Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Kein Fest ohne Sissi und Kevin
Für viele Menschen gehören die Filmklassiker zur Weihnachtszeit dazu
Die Wangen sind mit Asche beschmutzt, aber der Schornsteinfeger ist es nicht. Ein Hütchen mit Federn, die Armbrust über der Schulter, aber ein Jäger ist es nicht. Ein silbergewirktes Kleid mit Schleppe zum Ball, aber eine Prinzessin ist es nicht.“Für viele Deutsche gehört er zu Weihnachten, aber ein Weihnachtsfilm ist es nicht. Oder doch? „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, eine Kooperation der ostdeutschen DEFA und des Prager Filmstudios Barrandov, führt hierzulande die Beliebtheitsskala der Weihnachtsfilme an. Allerdings mit gerade einmal zwölf Prozent, wie eine Umfrage von YouGov von 2018 ergab. Dahinter folgen „Kevin – Allein zu Haus“und „Der kleine Lord“mit je elf, danach „Sissi“mit nur fünf Prozent.
Längst ist es zur Tradition geworden, an Weihnachten Weihnachtsfilme anzuschauen. Was aber ist ein Weihnachtsfilm im engeren Sinne? Ein Film, der in der Weihnachtszeit spielt? Dann gehörte auch „Stirb langsam“in die Kategorie, was unter den Fans des Genres aber umstritten ist. Von den oben genannten erfüllt nur Kevin dieses Kriterium. Aschenbrödel wurde zwar im Winter gedreht, aber nur, weil die DEFA im Sommer keine Kapazitäten mehr frei hatte. Weihnachtlich wird es eigentlich nicht. „Der Kleine Lord“mit Ricky Schroder in der Titelrolle endet immerhin mit einer Weihnachtsfeier. So steht es zwar nicht in der Romanvorlage, die Szene wurde aber von der BBC eingebaut, um die Produktion gezielt als Weihnachtsfilm zu platzieren. Die „Sissi“-Trilogie hat mit Weihnachten gar nichts zu tun, aber die Kaiserin hatte immerhin am 24. Dezember Geburtstag und liebte das Fest.
Die meisten Weihnachtsfilme kommen aus Amerika, so auch das allererste bekannte Werk dieses Genres. 1897 kam „Santa Claus filling the stockings“in die Kinos. Der Titelheld rutscht durch den Kamin ins Haus, füllt die am Kamin aufgehängten Strümpfe mit Süßigkeiten und klettert wieder nach oben – Ende der Geschichte. Die Zuschauer waren dennoch beeindruckt.
1940 drehte Ernst Lubitsch die Komödie „Rendezvous nach Ladenschluss“über zwei Angestellte im gleichen Laden, die nichtsahnend eine romantische, aber anonyme Brieffreundschaft pflegen. Am Weihnachtsabend werden sie ein Paar. 1946 kam Frank Capras Tragikomödie „Ist das Leben nicht schön?“in die Kinos. Der Film handelt von einem verzweifelten Mann, den ein unerfahrener Schutzengel am Weihnachtsabend vom Selbstmord abhält. Ein Jahr später folgte „Das Wunder von Manhattan“über einen charismatischen alten Herren, der sich für den Weihnachtsmann hält. Diese Filme waren noch nicht als Weihnachtsfilme konzipiert, den Begriff gab es so noch gar nicht. Sie gaben aber den Anstoß für die HollywoodStudios, es immer wieder mit Filmen über das Fest zu probieren. Heute gehören die amerikanischen Meisterwerke aus jener Zeit zu den absoluten Klassikern, aber der Kultstatus stellte sich bei einigen von ihnen erst lange nach dem Kinostart ein.
Bis in die 1990er-Jahre war die Anzahl der jährlich gedrehten Weihnachtsfilme überschaubar. Inzwischen werden unzählige produziert. Nicht nur in den USA, Deutschland, den skandinavischen Ländern, sondern auch in Ländern wie Frankreich oder Italien, wo das Genre früher weniger verbreitet war. Alte Erfolge werden immer wieder neu verfilmt, sogar ein Aschenbrödel aus Norwegen ist in diesem Jahr darunter. Wie viele Weihnachtsfilme es insgesamt gibt, das weiß niemand genau. Auf einschlägigen Websites werden meist nur ein paar Dutzend Filme gelistet, viele Billigproduktionen und Werke aus kleinen Ländern bleiben unter dem Radar. WeihnachtsfilmExperte Tobias Clever schätzt, dass es heute weit über 500 Filme sind, dazu kommen noch mehrteilige Weihnachtsproduktionen für Kinder wie das Kika-Projekt mit „Beutolomäus“oder „Weihnachtsmann & Co. KG“sowie Weihnachtsfolgen beliebter Serien. „Durch die Streamingdienste und Spartensender werden heute viel mehr Filme produziert, als es noch bis in die 1990er-Jahre hinein der Fall war“, so Clever. Er selbst hat über 200 Weihnachtsfilme gesehen.
Vieles, was sich Weihnachtsfilm nennt, ist jedoch lieblos zusammengeschustert und schafft es nicht mal die B-Liga des Genres. Die für Weihnachtsfilme typische Wendung zum Guten passiert oft gegen jede innere Logik, einfach, weil Weihnachten ist. Was das breite Mittelfeld angeht, so lassen sich die Weihnachtsfilme nach den typischen Plots unterteilen: Kinderfilme, in denen Weihnachten in Gefahr ist – irgendein Bösewicht will stets das Fest aus irgendwelchen Gründen sabotieren – aber in letzter Minute renkt sich alles wieder ein. Liebesfilme, in denen Menschen in der Weihnachtszeit zueinanderfinden, bisweilen ist ein Partner dabei Angehöriger eines regierenden Fürstenhauses. Oder Tierfilme, in denen an Weihnachten Hunde und andere putzige Gesellen gerettet werden oder selbst ihre Besitzer retten. Und natürlich Slapstick – eine Familie bereitet sich auf Weihnachten vor, alles geht schief und am Ende brennt beinahe das Haus ab.
Eine andere Möglichkeit ist die Einteilung nach den Helden der Filme. Da sind natürlich der Weihnachtsmann
und seine Helfer, die in Schwierigkeiten geraten. Sehr beliebt sind auch arme, einsame Kinder, die schlecht behandelt werden, aber schließlich doch ihr Glück finden. Hierher passen auch Kevin, der kleine Lord, Aschenbrödel und in gewisser Hinsicht sogar Sissi. Dann gibt es noch die hartherzigen Bösewichter, die Weihnachten hassen und ihre Mitmenschen quälen, aber am Ende geläutert werden. Der Prototyp dieser griesgrämigen Weihnachtshasser ist Ebenezer Scrooge, ein reicher Geizhals aus der bekanntesten Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens. Drei Geister besuchen Scrooge in der Christnacht, um ihn dazu zu bringen, sein Leben zu ändern und ein großzügiger Mensch zu werden. Alleine diese Geschichte ist über 50-mal verfilmt worden, in Deutschland besonders bekannt sind die Version mit den Muppets und „Scrooged – Die Geister, die ich rief“, in der ein ehrgeiziger Fernsehproduzent die Rolle des zu läuternden Bösewichts einnimmt. Auch in Horrorfilmen ist Weihnachten ein beliebtes Motiv.
Als schlechtester Weihnachtsfilm überhaupt wird unter Kennern das „Star Wars Holiday Special“von 1978 gehandelt. Obwohl das Drehbuch von George Lucas stammt und viele Figuren des 1977 ausgestrahlten ersten Star Wars Films mitspielten, schlidderten sie mit dem Streifen auf die öde Seite der Macht. Den Produzenten ist dieser Ausrutscher bis heute peinlich, der Film wurde nie wieder gezeigt.
Was aber lohnt sich anzusehen? Hier eine Liste für diejenigen, die sich nicht durch Hunderte von Filmen durchquälen wollen, um ihre Favoriten zu finden. Da wäre beispielsweise aus Deutschland „Das fliegende Klassenzimmer“von Erich Kästner, und zwar in der Verfilmung von 1954. Der Schwarzweißfilm über die Nöte von Internatsschülern bietet nicht nur nostalgische Bilder, sondern echte Weihnachtsstimmung. Unter den neueren deutschen Filmen ist die Komödie „Zwei Weihnachtsmänner“mit Christoph Maria Herbst und Bastian Pastewka eine gute Wahl. Zwei völlig unterschiedliche Charaktere verirren sich auf der Rückreise und müssen gemeinsam versuchen, rechtzeitig zu Weihnachten daheim zu sein. Aus Finnland sind zwei sehr gegensätzliche Filme zu empfehlen: Die Horrorkomödie „Rare Exports“über den blutrünstigen finnischen Weihnachtsmann und „Wunder einer Winternacht“, die Geschichte eines armen Jungen, der zum heimlichen Gabenbringer und schließlich zum Weihnachtsmann wird. „Arthur Weihnachtsmann“zeigt die Familie Santa Claus als unfähige Egozentriker, denen die Kinder herzlich egal sind. Nur Arthur, der jüngste, glaubt noch an den Geist der Weihnacht. Im schwedisch-dänisch-deutschen Zeichentrickfilm „Morgen, Findus, wird’s was geben“konstruiert der alte Petterson seinem Kater, der sich einen Besuch vom Weihnachtsmann wünscht, eine Maschine, die den Job erledigen soll. Wer sich für die Dickens’sche „Weihnachtsgeschichte“interessiert, dem sei die Version von 1984 mit George C. Scott empfohlen, die sich eng an die Buchvorlage hält.