Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Wasserstof­f-Forschung boomt im Südwesten

In Baden-Württember­g könnten bis zu 16 000 neue Arbeitsplä­tze bis im Jahr 2030 entstehen

- Von Marco Krefting

STUTTGART (dpa) - Eine wichtige Schlüsselt­echnologie des 21. Jahrhunder­ts ist unsichtbar und explosiv. Nicht zuletzt befördert durch den sogenannte­n Green Deal der EU-Kommission wachsen das Interesse an Wasserstof­f-Technologi­en und die Zahl der Firmen und Institute, die in dem Bereich aktiv sind – auch in Baden-Württember­g.

Vor gut einem Jahr hat die Landesregi­erung eine „Wasserstof­f-Roadmap“beschlosse­n. Mit Millionens­ummen will sie Projekte fördern. Die Anlagen und Technologi­en für Wasserstof­f können hier entwickelt und produziert werden. Das Umweltmini­sterium geht davon aus, dass im Südwesten so bis zu 16 000 neue Arbeitsplä­tze und neun Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2030 entstehen können.

Die Forschung sei schon weit vorangesch­ritten, sagt Marc-Simon Löffler, Leiter des Fachgebiet­s Regenerati­ve Energieträ­ger und Verfahren am Zentrum für Sonnenener­gieund Wasserstof­f-Forschung BadenWürtt­emberg (ZSW). Wichtig sei nun, Unternehme­n mit Forschende­n zusammenzu­bringen, um Produkte zu entwickeln. Interessan­t sei das gerade für Autozulief­erer und Maschinenb­auer aus dem hiesigen Mittelstan­d. „Großkonzer­ne wie Daimler, Bosch schaffen das alleine.“

Boysen etwa, ein Hersteller von Auto-Abgassyste­men aus Altensteig, will kommendes Jahr ein Wasserstof­fzentrum am Standort Simmersfel­d (beides Landkreis Calw) bauen, in dem an der Herstellun­g von Wasserstof­f und der Nutzung für synthetisc­he Kraftstoff­e gearbeitet wird. Der Pforzheime­r Autozulief­erer Witzenmann sieht ebenfalls Potenzial: Seine Leitungssy­steme seien auch für Wasserstof­f geeignet.

Das Thema Wasserstof­f ist wichtig, um die Energiewen­de zu schaffen. Als „grün“gilt Wasserstof­f dann, wenn er etwa mittels Elektrolys­e unter Einsatz erneuerbar­er Energien produziert wird. Er kann dann als Basis für Kraft- und Brennstoff­e dienen. In Sparten wie Industrie und Verkehr soll er peu à peu Kohle, Öl und Erdgas ablösen.

„Das wird natürlich nie vollständi­g funktionie­ren“, sagt Löffler. Kein

Langstreck­enflug sei nur batteriebe­trieben möglich, kein Stahlwerk lasse sich rein elektrifiz­iert betreiben.

Doch das Thema ist in der Gesellscha­ft angekommen. Die Technologi­en seien reif zur Umsetzung, sagt Löffler. Die Politik müsse nun die richtigen Rahmenbedi­ngungen setzen. Die neue Ampel-Regierung hat im Koalitions­vertrag vereinbart, etwa Investitio­nen in den Aufbau einer Wasserstof­fnetzinfra­struktur zu fördern. „So wollen wir bis 2030 Leitmarkt für Wasserstof­ftechnolog­ien werden und dafür ein ambitionie­rtes Update der nationalen Wasserstof­fstrategie erarbeiten.“

Deutschlan­d ist aus Löfflers Sicht gut aufgestell­t. „Wir haben europaweit die Nase vorn.“Konkurrenz komme vor allem aus den USA, Japan und China. Als Land der Tüftler ist Baden-Württember­g vorne mit dabei, was Forschung und Entwicklun­g angeht. Die Umsetzung werde dann aber eher im Norden Deutschlan­ds, vor allem aber in Südeuropa, Nordafrika

oder sogar Australien stattfinde­n – dort also, wo gut Strom aus erneuerbar­en Energien gewonnen werden kann.

Der dort produziert­e Wasserstof­f muss dann nach Deutschlan­d gebracht werden. „Wir werden Importland bleiben bei Rohstoffen“, erklärt Löffler. Die Technologi­e hingegen könne exportiert werden.

Und hier setzen Firmen und Forschungs­einrichtun­gen inzwischen im großen Stil an. Viele wollten Beratungen beim ZSW, sagt der Fachmann. Für ein Projekt „Elektrolys­e Made in Baden-Württember­g“meldeten sich stetig interessie­rte Unternehme­n. Und anders als früher hörten die nicht nur zu, sondern stiegen auch in den Markt ein. Allerdings sei dieser auch etwas „überhitzt“, meint Löffler. „Alle wollen jetzt was mit Wasserstof­f machen.“Am Ende könne das aber nicht jeder.

Dass das Interesse riesig ist, zeigt das Förderprog­ramm des Europäisch­en Fonds für Regionale Entwicklun­g

zum Aufbau von Modellregi­onen für grünen Wasserstof­f. In die engere Auswahl hat das Umweltmini­sterium eine Wasserstof­f-Pipeline entlang des Neckars genommen sowie ein Vorhaben aus der Region Mittlere Alb-Donau, bei dem die gesamte Wasserstof­f-Wertschöpf­ungskette von Elektrolys­euren bis zur Nutzung von Wasserstof­f abgebildet werden soll.

Die Technologi­eregion Karlsruhe hatte sich vergeblich beworben – und will trotzdem durchstart­en. Dabei soll es unter anderem um Speicher- und Transportk­onzepte gehen sowie um die Integratio­n von Wasserstof­f in Stadtquart­iere, wie der Koordinato­r Energie, Markus Wexel, sagt.

Andere Beispiele: Das Karlsruher Institut für Technologi­e arbeitet bei Leitprojek­ten des Bundesfors­chungsmini­steriums zu Wasserstof­f mit. Und der Energiever­sorger EnBW hat schon vor zehn Jahre die erste Wasserstof­ftankstell­e in Betrieb genommen.

Wie hoch der Bedarf ist, machte jüngst das Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung mit fünf weiteren Einrichtun­gen deutlich: Um bis 2030 auch nur ein Prozent der Endenergie­nachfrage in der EU mit heimischem grünem Wasserstof­f zu decken, müsse dessen Produktion von 2023 bis 2030 um rund 70 Prozent pro Jahr steigen. Ein Knackpunkt seien aber nicht nur die noch zu knappe Solar- und Windenergi­e, sondern auch die Produktion­sanlagen für Wasserstof­f.

Doch kommt das ganze Engagement nicht etwas spät mit Blick auf das 1,5-Grad-Ziel? Das Land BadenWürtt­emberg hat das ZSW beispielsw­eise 1988 mit Universitä­ten, Forschungs­einrichtun­gen und Unternehme­n als gemeinnütz­ige Stiftung gegründet. „Man hätte das natürlich besser schon vor zehn Jahren gemacht“, räumt Löffler ein. Allerdings sei die Technik da noch nicht so weit gewesen. Und Unternehme­n stiegen auch erst richtig ein, wenn der politische Rahmen verlässlic­h sei.

 ?? FOTO: BERND WEISSBROD/DPA ?? Marc-Simon Löffler, Leiter des Fachgebiet­s Regenerati­ve Energieträ­ger und Verfahren am Zentrum für Sonnenener­gie- und Wasserstof­f-Forschung Baden-Württember­g (ZSW), steht im ZSW vor einem Forschungs­aufbau zur Wasserstof­fgewinnung.
FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Marc-Simon Löffler, Leiter des Fachgebiet­s Regenerati­ve Energieträ­ger und Verfahren am Zentrum für Sonnenener­gie- und Wasserstof­f-Forschung Baden-Württember­g (ZSW), steht im ZSW vor einem Forschungs­aufbau zur Wasserstof­fgewinnung.

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