Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Jedes Paket für sich ist eine Überraschung“
25 Jahre Galerie Tobias Schrade – Der Ulmer über seine Jubiläumsaktion und die großen Fußstapfen des Vaters
ULM - Die Galerie Tobias Schrade feiert ihr 25-jähriges Bestehen mit einer ungewöhnlichen Kunstaktion. Auch an einem Buch wird gerade gearbeitet. Was die Kunstgalerie im Ulmer Fischerviertel von andern unterscheidet, ist der persönliche Umgang mit der Kundschaft und das freundschaftliche Verhältnis zu fast allen Künstlerinnen und Künstlern im Programm. Entsprechend viel hat Tobias Schrade zu erzählen.
Herr Schrade, wenn schon kein Fest, dann wenigstens Pakete von allen Künstlerinnen und Künstlern Ihrer Galerie. Wie kam die Aktion „Wir packen aus“zustande?
Wir wollten etwas Außergewöhnliches machen, weil natürlich auch Jubiläen sich wiederholen. Daher musste etwas Neues entwickelt werden. Anfangs war ich ein bisschen skeptisch, ob die Idee wirklich so gut ist. Aber dann gab es so viel positive Resonanz, dass ich ganz überrascht war. Es ist ja eine sehr bildgewaltige Aktion mit den vielen Paketen und ehrlich gesagt auch mehr Aufwand als gedacht.
Wie viele Pakete dürfen Sie jetzt auspacken? Gibt es eine bestimmte Reihenfolge?
Es sind mehr als 70 Stück, und jedes für sich ist eine Überraschung. Da auch ein Buch zum Jubiläum in Arbeit ist, wird zeitlich chronologisch ausgepackt und zumindest in Ansätzen auch so gehängt. Das heißt: Es geht los mit den allerersten Künstlern noch aus Berliner Zeiten bis zum aktuellsten Zugang, Isabelle Konrad.
Und die Besucher dürfen Ihnen dabei zuschauen?
Ja, aber es wird nicht so gut angenommen. Da merkt man dann doch, dass die Idee eine gewisse Schwäche hat. Ursprünglich war eine Riesenperformance mit der Künstlerin
Danielle Zimmermann geplant, bei der dann öffentlich die Pakete ausgepackt worden wären. Doch wegen Corona kam alles anders. Dafür funktioniert die Idee in den sozialen Medien. Wir posten täglich unser „Unboxing“in Form von Fotos, von Videos im Zeitraffer.
Was war Ihr persönliches Highlight in den 25 Jahren?
(überlegt lange) Die Gedächtnisausstellung im vergangenen Jahr mit Arbeiten von Thomas Kahl aus Ulm. Das war eine großartige Kooperation mit dem Stadthaus Ulm, bei der wir ein umfangreiches Buch dazu herausgebracht haben.
Was war Ihr skurrilstes Erlebnis? Die Begegnung mit einem empörten Sammler. Wir hatten 2006 beim Spiel Deutschland gegen Serbien mit Freunden die Galerie zum FußballWM-Studio umfunktioniert und waren nicht gerade nüchtern, als ein Sammler in der Tür stand. Er war extra angereist, um unsere Ausstellung zu seinem geliebten Künstler anzuschauen. Der Mann war völlig geschockt, dass wir in der Galerie gefeiert haben, denn er suchte ja Ruhe. Er ist dann verärgert abgerauscht und hat noch eine böse E-Mail hinterhergeschickt. Der Künstler hat übrigens auch nicht verstanden, dass der Sammler deswegen so sauer war.
Ist auch mal etwas passiert, womit Sie nie gerechnet hätten?
Hm, es wurde mal bei einer Vernissage ein Bild von Menno Fahl gestohlen. Die Eröffnungen sind bei uns auch eher gesellig, können lange dauern. Wie immer war die Tür offen, wir standen mit der Kundschaft an der Bar, und dann war plötzlich ein Bild weg. Man muss dazu sagen, es hing im Eingangsbereich. Vermutlich war es Vandalismus und es ist tatsächlich nie wieder aufgetaucht – auch nicht in der Blau.
Sie stellen immer wieder Neuentdeckungen vor. Wo werden Sie fündig? Wenn man ein gutes Netzwerk hat, dann ergibt sich das fast von selbst. Auch auf Messen kann man so manches entdecken. Das wichtigste jedoch sind die persönlichen Kontakte zu den Künstlerinnen und Künstler, mit denen wir zusammenarbeiten. Das ist wie beim Coronavirus – aus wenigen werden mehr, und plötzlich sind es ganz viele.
War jemals ein Senkrechtstarter dabei?
Matthias Garff könnte man so bezeichnen. Wir hatten Marc Taschowsky zu einer Doppelschau eingeladen, zu der er wiederum Matthias Garff mit seinen schrägen Vögeln und Insekten aus Recyclingmaterial mitgebracht hat. Mir war sofort klar, dass das etwas Besonderes ist. Seine Karriere begann aber erst damit, als mein Vater (Anm.: der Galerist Ewald Schrade) mich 2019 fragte, ob ich nicht auf der Art Karlsruhe einen Skulpturenplatz bespielen will, der plötzlich frei geworden war. Anfangs habe ich aus Kostengründen und weil mir im ersten Moment kein Knaller einfiel, abgelehnt. Wenig später kam mir Matthias Garff in den Sinn und ich habe dann doch zugesagt. Inzwischen hat der Künstler, der in Leipzig lebt, reihenweise museale Einzelausstellungen.
Ihr Programm ist enorm vielfältig. Wodurch wird es aus Ihrer Sicht zusammengehalten?
Durch die Qualität. Auch wenn ich nicht klar definieren kann, woran man diese erkennt. Sagen wir mal so: Eigenständigkeit ist wichtig. Manchmal auch ein bestimmtes Handwerk. Und möglichst geringe Überschneidungen mit anderen Künstlern aus unserem Programm.
Sie betreiben die Galerie ja schon lange mit Ihrer Lebenspartnerin, der Fotografin Martina Strilic. Gab es nie die Diskussion, mal den Namen zu ändern?
Doch, vor allem von meiner Seite aus, denn sie engagiert sich ungemein für die Galerie. Aus geschäftlicher Sicht ist eine Namensänderung aber eine Katastrophe, dann sind die 25 Jahre einfach weg. Wir sind längst eine Marke.
Die Galerie wurde 1996 am Berliner Chamissoplatz gegründet. Wie kam es 2002 eigentlich zum Umzug nach Ulm?
Das hat sich von heute auf morgen so ergeben – irgendwann hatte ich das Gefühl, ich muss wieder nach Hause. Dass die Wahl auf Ulm fiel, war Zufall. Im Nachhinein hat sich das als Vorteil herausgestellt, denn so konnte ich all die Künstler ausstellen, die in Berlin schon vertreten waren und hier noch nicht. Christopher Lehmpfuhl zum Beispiel.
Ihre Mutter Dorothea Schrade hat einmal erzählt, dass Sie schon als kleiner Junge in Schloss Mochental die Kunden beraten haben. War für Sie schon immer klar, dass Sie Galerist werden wollen?
Ja. Ich war als Nachzügler der Familie von Anfang an immer mit dabei: auf den Kunstmessen, in der Galerie in Kisslegg im Allgäu und später in Mochental. Ich hatte also schon immer sehr viel Kontakt mit Künstlern.
Ihr Vater, der Galerist Ewald Schrade, hinterlässt große Fußstapfen. War das je ein Problem für Sie? Nein, damit haben höchstens andere Probleme. Ich war immer dabei und bin es auch heute noch, indem ich ihn in Mochental zweimal die Woche unterstütze. Im Übrigen haben wir uns darauf geeinigt, dass wir unsere Arbeit gegenseitig immer gut finden. Das erleichtert vieles. Und jeder macht sein Ding.
Die Jubiläumsschau „25 Jahre Galerie – Wir packen aus“entsteht bis 17. Dezember. Von 18. Dezember bis 22. Januar kann sie besichtigt werden. Öffnungszeiten: Mi.-Fr. 13-18 Uhr, Sa. 11-15 Uhr. Den Auspackprozess zeigt die Galerie Tobias Schrade mit Fotos und Videos auf Instagram.