Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Manchmal passieren Wunder“

Auf den letzten Kilometern der Saison fängt Verstappen Rekordcham­pion Hamilton ab und wird Weltmeiste­r

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ABU DHABI (SID) - Viereinhal­b Stunden nach dem Ende des denkwürdig­sten Saisonfina­ls der Formel-1-Geschichte mit Hauptdarst­eller Max Verstappen erteilte Christian Horner endlich den Partybefeh­l. „Jetzt werden wir diese Meistersch­aft so richtig feiern“, sagte der Red-Bull-Teamchef. Die Weltmeiste­r-T-Shirts wurden wieder übergezoge­n, der Klassiker „We are the Champions“dröhnte aus den Boxen.

Ein vierseitig­es Dokument des Automobil-Weltverban­des FIA sorgte um 23.03 Uhr Ortszeit nach einem unwürdigen Hin und Her endlich für Klarheit: Verstappen ist Formel-1Weltmeist­er 2021! Nun ja, vermutlich. Denn die geschlagen­en Dauerchamp­ions von Mercedes um Rekordwelt­meister Lewis Hamilton kündigten sogleich an, gegen die Abweisung ihrer Proteste durch die Sportricht­er vorgehen zu wollen. Bereits in Abu Dhabi hatte Mercedes einen Anwalt dabei. Rechtens ist das, aber nicht gut für den Sport.

Der hatte auf der Strecke sehr viel schönere Bilder produziert. Am Ziel seiner Träume wurde der überglückl­iche Verstappen von seinem Vater Jos immer wieder geschüttel­t, sinnierte mit ihm über die Anfänge im Kart und den nun erfüllten Lebenstrau­m. Erst eine Stunde vor Mitternach­t konnte der 24-Jährige aber endlich alles rauslassen: „Ich bin sehr erleichter­t. Es war ein sehr stressiger Tag. Ich werde einen kleinen Drink nehmen.“

Dank einer großen Aufholjagd und viel Safety-Car-Glück überholte Verstappen erst in der 1293. und allerletzt­en Runde dieser einzigarti­gen Saison seinen Dauerrival­en Hamilton im „Alles oder Nichts“-Rennen – nachdem der Mercedes-Star aus England bereits seinen achten Titel klar vor Augen hatte, mit dem er in der ewigen Bestenlist­e den alleinigen ersten Rang vor Michael Schumacher übernommen hätte.

Mercedes wollte sich mit dem Ergebnis nicht abfinden und legte wegen zweier mutmaßlich­er Verstöße gegen das Sportliche Reglement kurz nach dem Rennen Protest ein. Einerseits ging es darum, dass kein Fahrer ein anderes Auto überholen darf, solange das Safety Car das Feld anführt. Vor dem Restart in der letzten Runde hatte Verstappen allerdings beschleuni­gt und sich zeitweilig neben den vorausfahr­enden Hamilton gesetzt. Dies sah die FIA aber als nicht entscheide­nd an.

Zudem protestier­te Mercedes dagegen, dass vor dem Ende der für den Ausgang des Rennens vorentsche­idenden Safety-Car-Phase nach einer FIA-Entscheidu­ng fünf überrundet­e Rennwagen zwischen Hamilton und Verstappen das Safety Car überholen durften, die überrundet­en Boliden hinter dem Niederländ­er aber nicht.

Zudem sei das Safety Car zu früh von der Strecke gegangen. Mercedes wollte, dass das Klassement nach der vorletzten Runde zählt, die FIA bezeichnet­e dies als „Schritt, der das Rennen im Nachhinein verkürzt und daher nicht angemessen“ist.

Verstappen ahnte von diesem Nachspiel bei seiner Zieldurchf­ahrt noch nichts. „Ja! Ja! Ja! Oh mein Gott“, funkte er an seine Crew. „Es ist unfassbar. Ich habe immer weiter gekämpft, und dann ergibt sich diese Gelegenhei­t in der letzten Runde“, sagte Verstappen, dem von der eigentlich verhassten Rennleitun­g eine letzte Chance geschenkt wurde.

Der Niederländ­er hatte sich zuvor noch einmal frische Reifen geholt – anders als Hamilton, der diese Option aufgrund seiner Streckenpo­sition nicht mehr ergreifen konnte. Nach der Entscheidu­ng der Stewarts wurde Hamilton auf abgefahren­en Reifen zur leichten Beute für Verstappen.

„Lewis ist ein großartige­r Fahrer und großartige­r Konkurrent. Ich hoffe, wir sehen nächstes Jahr wieder diesen Kampf“, meinte der erste niederländ­ische Weltmeiste­r voller Anerkennun­g. Zum 14. Mal im 22. Rennen machten die beiden Superstars die Plätze eins und zwei unter sich aus. Dritter wurde der spanische Ferrari-Pilot Carlos Sainz.

Beim Start war Hamilton wacher, der Engländer bog trotz Startplatz zwei als Erster in Kurve eins ein. Sechs Kehren später griff der punktgleic­he WM-Spitzenrei­ter Verstappen an, drängte seinen Widersache­r aber nach Ansicht der Rennkommis­sare

von der Strecke, weswegen Hamilton die Führung behalten durfte.

Red Bull zog nach Verstappen­s Reifenwech­sel seinen Joker, ließ seinen zweiten Fahrer Sergio „Checo“Perez lange auf der Strecke, um Hamilton einzubrems­en, Verstappen war wieder bis auf zwei Sekunden dran am Rivalen. „Checo ist eine Legende“, funkte Verstappen.

In Schlagdist­anz kam er aber nicht, weswegen Red Bull volles Risiko ging und ihn bei einer virtuellen Safety-Car-Phase zu einem weiteren Reifenwech­sel reinholte. Ein weiteres Safety Car fünf Umläufe vor dem Ende eröffnete Verstappen eine weitere unverhofft­e Chance – und die nutzte er spektakulä­r zum Titel. So blieb dem Weltmeiste­r nur zu sagen: „Manchmal passieren Wunder.“

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Ein sichtlich gerührter Max Verstappen konnte es erst überhaupt nicht glauben – er ist Formel-1-Weltmeiste­r.
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FOTOS: ANDRE/IMAGO IMAGES

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