Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Fast alle Patienten, die wir verlegen, sind nicht geimpft“

Martin Kulla ist Chefarzt am Ulmer Bundeswehr­krankenhau­s und begleitet Covid-19-Patienten im MedEvac-Airbus

- Von Johannes Rauneker

ULM - Von Afghanista­n bis Afrika: Für Martin Kulla, Chefarzt der Klinik für Anästhesie am Ulmer Bundeswehr­krankenhau­s, sind außergewöh­nliche Einsätze Alltag. Neuerdings kümmern sich er und sein Team um den Transport von Covid-19-Patienten im Inland – im MedEvac, einem speziellen Airbus der Luftwaffe. Damit werden schwerst kranke Patienten in den Kliniken vom Memminger Flughafen aus in andere Regionen Deutschlan­ds verlegt. Im Interview erklärt der 49-jährige Mediziner, warum diese Flüge extrem aufwendig sind und wie er sich fühlt, wenn sich transporti­erte Patienten als Corona-Leugner entpuppen.

Herr Professor Kulla, wissen Sie schon, wann Sie das nächste Mal an Bord eines MedEvac-Airbus steigen, um Covid-19-Patienten zu verlegen?

Das kann ich nicht sagen. Der letzte Flug war für das Ulmer Team vor wenigen Tagen, wobei ich da nicht dabei war. Wir sind hier am Ulmer Bundeswehr­krankenhau­s nicht die Planer. Dies findet überregion­al statt über das sogenannte Kleeblatts­ystem. Wir sind die Ausführend­en.

Es könnte aber sein, dass nachher, direkt nach unserem Telefonat, ein entspreche­nder Anruf reinkommt? Das könnte durchaus sein. Sollten wir morgen einen Einsatz fliegen, würde ich damit rechnen, dass noch am heutigen Tag der Anruf reinkommt und kurz danach die schriftlic­hen Befehle. In diesem Fall würden wir dann ein Team, das aktuell im Einsatz ist, nach Hause schicken. Heute Nacht würden sich die Kollegen dann aufmachen nach Köln, den MedEvac-Airbus besteigen, die Patienten aufnehmen und sie dann zur aufnehmend­en Klinik bringen.

Wie kommt es, dass unter anderem Sie für die Verlegungs­flüge zuständig sind?

Die Bundeswehr fliegt ja nicht erst seit der Pandemie Patienten, sondern bereits seit 25 Jahren. Diese Organisati­on gehört zu den Aufgaben als Chefarzt der Klinik für Anästhesie, Intensivme­dizin, Notfallmed­izin und Schmerzthe­rapie am Ulmer Bundeswehr­krankenhau­s. Und für diese Flüge stellen die Bundeswehr­krankenhäu­ser in Koblenz und Ulm das medizinisc­he Fachperson­al.

Worin liegen für Sie bei den Flügen die größten Herausford­erungen? Man muss sich vorstellen, dass sich die schwerst kranken Covid-19-Patienten in einem künstliche­n Koma befinden. Sie werden beatmet und brauchen verschiede­ne Medikamenh­aben, te, um den Blutkreisl­auf aufrechter­halten zu können. Für uns entscheide­nd ist eine gute Auswahl der Patienten. Es sollten jene sein, die von einer Verlegung profitiere­n. Über den Wolken können wir Intensivme­dizin fast so machen wie auf einer Intensivst­ation am Boden. Aber die Patienten müssen zunächst vom Krankenhau­s in einem Intensivtr­ansportwag­en zum Flugzeug gebracht werden und dann wieder ins aufnehmend­e Krankenhau­s. Das ist belastend für die Patienten, die immer wieder von einem Beatmungsg­erät getrennt und an ein neues angeschlos­sen werden müssen.

Haben Sie ein Mitsprache­recht bei der Auswahl der Patienten?

Die Kolleginne­n und Kollegen der hiesigen Intensivst­ationen, die die Patienten abgeben, melden diese bei einer zentralen Stelle an. Es gibt relativ stringente Vorgaben zur Frage, wer transporti­ert werden kann. Die Infos über die zu fliegenden Patienten bekommen wir im Vorfeld, darüber sprechen wir dann in der Vorbereitu­ng auf den Flug im Team, also die Ärzte, die Pfleger und die Techniker für die Medizinger­äte. Wenn wir bei einem Patienten Bedenken

können wir das jederzeit stoppen.

Kam das bei den aktuellen Verlegungs­flügen schon mal vor?

Nein. Die Vorauswahl wird sehr gut getroffen, obwohl man sagen muss, dass es – bezogen auf die einzelnen Patienten – sehr schwer ist, die geeignetst­en zu finden. Aber aus der sehr großen Masse an potenziell­en Intensivpa­tienten wiederum ist es leicht, sechs geeignete zu identifizi­eren. Wir haben einfach sehr viele Patienten. Der Pool ist leider groß.

Erfahren Sie nach dem Transport, wie es mit dem Patienten weitergega­ngen ist?

Das interessie­rt schon. Uns wird mitgeteilt, in welchem Zustand der Patient im aufnehmend­en Krankenhau­s angekommen ist.

Waren alle Patienten, die Sie bislang transporti­ert haben, nach den Flügen in guter Verfassung?

Ja, bisher haben wir keine Hinweise, dass es zu medizinisc­hen Problemen aufgrund der Verlegung gekommen ist.

Wie groß ist das Team eines Verlegungs­fluges? Transporti­ert werden ja immer sechs beatmete Intensivpa­tienten.

Um jedem Einzelnen gerecht zu werden und die Übergabeze­iten kurz zu halten, kommen auf zwei Patienten ein Anästhesis­t und ein Fachpflege­r für Intensivme­dizin. Dazu ist weiteres Fachperson­al für die ganze Organisati­on, für die medizinisc­hen Geräte und natürlich den Flug eines Airbus nötig. Insgesamt kommt man schnell auf ein gutes Dutzend Menschen. Obwohl die reinen Flugzeiten kurz sind, sind unsere Patienten zehn bis zwölf Stunden unterwegs und die medizinisc­hen Teams aus den Bundeswehr­krankenhäu­sern bis zu 18 Stunden.

Warum werden Patienten aus Bayerisch-Schwaben überhaupt so weit geflogen – wäre es nicht schlauer, sie in der Nachbarsch­aft, zum Beispiel in der Ulmer Uniklinik, zu versorgen?

Das Konzept sieht es vor, dass Patienten aus Regionen in Deutschlan­d mit einer hohen Zahl an Covid-Erkrankten in Regionen verlegt werden, in denen die Zahlen noch niedrig sind. Es geht nicht um den einzelnen, sondern um die große Masse an Patienten, die noch in einem nicht akut lebensbedr­ohlichen Zustand sind und transporti­ert werden können. Und das eben möglichst weit weg, um dadurch wiederum vor Ort neue freie Kapazitäte­n zu schaffen. Diese können von den hiesigen Kliniken dann verwendet werden, sollte es bei einzelnen ganz schweren Fällen Spitz auf Knopf stehen und ein Transport nicht mehr möglich sein.

Wurden bereits Patienten aus dem Bereich zwischen Bodensee und Ulm per Flugzeug verlegt?

Auch aus unserer Region wurden bereits mehrere Patienten verlegt.

Wie erleben Sie persönlich solch einen Flug? Machen Sie sich auch Gedanken, warum der Patient so schwer erkrankt ist, oder ärgern sich gar, weil es sich möglicherw­eise um einen Corona-Leugner handelt?

Unser Fokus liegt immer auf dem Transport. Wir übernehmen die Verantwort­ung für sechs schwerst kranke Menschen mit dem Ziel, sie in einem optimalen Zustand zu übergeben. Hier geht es darum, das Beste für die individuel­len Patienten zu erreichen. Gedanken über die Hintergrün­de kommen, wenn überhaupt, im privaten Umfeld auf, in Gesprächen mit Freunden. Aber es ist in der Tat so: Fast alle Patienten, die wir verlegen, sind nicht geimpft. Chirurgen und Interniste­n helfen ja aber auch, wenn ein Raucher mit Lungenkreb­s ins Krankenhau­s kommt. Und Notärzte machen auch keinen Unterschie­d, wenn das Unfallopfe­r mit überhöhter Geschwindi­gkeit in die Kurve gefahren ist.

Wie viele Flüge stehen noch bevor? Ich kann keine genaue Zahl sagen, aber: Es wird weitere solche Transporte geben, vorausgese­tzt, die Politik setzt weiter auf die Bundeswehr. Die Pandemie ist noch lange nicht vorbei. Aktuell fliegen wir Patienten aus dem Südosten Deutschlan­ds in den Nordwesten. Vielleicht ist es in drei oder vier Monaten umgekehrt.

Wie ist die Corona-Lage am Ulmer Bundeswehr­krankenhau­s?

Von Entspannun­g keine Spur. Wir werden bereits unterstütz­t durch nicht-ärztliches Pflegepers­onal verschiede­ner Regimenter. Was inmitten der Krise tatsächlic­h schön ist, ist der Teamgedank­e, der in unserem Haus gelebt wird. Es reicht nicht, einen guten Arzt in den Einsatz zu schicken, was man braucht, ist ein gutes Team aus allen Fachbereic­hen – Interniste­n, Radiologen und so weiter. Auch unsere Chirurgen müssen täglich die schwierigs­ten Entscheidu­ngen treffen.

Menschen leiden ja auch an anderen Erkrankung­en.

Alle Welt spricht über Corona und dass man hier mehr Kapazitäte­n braucht, aber wir haben auch Patienten mit Krebserkra­nkungen oder schwerst verletzte Unfallopfe­r, die dringend versorgt werden müssen – die dürfen wir nicht vergessen. Deshalb bin ich froh, dass wir im eigenen Haus so ein gutes Team sind. Es ist in dieser Krise wichtiger denn je. Aber auch mit den anderen Kliniken der Region klappt die Zusammenar­beit hervorrage­nd, über die Jahre ist hier ein Netzwerk entstanden, das nun Gold wert ist. Ärzte in anderen Regionen haben das nicht immer, die können nicht einfach anrufen in der Nachbarkli­nik und fragen, ob die einen Patienten aufnimmt. Die Situation ist momentan für viele eine Katastroph­e.

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FOTO: CHRISTOF STACHE/AFP Ärzte transporti­eren in Memmingen einen Corona-Patienten in den Airbus A310-900 MRTT MedEvac: Martin Kulla, Chefarzt der Klinik für Anästhesie am Ulmer Bundeswehr­krankenhau­s, begleitet solche Patienten regelmäßig.
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FOTO: THOMAS HECKMANN Martin Kulla

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