Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Hunderte Kühe vernachläs­sigt

Landwirte aus dem Oberallgäu nach Tierschutz­skandal zu Bewährungs­strafen verurteilt

- Von Frederick Mersi

KEMPTEN (dpa) - Als Kontrolleu­re im Oktober 2019 nach einer anonymen Anzeige einen Milchviehh­of im Allgäu besuchten, war die Situation dort schon sichtbar außer Kontrolle geraten. Auf dem Familienbe­trieb fanden Amtstierär­zte überfüllte Ställe, abgemagert­e Kühe, entzündete Klauen mit vergammelt­en Verbänden und Rinder, die im Kot lagen. Doch trotz klarer Vorgaben für die Betreiber und weiterer Kontrollen änderte sich zunächst kaum etwas.

Die drei Landwirte des Hofs im Landkreis Oberallgäu, ein Ehepaar und dessen erwachsene­r Sohn, sind am Dienstag wegen Verstößen gegen das Tierschutz­gesetz in mehr als 100 Einzelfäll­en zu Bewährungs­strafen zwischen einem Jahr und drei Monaten und einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden. Das Urteil ist rechtskräf­tig.

Das Landgerich­t Kempten sah es als erwiesen an, dass die Angeklagte­n mindestens 43 Rinder zwischen Oktober 2019 und März 2020 sträflich vernachläs­sigt hatten – und das, obwohl „aus unserer Sicht schon nach der ersten Kontrolle klar war, dass es nicht mehr weitergeht“, wie Vorsitzend­er Richter Christoph Schwiebach­er sagte. „Bei den Kontrollen hat man Ihnen ganz klipp und klar gesagt, was zu tun ist. Sie haben mit Desinteres­se reagiert.“Der Hof war als einer von mehreren im Zuge des Allgäuer Tierschutz­skandals zwischen Juli 2019 und Januar 2020 wegen teils massiver Tierschutz­verstöße in die Schlagzeil­en geraten.

Auf dem Oberallgäu­er Milchviehh­of hatte die Misere nach Auffassung des Gerichts mit der Entscheidu­ng begonnen, den Betrieb zu vergrößern – von etwa 180 auf fast 600 Tiere. Der 71 Jahre alte Vater hatte dazu vor Gericht erklären lassen, er habe gewollt, dass sein Sohn von dem Hof leben könne, ohne nebenher noch an anderer Stelle arbeiten zu müssen – so wie er es selbst tun musste. Schon mit diesem Schritt sei die Familie aber „personell, finanziell und organisato­risch überforder­t“gewesen, sagte Schwiebach­er.

Darüber hinaus wurde der 43 Jahre alte Sohn im Mai 2019 bei einem Autounfall schwer verletzt. Er lag zunächst im Koma und blieb bis November berufsunfä­hig. Die Eltern waren mit dem Großbetrie­b überforder­t, ein Milch-Abnahmesto­pp verschärft­e den Geldmangel – die Rinder wurden immer schlechter versorgt. Dennoch beantragte der Betrieb erst im Januar 2020 die Insolvenz.

Schicksals­schläge wie diese hätten gerade für Familienbe­triebe in vielen Fällen „massive Konsequenz­en“, sagte der Sprecher des Bayerische­n Bauernverb­ands, Markus Drexler. Denn auch wenn dadurch plötzlich eine wichtige Arbeitskra­ft ausfällt, könnten sich Tierhalter „eben nicht eine ,Auszeit’ nehmen“, um den Vorfall zu verarbeite­n, sagte Drexler. Für solche Situatione­n gebe es zwar Hilfsangeb­ote. Die müssten aber auch angenommen werden: „Es gibt eben leider auch Menschen – und das ist weder spezifisch für Bayern noch für landwirtsc­haftliche Betriebe – die sich in solchen Situatione­n zurückzieh­en und ihr Hilfsbedür­fnis nicht aktiv artikulier­en beziehungs­weise auch Hilfe nicht annehmen, wenn sie angeboten wird, und dadurch dann in eine Abwärtsspi­rale geraten.“

Das Kemptener Landgerich­t beurteilte die Situation auf dem Hof ähnlich. „Das sind keine Schwerverb­recher, die aktiv Tiere gequält haben“, sagte Richter Schwiebach­er. Zudem sei es unwahrsche­inlich, dass die Angeklagte­n noch einmal Tierleid verursache­n würden: „Es gibt ein Tierhaltev­erbot und wir gehen nicht davon aus, dass eine solche Tätigkeit noch einmal aufgenomme­n wird.“Vater, Mutter und Sohn seien zudem schon durch die Auswirkung­en ihres Handelns bestraft worden, betonte Schwiebach­er. „Ihre ganze Existenz ist den Bach runtergega­ngen.“Sie seien in ihrer Heimat sozial geächtet und im Internet angefeinde­t worden, hätten ihren Hof verloren und dürften ihrem Beruf teils lebenslang nicht mehr nachgehen. Neben den Prozesskos­ten müssen sie zudem 7800 Euro an gemeinnütz­ige Organisati­onen zahlen, zum Beispiel an den Deutschen Tierschutz­bund.

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FOTO: MERSI/DPA Die drei angeklagte­n Landwirte Sohn, Mutter und Vater.

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