich freue mich schon auf das Ergebnis“, sagt sie.