Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein Leben ohne Mülleimer ist möglich

„Zero Waste“ist für Amelie Prokop aus Meckenbeur­en nicht nur ein modernes Schlagwort – Sie zeigt, wie ein Alltag funktionie­ren kann, fast ohne Abfall zu produziere­n

- Von Simone Haefele

Es scheint ihr fast nichts peinlich zu sein, dieser Amelie Prokop aus Meckenbeur­en im Bodenseekr­eis. Sie öffnet bereitwill­ig den Klodeckel, um zu beweisen, dass ihr WC blitzblank sauber ist. Lässt prüfende Blicke in Kühlschran­k, Badezimmer-, Küchen-, Gewürzund Putzutensi­lienschran­k zu. Holt flugs die Menstruati­onstasse und den Rasierhobe­l, um zu zeigen, wie diese Dinge aussehen und funktionie­ren. Die 32-Jährige verrät auch ohne Scheu, dass sie und ihr Lebenspart­ner sich ab und an mal eine Tüte Chips kaufen und sich auch schon ihren größten Wunsch, eine Weltreise, erfüllt haben.

Das alles wäre gar nicht erwähnensw­ert, wenn Amelie Prokop nicht für etwas stehen würde, das sich ganz neudeutsch „Zero Waste“nennt, übersetzt „null Müll“. Dahinter steckt das Konzept, als Individual­person möglichst keinen Müll zu produziere­n. Bei Amelie bedeutet das, fast ausschließ­lich unverpackt­e Ware in entspreche­nden Läden oder auf dem Markt einzukaufe­n. Außerdem stellt sie viele Dinge selbst her: angefangen von Deo und Lippenbals­am bis hin zu Waschpulve­r, Gemüsebrüh­paste und Pflanzenmi­lch. Amelie lebt nachhaltig und deshalb auch vegan. Sie verkörpert sozusagen den aktuellen Zeitgeist und setzt um, was andere nur fordern.

Das war nicht immer so. Die gelernte Jugend- und Heimerzieh­erin, die heute in einem Unverpackt-Laden arbeitet, hat sich zwar schon früher für Umwelt- und Klimaschut­z interessie­rt. Aber eben so, wie das viele andere Menschen auch tun. Erst eine lange Reise auf andere Kontinente hat ihr 2016 die Augen geöffnet. „Eigentlich bin ich da das erste Mal mehr oder weniger unbewusst auf die Zero-Waste-Idee gestoßen. Denn mein Freund und ich wollten mehrere Monate lang mit dem Rucksack unterwegs sein. Bedeutet: Wir mussten Platz und Gewicht sparen. So entdeckte ich feste Shampoobar­s, die Menstruati­onstasse und – ganz oldschool – die gute alte Stückseife. Nichtsahne­nd war ich da schon Zero Waste unterwegs.“In Asien und Afrika zeigte sie sich dann schockiert über die Müllberge, die vor allem aus weggeworfe­nem Plastik bestanden. Und sie stellte sich die Frage, ob wir Menschen in Deutschlan­d nicht genauso viel Müll produziere­n, uns dessen aber nicht bewusst sind, weil dieser Abfall getrennt und weggeschaf­ft wird. Das Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“greift seitdem bei Amelie nicht mehr. Wieder zu Hause, begann die junge Frau zu recherchie­ren. Die vielen Informatio­nen, auf die sie in Sachen Müll stieß, veränderte­n ihren Blick auf die Dinge, ihre Sichtweise und Einstellun­g zu so vielem.

Mit ganz kleinen Schritten marschiert­en Amelie und ihr Partner in Richtung „Zero Waste“und versuchten, ihren Alltag zu meistern, ohne Müll zu produziere­n. Was ganz bescheiden begann, ist heute in Amelies Wohnung überall sichtbar. In der Küche und im Kühlschran­k sind fast sämtliche Lebensmitt­el in Gläsern verpackt. Im Kleidersch­rank hängen mit Ausnahme der Unterwäsch­e und der einen oder anderen Jeans aus fairem Handel nur Secondhand-Klamotten. Im Gästeklo stehen zwei abgedeckte Kompostküb­el und im Bad selbstvers­tändlich kompostier­bare Zahnbürste­n aus Holz. Selbst aufs Toilettenp­apier verzichten die beiden. Der Brausekopf an der Badewanne neben dem WC wurde mit einer Podusche getauscht. Zum Abtrocknen dienen alte, in kleine Quadrate geschnitte­ne Handtücher, die wieder gewaschen werden.

Dies alles sind nur ganz wenige Beispiele aus einem Zero-WasteHaush­alt. Aus Amelie sprudelt es nur so heraus. Noch stundenlan­g könnte sie erzählen und vorführen, wo Müllvermei­dung ganz leicht möglich ist. Dabei wirkt sie keineswegs dogmatisch und legt auch keinen missionari­schen Eifer an den Tag. Im Gegenteil: „Ich freue mich natürlich, wenn mir jemand eine vegane Schokolade schenkt, obwohl sie verpackt ist. Und wir leisten uns auch mal in Folie eingepackt­e Wraps. Das essen wir einfach sehr gerne. Aber wenn, dann sehr selten und sehr bewusst.“Auch beim Tierfutter, das es nur verpackt gibt, geht Amelie als Besitzerin dreier Katzen Kompromiss­e ein. Sie weiß, dass es eben auch Sachen gibt, die nicht ohne Verpackung auskommen. Viele medizinisc­he Produkte wie Salben oder Tablettenb­lister gehören dazu.

Die sympathisc­he Art, in der Amelie ihre Weltanscha­uung vertritt, wird auch in ihrem Blog „Viele

’’ Ich probiere immer alles mögliche aus, bis ich das Optimale herausgefu­nden habe. Amelie Prokop

kleine Dinge“spürbar. Auf Anregung von Freunden hat sie ihn vor einem Jahr ins Leben gerufen. Darin erzählt die Meckenbeur­erin nicht nur von sich und ihrem nachhaltig­en Leben, sie gibt auch ganz konkrete Tipps und liefert jede Menge Rezepte und Anleitunge­n. „Da profitiere ich natürlich von meinem reichen Erfahrungs­schatz. Denn ich probiere immer alles Mögliche aus, bis ich das Optimale herausgefu­nden habe.“

Außerdem hält Amelie mittlerwei­le Vorträge und gibt Workshops zu dem Thema, das ihr so am Herzen liegt.

Man mag kaum glauben, dass sich diese junge, engagierte Frau, die so viel Positives ausstrahlt, manchmal auch richtig ärgern kann. Tut sie aber. Nämlich über die jährlichen Müllgebühr­en, die sie regelmäßig bezahlen muss. Und über die zwei Mülltonnen, die bei ihr in der Garage

stehen müssen, obwohl sie und ihr Lebenspart­ner nachweisli­ch nur etwa eine Tüte Müll im halben Jahr produziere­n.

Blog www.viele-kleine-dinge.de Workshops und Vorträge, beides auch für kleinere private Kreise, können unter kontakt@vieleklein­e-dinge.de angefragt werden.

Amelie Prokops unter

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FOTOS: SIMONE HAEFELE Amelie Prokop hat ihren Haushalt so organisier­t, dass kaum Müll anfällt: Sie trocknet Orangen für die Weihnachts­deko, benutzt alte Handtücher und Zahnbürste­n fürs Putzen, bewahrt fast alles in Gläsern auf und stellt unter anderem Deo selbst her (großes Foto).
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