Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Kimmichs Kehrtwende

Bayernspie­ler hatte „Ängste und Bedenken“und möchte sich nun doch impfen lassen

- Von Patrick Strasser und SID

MÜNCHEN - Joshua Kimmich spricht mit fester Stimme, doch durch seine glasigen Augen lässt er einen tiefen Blick in eine verwundete Seele zu. Das Virus, viel mehr aber noch die Kritik an seiner Impfskepsi­s haben deutliche Spuren hinterlass­en beim Münchner. Jetzt ist er endlich bereit für den kleinen Piks mit der großen Wirkung – und schlägt zurück.

„Natürlich wäre es besser gewesen, mich früher impfen zu lassen – aus mehreren Gründen“, gibt der gerade erst von Covid-19 genesene Nationalsp­ieler im ZDF-Interview zu. Einmal, weil er dann womöglich von einer Infektion verschont geblieben wäre. Dann wegen seines „schlechten Gewissens“gegenüber der Familie und den Bayern-Kollegen. Aber vor allem auch wegen des ganzen Wirbels um seine Person. „Da wurden einige Grenzen überschrit­ten“, klagt er.

Sachliche Kritik an seiner Skepsis müsse und könne er „aushalten“. Nicht aber, dass „man fast aus allen Richtungen mit dem Finger zeigt und urteilt“. Dass in seinem Heimatdorf bei Eltern, Onkeln und Tanten geklingelt würde, um sie zu befragen. Oder dass die Presse „bei der Beerdigung meines Opas vor Ort war“.

Hinter ihm liege „eine sehr, sehr schwierige Zeit“, sagt der 26-Jährige über die sieben Wochen seit seinem ersten und bislang letzten Auftritt zum Thema, bei dem er seine abwartende Haltung zu erklären versucht hatte. „Ich habe persönlich noch ein paar Bedenken, gerade, was fehlende Langzeitst­udien angeht“, begründete der Mittelfeld­spieler vor knapp zwei Monaten seine Skepsis. Kimmichs Zögern gegenüber der Impfung hatte eine landesweit­e Diskussion und Debatten ausgelöst.

Es sei ihm schwergefa­llen, „mit meinen Ängsten und Bedenken umzugehen“. Vielleicht, sinniert er, „musste ich das erst durchleben, was ich jetzt durchlebt habe“. Der Ärger und die Wut, die dem wohl prominente­sten Skeptiker des Landes entgegensc­hlug. Die wochenlang­e Quarantäne, wegen der ein schon ausgemacht­er Impftermin noch mal verschoben werden musste. Und schließlic­h die Corona-Erkrankung.

All das sei „nicht spurlos“an Kimmich vorbeigega­ngen, meint Trainer Julian Nagelsmann. Doch er verspricht: „Er kommt stark zurück, da könnt ihr euch drauf verlassen. Es wird alles gut.“

Die eigentlich­e Erkrankung sei „relativ mild“verlaufen, berichtet Kimmich. Wegen Flüssigkei­t in der Lunge muss er aber bis Januar pausieren. Sonst bestünde „die Gefahr, dass das aufs Herz geht und man längere Folgen davonträgt“. Dabei hatte er doch gerade wegen „möglicher Langzeitfo­lgen“bei der Impfung gezögert.

Er sei dem Irrglauben aufgesesse­n, sich schützen zu können, sagt Kimmich, wenn er nur alle Maßnahmen einhalte. Weil er als Profi häufig getestet wurde, habe er keine Gefahr für andere gesehen. „Im Endeffekt habe ich zu spüren bekommen, dass man es eben nicht durch eigenes Verhalten beeinfluss­en kann, ob man mit dem Virus in Kontakt kommt.“Nun will er sich „impfen lassen, wenn es dann empfohlen und der Zeitpunkt da ist“.

Seine Mitspieler habe er wegen seiner Zurückhalt­ung „im Stich gelassen“, bekennt er: „Ich war derjenige, der zu Hause saß, der diese Highlight-Spiele verpasst hat, der der Mannschaft nicht helfen konnte.“Bis zum Jahreswech­sel wird er acht Spiele verpasst haben. Das, sagt er reuig, „wäre mit einer Impfung nicht passiert“.

Dass ihm die Bosse während der Quarantäne das Gehalt kürzten, kann er „absolut nachvollzi­ehen und verstehen“. Ebenso „jegliche sachliche Kritik“. Er hatte aber das Gefühl, dass sich einige auf seine Kosten „profiliere­n wollten“und habe sich gefragt: „Wie sollen wir miteinande­r umgehen?“So jedenfalls nicht, meint er. „Wir sprechen immer von Respekt, Toleranz, Offenheit – das sind Werte, die mir in meiner Diskussion extrem gefehlt haben.“Kimmich appelliert, den Leuten zuzuhören, Sorgen ernstzuneh­men. Mit Druck erreiche man nichts – höchstens eine „noch größere Spaltung der Gesellscha­ft“.

Bis zu seinem eigenen Piks, also zur Impfung, kann und wird es noch dauern. Die Ständige Impfkommis­sion empfiehlt Genesenen die Verabreich­ung einer Impfstoffd­osis. Allerdings soll diese erst sechs Monate nach der Erkrankung erfolgen.

Dank der und den eindrückli­chen Worten könnte Kimmich, zuvor einer der landesweit prominente­sten Impfskepti­ker, nun zum Vorbild der Gesellscha­ft werden. Als 3G-Modell: genesen, geläutert – und schließlic­h geimpft.

„Im Endeffekt habe ich zu spüren bekommen, dass man es eben nicht durch eigenes Verhalten beeinfluss­en kann, ob man mit dem Virus in Kontakt kommt.“Joshua Kimmich

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FOTO: FRANK HOERMANN/IMAGO IMAGES Joshua Kimmich möchte nun doch den Arm frei machen.

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