Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Wenn Mensch und Tier sich auf den Pelz rücken
Mit dem Klimawandel nehmen Konflikte zwischen Wildtieren und Bevölkerung zu – Welche Lösungen es gibt, damit beide Seiten überleben können
Statt auf dem Eis des Nordpolarmeers tauchen Eisbären immer häufiger in den Siedlungen von Russland, Grönland und Kanada auf. Elefanten finden in der dürregeplagten Natur immer weniger zu fressen und bedienen sich häufiger auf den Feldern der Bauern. In den höheren Regionen des Himalaja jagen Schneeleoparden keine Blauschafe mehr, sondern verlegen sich auf die Nutztiere des Menschen in tieferen Gebieten. Solche Konflikte zwischen der Bevölkerung außerhalb der großen Städte und Wildtieren gab es schon immer, und sie verursachen in der Wirtschaft Schäden von etlichen Milliarden USDollar.
Gleichzeitig ist der Blutzoll an der Biodiversität enorm, weil in einer Art Notwehr Löwen und andere Raubtiere, aber auch Dickhäuter und sonstige Pflanzenfresser der Bevölkerung zu nahe kommen und manchmal sogar die Menschen selbst attackieren. Und der Klimawandel verschärft solche Konflikte mit extremen Wetterereignissen von Dürren über Sintfluten bis zu immer längeren eisfreien Perioden auf dem Nordpolarmeer, berichtet Briana Abrahms von der University of Washington in Seattle in der Zeitschrift „Science“. Verhindern dürften sich solche Konfrontationen zwischen Menschen und Natur wohl auch in Zukunft nicht lassen. „Aber wir können die Auswirkungen verringern“, ergänzt Moritz Klose, der sich bei der Naturschutzorganisation WWF in Deutschland seit Jahren mit solchen Konflikten zwischen Wildtieren und der Bevölkerung beschäftigt.
Auch durch das Bevölkerungswachstum in weiten Teilen Afrikas brauchen mehr Menschen Land für ihre Ernährung, zum Arbeiten oder zum Wohnen. Dadurch rücken die Zweibeiner der Natur immer dichter auf den Pelz und Konflikte häufen sich. Als dann durch die Klima-Anomalie El Niño in den Jahren 1986 bis 1988 in Teilen Indiens die Niederschläge ausblieben oder sehr dürftig ausfielen, verschärfte die Dürre die bereits vorhandenen Probleme noch mehr, berichtet Briana Abrahms weiter. In der Natur wuchsen weniger Pflanzen, die Asiatischen Elefanten besuchten die Menschen und deren Felder, die sie gerade erst der Natur abgerungen hatten. Dort zerstörten die Dickhäuter nicht nur oft genug die Ernten, sondern es kam auch mehr als einmal zu direkten Begegnungen mit der Bevölkerung. Dabei verloren einige Menschen und noch mehr Elefanten ihr Leben.
Die kärgliche Vegetation ernährte aber auch andere Pflanzenfresser schlechter, dadurch fanden die letzten, vom Aussterben bedrohten Asiatischen Löwen weniger Beute und drangen dann häufiger in die Siedlungen der Menschen vor. Dort rissen sie viel mehr Nutztiere als in feuchteren Zeiten, und die Zahl der bei Angriffen von Löwen getöteten Menschen stieg um 600 Prozent auf durchschnittlich 6,7 Opfer im Jahr, nennt Briana Abrahms erschreckende Fakten.
Konflikte zwischen Menschen und Wildtieren verschärfen sich aber nicht nur durch solche extremen Wetterlagen und Meerestemperaturen, die nach Berechnungen vieler Forscher mit dem Klimawandel nicht nur häufiger, sondern auch noch extremer werden. So schrumpft die Eisdecke auf dem Nordpolarmeer mit dem Klimawandel immer stärker und treibt so die Eisbären viel häufiger als früher an Land. In der Hudson Bay Kanadas haben sich daher Sachschäden durch hungrige Eisbären, aber auch für Mensch und Tier gleichermaßen fatale Begegnungen mehr als verdreifacht.
Der Klimawandel lässt in den Hochlagen des Himalaja auch die Nahrung für Blauschafe knapp werden, die sich daraufhin in tieferen Regionen auf den Feldern der Menschen bedienen und so den ohnehin armen Bauern auch noch deren Lebensgrundlage streitig machen. In den Höhen fehlt nun dem vom Aussterben bedrohten Schneeleopard mit den Blauschafen seine wichtigste Beute, und die seltenen Raubtiere weichen auf Nutztiere in tieferen Regionen aus. Das verschärft nicht nur die schlechte Lage vieler Bauern und Hirten weiter, sondern kostet auch viele in Notwehr getötete Schneeleoparden das Leben.
Solche sich vermehrt anbahnenden Konflikte entschärfen Naturschützer in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Hirten und Bauern. „Im Himalaja entwickeln wir zum Beispiel möglichst einfache Zäune, mit denen die Menschen ihre Tiere vor Schneeleoparden schützen können“, erklärt der WWF-WildtierExperte Moritz Klose. Dazu kommt ein gutes Monitoring, mit dem die Naturschützer erfahren, wo die Schneeleoparden überhaupt vorkommen und wandern. Nähern sich die großen Katzen den Siedlungen, können die Menschen dort gewarnt werden – und ihre Tiere in Sicherheit bringen. „Allein in der Mongolei haben wir mit unseren Partnern inzwischen 1400 Kamerafallen für diese Überwachung installiert“, berichtet der WWF-Experte. Um solche Warnungen zu vereinfachen und zu beschleunigen, hat der WWF sogar eine eigene App entwickelt, über die Ranger den Standort von Tieren und Konflikte blitzschnell melden können.
In der kanadischen Arktis übernehmen Eisbär-Patrouillen dieses Monitoring. Dort sind die Ranger mit Schneemobilen unterwegs oder sie beobachten die Eisbären mit Drohnen aus der Luft. „Wichtig ist natürlich vor allem, dass gefährliche Begegnungen von vorneherein vermieden werden“, sagt Moritz Klose. Die WWF-Mitarbeiter schulen daher nicht nur die Bevölkerung und die Patrouillen in den kleinen Dörfern in Grönland sowie im hohen Norden Kanadas und Russlands, sondern erklären auch, wie Mülltonnen bärensicher gemacht werden können: Dazu wird ein versteckter Schnappmechanismus so angebracht, dass eine große Bärentatze einfach nicht das nötige Fingerspitzengefühl zum Öffnen aufbringt. Damit aber sind die Lebensmittelreste im Müll außer Reichweite, und für die Bären gibt es keinen Grund für Besuche in den Dörfern mehr.
Auch in Afrika schulen WWF-Naturschützer die Bevölkerung schon seit etlichen Jahren in der Prävention von Konflikten mit Elefanten, Löwen und anderen großen Raubtieren. Die Erfolge können sich sehen lassen: So häuften sich in der Mudumu-Landschaft
in der Sambesi-Region im Nordosten Namibias 2012 die Attacken von Löwen auf die Herden der Bevölkerung so sehr, dass die Regierung die Raubtiere schließlich zum Abschuss freigab. Am Ende hatte nur ein einziger Löwe überlebt. Seit 2016 unterstützt der WWF dort die Schulungen der Bevölkerung zum Schutz vor den Raubkatzen, die zum Beispiel aus einem 250 Kilometer entfernten Gebiet wieder zuwanderten. Eine zentrale Rolle spielen dabei Stangen aus Leichtmetall, die durch Plastikplanen miteinander verbunden werden. Das Ganze ähnelt am Ende einem undurchsichtigen Bauzaun, mit dem die Hirten ihre Herden schützen. „Die Löwen trauen sich einfach nicht durch diesen undurchsichtigen Zaun“, erklärt WWFWildtierexperte Moritz Klose. Allein diese Zäune aber haben die Risse von Kühen durch Löwen um 80 Prozent reduziert.
Zusätzlich werden „Löwenwächter“ausgebildet, die die Raubkatzen nicht nur beobachten und die Bevölkerung warnen, sondern die Löwen auch schon einmal verjagen. Ein solches Monitoring warnt zum Beispiel in Kenia die Bevölkerung auch vor Elefantenherden, die sich nähern. Solche Beobachtungen sind daher ein entscheidender Faktor, um die durch den Klimawandel weiter zunehmenden Konflikte zwischen Menschen und Wildtieren wieder zu entschärfen.