Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Der lange Weg zu sicheren Straßen
Ampel-Koalition will die Zahl der tödlichen Unfälle auf null drücken – Wie das gelingen soll
BERLIN - Gute Nachrichten aus dem Straßenverkehr: Die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland wird 2021 einen neuen Tiefststand erreichen. Das geht aus einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes vom Dienstag hervor. Bis zu einem Straßenverkehr ohne Getötete und Schwerverletzte – der sogenannten Vison Zero – ist es aber ein weiter Weg. Die Ampel hat dieses Vorhaben im Koalitionsvertrag verankert. Auch Baden-Württemberg arbeitet daran. Mit welchen Schritten wollen Bund und Länder dem Ziel näherkommen?
In diesem Jahr sind bis September 2450 Menschen im Straßenverkehr gestorben. Dies ist zwar der niedrigste Stand seit Beginn der Statistik vor mehr als 65 Jahren. Doch mit der sinkenden Zahl der Verkehrstoten haben auch Corona und das als Folge geringere Verkehrsaufkommen zu tun. Damit die Vision Zero erreicht werden kann, bedarf es einer Vielzahl an Maßnahmen, sind sich Verkehrsexperten sicher. Eine Möglichkeit ist, Anreize zu schaffen. Hierzu hat das Land Baden-Württemberg ein Projekt für Senioren gestartet. Der Hintergrund: Mehr als ein Drittel der Menschen, die im Verkehr tödlich verunglücken, sind 65 Jahre und älter. Sind Senioren an Unfällen beteiligt, haben sie diese zu 60 Prozent verursacht. Hier setzt das Landesprojekt an. Seit Dezember können Senioren in bestimmten Landkreisen
den Führerschein abgeben, auf den ÖPNV umsteigen und bekommen einmalig ein kostenloses Jahresticket für Bus und Bahn. So soll bis 2030 die Zahl der Verkehrstoten gegenüber 2010 um 30 Prozent verringert werden. Wenig interessant ist das Angebot allerdings dort, wo der ÖPNV nicht gut ausgebaut ist.
Auf Bundesebene ist ein entscheidender Baustein das Verkehrssicherheitsprogramm. Laut Koalitionsvertrag soll dieses weiterentwickelt werden. In dem Programm legt das Bundesverkehrsministerium alle zehn Jahre seine geplanten Maßnahmen für die Verkehrssicherheit fest. In der vergangenen Legislaturperiode hat die Bundesregierung etwa die „Aktion Abbiegeassistent“gestartet. Lebensmittelketten verpflichteten sich, Lkw mit Abbiegeassistenzsystemen auszurüsten. Außerdem wurde zum Schutz von Radfahrern die Straßenverkehrsordnung geändert: Nun gibt es Mindestabstände beim Überholen von Fahrrädern und Lkw müssen beim Abbiegen Schrittgeschwindigkeit fahren.
Diese Politik könnte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nun fortführen. Im Koalitionsvertrag ist davon die Rede, dass die Nachrüstung von Lkw-Abbiegeassistenzsystemen bis zum verpflichtenden Einbau weiterhin gefördert wird. Verpflichtend wird der Einbau der Assistenten für neue Fahrzeugtypen laut EU ab Juli 2022, für neue Fahrzeuge erst ab 2023. Außerdem will die Ampel Jugendliche schon früher für die Gefahren im Straßenverkehr schulen und begleitetes Fahren ab 16 Jahren ermöglichen.
Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) unterstützt diese Ampel-Vorhaben. „Es ist sinnvoll, dass jugendliche Fahranfänger durch die Einführung des begleitenden Fahrens mit 16 mehr Praxis im Straßenverkehr bekommen sollen“, sagte DVR-Sprecherin Julia Fohmann. Wichtig sei aber auch, dass die Straßenverkehrsordnung den Fußverkehr stärker berücksichtige. „Bei der Novelle der Straßenverkehrsordnung stand der Radverkehr im Fokus. Wichtig ist aber auch, dass der Fußverkehr nicht zu kurz kommt“, so Fohmann.
Zudem müsste Kommunen der Gestaltungsspielraum gegeben werden, präventiv für die Verkehrssicherheit zu sorgen. Zum Beispiel, indem sie unabhängig von Gefahrensituationen oder Verkehrsbelastungsgrenzen Zebrastreifen anlegen können, erläuterte DVR-Sprecherin Fohmann. Hierzu findet sich im Koalitionsvertrag der Passus, dass die Straßenverkehrsordnung so angepasst werde, dass „Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume“eröffnet werden. Dies könnte bedeuten, dass Städte und Kommunen leichter die Möglichkeit haben, Tempo-30-Zonen zu errichten, Flächen umzuwidmen und Radwege zu bauen. Eine Möglichkeit für mehr Verkehrssicherheit hat die Bundesregierung vertan: ein generelles Tempolimit auf Autobahnen, das erwiesenermaßen mehr Sicherheit bringen würde, wird es nicht geben.