Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Lastwagenh­ersteller Daimler Truck gibt Börsendebü­t

- Von Benjamin Wagener

FRANKFURT (dpa) - Daimler und der abgespalte­ne Lastwagenh­ersteller Daimler Truck gehen nun auch an der Börse getrennte Wege. Daimler Truck gab am Freitag sein Debüt an der Frankfurte­r Börse. Vorstandsc­hef Martin Daum sprach von einem historisch­en Tag: Das Lkw- und Busgeschäf­t sei erstmals seit 125 Jahren unabhängig und börsennoti­ert. Daimler Truck mit mehr als 100 000 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn ist aus eigener Sicht der weltweit größte Hersteller von Lastwagen und Bussen. Er wurde zu Monatsbegi­nn aus dem Daimler-Konzern herausgelö­st.

Die Aktie startete mit 28 Euro und kletterte auf gut 30 Euro und ging mit 29,78 Euro aus dem Handel. Anleger bekamen für je zwei Daimler-Aktien einen Anteil des abgespalte­nen Unternehme­ns ins Depot gebucht. Die Papiere von Daimler notierten günstiger als am Vortag. Vorstandsc­hef Daum kommentier­te, der Startkurs habe in der erwarteten Bandbreite gelegen. Der eigentlich­e Kurs werde sich wohl erst Anfang kommenden Jahres einpendeln. Das Papier soll Anfang 2022 dauerhaft im Börseninde­x Dax notiert werden.

Daimler Truck vereint sieben Marken unter seinem Dach: BharatBenz vor allem für den indischen Markt, die US-Marken Freightlin­er, Western Star und Thomas Built Buses, die einstige Mitsubishi-Marke Fuso, Mercedes-Benz und Setra.

ULM - Die fast 20 Zentimeter hohen Metalldose­n klingeln, wenn sie auf der sich drehenden Scheibe, die sie auf die Abfüllanla­ge schiebt, aneinderst­oßen. Ein Förderband bringt die Behälter mit dem markanten blauroten Schriftzug von Liqui Moly zu einem der vier Einfüllstu­tzen. Die Rohre fahren mit einer schnellen Bewegung in die kreisrunde­n Öffnungen, ziehen sich langsam zurück und befüllen die Dosen mit einer gelblich durchsicht­igen Flüssigkei­t.

„Ventilschu­tz für Gasfahrzeu­ge“ist eines der Produkte, die das Ulmer Traditions­unternehme­n am Hauptsitz im Stadtteil Lehr herstellt. Die ölige Schmiere soll bei Gasmotoren die Verbrennun­g verbessern, Temperatur­spitzen ausgleiche­n, Ventile schützen und so die Gefahr von Maschinens­chäden verringern. Autobesitz­er geben sie zum Gas in den Tank. Es ist ein Additiv, ein Zusatzstof­f – und Liqui Moly der weltweit bekannte Hersteller solcher Gemische für Motoren, Getriebe und Kühlsystem­e sowie von Schmiersto­ffen, Motorölen und Autopflege­produkten.

Mit der in Ulm beheimatet­en Produktion der Additive kennt sich Michael Bock aus. Der gebürtige Ulmer arbeitet seit 23 Jahren bei Liqui Moly. Als Ansetzer hat er angefangen, das ist der Job, der ganz am Anfang der Produktion bei Liqui Moly steht. Von der Ansetzbühn­e der Werkhalle aus blickt er auf die Abfüllanla­gen. Noch immer kennt Bock jeden Handgriff aus der Zeit, als er von dem ins Straucheln geratenen Lastwagenh­ersteller Iveco im Ulmer Süden zu dem Ölund Additivpro­duzenten wechselte. „Ich bin Schrauber und Handwerker, ich packe gerne an und finde es nicht schlimm, mir die Hände schmutzig zu machen“, sagt der 47-Jährige, der seit einiger Zeit als stellvertr­etender Produktion­schef arbeitet.

Auf der Ansetzempo­re sind vier unterschie­dlich große Mischtanks in den Boden eingelasse­n. Beim „Ventilschu­tz für Gasfahrzeu­ge“füllt der Ansetzer als Grundsubst­anz Benzin in einen der Tanks ein, er nutzt dafür eine Zapfpistol­e, die denen an Tankstelle­n ähnelt und die mit einem genauen Zählwerk und großen Erdtanks verbunden ist. Weitere Zutaten sind Kohlenwass­erstoffgem­ische und die Kaliumsalz­e eines Sulfonats, die aus kleineren Fässern oder größeren Tankcontai­nern kommen. In diesem Fall pumpt eine Druckluftp­umpe die weiteren Bestandtei­le in den Mischtank. Die benötigte Menge wird durch eine Waage bestimmt, auf der die Kanister stehen und die die entnommene Menge anzeigt. Die genaue Rezeptur? „Betriebsge­heimnis“, erklärt Michael Bock. In Ulm produziert Liqui Moly Produkte mit etwa 160 verschiede­nen Zusammense­tzungen.

In den Mischtanks rührt danach ein propellera­rtiger Blattrühre­r das Additiv zusammen, das dauert zwischen zehn und 30 Minuten. Wenn dann das Labor eine Probe der Mischung freigibt, fließt der „Ventilschu­tz für Gasfahrzeu­ge“in einen von mehreren Pufferkess­eln, von wo die Flüssigkei­t in die Ablaufstat­ionen im Erdgeschos­s weitergepu­mpt wird. Die Luft in der Halle ist frisch und angenehm temperiert, starke Lüftungsan­lagen ziehen Benzin- und Ölgerüche sofort aus den Produktion­sanlagen heraus.

Fast direkt neben der Maschine, die den „Ventilschu­tz für Gasfahrzeu­ge“abfüllt, läuft an diesem Tag auch das Urprodukt des Ulmer Additiv-Spezialist­en vom Band – es ist ein Öl-Zusatz, der dem Unternehme­n auch seinen markanten Namen gegeben hat. Bei einer Reise in die USA entdeckte Firmengrün­der Hans Henle das Salz des Metalls Molybdän,

das die amerikanis­che Luftwaffe zum Schmieren ihrer Flugzeugmo­toren nutzte. Die US-Ingenieure gaben das Molybdänsu­lfid als Pulver in das Motorenöl, weil es die Kolben auch dann noch weiterschm­ierte, wenn der Feind den Öltank getroffen hatte und das Öl auslief. Um dieses Additiv baute Henle in den 1950erJahr­en sein Unternehme­n auf, es war das erste Produkt und stand Pate für den Namen: Liqui Moly – flüssiges Molybdänsu­lfid.

Neben ölbasierte­n Additiven wie dem Urprodukt und dessen Nachfolger Ceratec, in dem das Molybdänsu­lfid durch eine Keramikbei­gabe ersetzt ist, produziert Liqui Moly auch benzin- und wasserbasi­erte Zusatzstof­fe. Die Benzin-Additive, die 70

Prozent der Produktion ausmachen und zu denen auch der „Ventilschu­tz für Gasfahrzeu­ge“gehört, sollen rußigen Schmutz im Brennraum des Motors auflösen. Wasserbasi­erte Additive kommen direkt in den Kühlkreisl­auf und wirken gegen Verkalkung­en, die verhindern, dass das System die Hitze aufnimmt.

Gerade plant Liqui Moly ein neue Produktion­shalle. In der alten kann das Team von Michael Bock jede Woche Additive für bis zu 400 000 Dosen herstellen und abfüllen. Dass der Ulmer überhaupt bei Liqui Moly gelandet ist, hat am Opa gelegen. „Falls du mal die Chance hast, dahin zu gehen, dann machst du das, das ist ein Superladen“, habe der Großvater gesagt. „Er hat halt immer an seinem alten Motorrad geschraubt und das benutzt, was Liqui Moly für seine Maschine im Programm hatte.“Und im Superladen arbeitete sich der Ansetzer zum Maschinene­inrichter hoch, machte seinen Meister und leitete in den Jahren 2014 bis 2016 sogar die gesamte Ulmer Produktion. „Ich war bei vielen Millionenf­esten dabei, das waren immer die Feiern, wenn wir in der Jahresprod­uktion wieder auf eine Millionen mehr gekommen sind“, erläutert Michael Bock. Im Moment füllt Liqui Moly in Ulm jährlich zwischen 14 und 15 Millionen Dosen ab.

Die Basisöle für die Additive kommen dabei von der Tochter Méguin mit Sitz im saarländis­chen Saarlouis, die auch alle Motoröle von Liqui Moly produziert. 2006 hatte das Unternehme­n den Zulieferer gekauft. Bammel vor der Umstellung auf Elektroaut­os hat Michael Bock nicht. „Gebrauchte Autos werden noch lange einen Verbrennun­gsmotor haben – vor allem wenn man die Märkte in anderen Erdteilen anschaut“, erklärt er. „Außer Motorenöl brauchen auch Elektroaut­os sehr viel – Hydraulikö­l, Schmiersto­ff, Bremsflüss­igkeit.“

Bocks Chef ist ähnlich zuversicht­lich – und wie sein stellvertr­etender Produktion­schef sieht sich auch der Liqui-Moly-Geschäftsf­ührer als Anpacker, als Schaffer. „Wir müssen die Besten in unserem Bereich sein. So funktionie­rt Marktwirts­chaft“, sagt Ernst Prost. „Durch ständige Weiterentw­icklung unserer Produkte. Und im Vergleich zu den großen Ölkonzerne­n sind wir als Mittelstän­dler in der Lage, uns schnell an sich verändernd­e Rahmenbedi­ngungen anzupassen.“Dass die Marke mittlerwei­le auf der ganzen Welt bekannt ist, dass sich der Umsatz des Unternehme­ns seit dem Einstieg Prosts vervielfac­ht hat, liegt nicht zuletzt an dem Charakterk­opf, der sein Unternehme­n mit Mut und Geschick und einer oft hemdsärmel­igen Herangehen­sweise führt.

Ernst Prost kommt 1990 als Vertriebsc­hef zu Liqui Moly, drei Jahre später übernimmt er die Geschäftsf­ührung, bevor er von 1996 an schrittwei­se der Gründerfam­ilie Henle ihre Anteile abkauft. 1998 wird er geschäftsf­ührender Gesellscha­fter und richtet das Unternehme­n neu aus. Um nicht mehr nur von Großkunden abhängig zu sein, forciert er den Verkauf in Einzelhand­el und Werkstätte­n und erschließt neue Märkte im Ausland. Inzwischen macht Liqui Moly zwei Drittel seines Umsatzes im Ausland. „Die Industrie muss sich wie jede Form von Wirtschaft immer wieder neu erfinden“, erklärt Prost. „Das ist aber kein Standortpr­oblem, sondern eine Mentalität­sfrage.“

Den Standort Deutschlan­d – auch für die Produktion – hat der 64-jährige Unternehme­r deshalb auch nicht infrage gestellt. „Die Heimat von Liqui Moly liegt in Ulm, und da wird sie auch bleiben. Made in Germany weltweit ein anerkannte­s Qualitätsm­erkmal“, erklärt Prost. „Wir haben tolle Rahmenbedi­ngungen, Infrastruk­tur, Arbeitnehm­errechte, sehr gut gebildete und ausgebilde­te Menschen, Wohlstand und Frieden.“

Michal Bock kennt die Leidenscha­ft seines Chefs – und schätzt sie. „Morgens steht man manchmal so voreinande­r“, erzählt Bock und ballt die Fäuste, um die sprühenden Emotionen zu verdeutlic­hen, „abends ist alles wieder in Ordnung. Er sagt immer alles gerade heraus – und will, dass du das Feuer zurückgibs­t.“Dass er das auch kann, das Feuer zurückzuge­ben, weiß der stellvertr­etende Produktion­schef zu verbergen – zumindest wenn er im Werk unterwegs ist. Dann ist er eher der Schaffer und Anpacker. An diesem Tag schraubt Bock an der Anlage, die das Urprodukt von Liqui Moly abfüllt.

Ein Video mit Eindrücken aus der Produktion von Liqui Moly sowie künftig alle „Geschichte­n aus der Industrie“gibt es im Netz unter www.schwäbisch­e.de/industrie

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FOTO: BENJAMIN WAGENER Abfülllini­e mit dem Motorschmi­erstoff Molybdänsu­lfid: Firmengrün­der Hans Henle entdeckte den Stoff in den USA.

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