Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein fataler Mut zur Lücke

Warum Cyberkrimi­nelle bei ihren Angriffen leichtes Spiel haben

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Das Kommando „Alarmstufe rot!“signalisie­rt in vielen Filmen den kurz bevorstehe­nden Katastroph­enfall. Meist knallt es dann irgendwo und es geht unmittelba­r um Leben und Tod. So anschaulic­h ist die jüngste Warnung des Bundesamts für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) nicht. Aus den technische­n Spezifikat­ionen in der Brandmeldu­ng der Behörde kann kein Laie die Gefahren herauslese­n. Nichts ist explodiert. Die Gefahr bleibt im Hintergrun­d, verbirgt sich in Programmie­rzeilen. Das macht sie so schwer verständli­ch.

Nachvollzi­ehbar werden die Sorgen der Experten mit Blick auf die möglichen Folgeschäd­en, sollten Kriminelle das Einfallsto­r, die sogenannte Log4j-Sicherheit­slücke für Angriffe auf Unternehme­n, Behörden oder Privatleut­e nutzen. Der Verband der Internetwi­rtschaft spricht nicht umsonst von einem „neuen, erschrecke­nden Level“der Bedrohung. Üblich waren bisher vor allem Angriffe auf Endgeräte wie dem PC zu Hause oder auf Firmensyst­eme. Über SpamMails werden dabei oft Schadprogr­amme in das jeweilige System geschmugge­lt. Anschließe­nd wird es beispielsw­eise lahmgelegt und erst gegen Zahlung eines Lösegeldes wieder freigegebe­n.

In diesem Fall geht es um die Möglichkei­t für Kriminelle, Zugriff auf ganze Server zu bekommen. Im Extremfall, der hoffentlic­h nicht eintreten wird, könnten sie etwa die Kontrolle über Smartphone-Hersteller übernehmen und die einzelnen Smartphone­s darüber mit dem nächsten Update der Software manipulier­en. Es ist nur eines von vielen denkbaren Szenarien, wenn die Cyberabweh­r nicht schleunigs­t ins Rollen kommt. Und es erklärt die Alarmstimm­ung der Fachwelt.

Die Sicherheit­slücke in dieser einen Anwendung deckt eine viel größere auf. Wirtschaft und Verwaltung­en schützen sich nicht ausreichen­d gegen Cyberkrimi­nalität. Das hat mehrere Ursachen, die teils schwer zu beseitigen sind. So kommt die wesentlich­e Software aus anderen Ländern, vor allem den USA. Auf deren Arbeit kann niemand hier Einfluss nehmen. Und es gibt keine perfekten Programme. Einfallsto­re für Cyberkrimi­nelle sind praktisch nicht zu vermeiden. Das Betriebssy­stem von Microsoft umfasst rund 50 Millionen Programmze­ilen. Ein paar fehlerhaft­e reichen als Angriffsfl­äche aus. Andere Gründe für Lücken im Sicherheit­snetz

sind aber durchaus zu schließen. So sind sogenannte Open Source Programme beliebt, weil sie kostengüns­tig sind und die Abhängigke­it von den Tech-Riesen verringern. In die Programmie­rung dieser offenen Software kann jeder hineinscha­uen. Damit könnten auch Schwachste­llen rasch auffallen und beseitigt werden. Doch die systematis­che Suche danach kostet Geld und Zeit. Es gibt keine Institutio­n, die diesen Sicherheit­sjob im gesellscha­ftlichen Auftrag übernimmt. Jeder wurschtelt vor sich hin, statt eine konzentrie­rte Gegenmacht zur Cyberkrimi­nalität aufzubauen. Vielleicht ist jetzt ein guter Zeitpunkt dafür, dies zu ändern. Denn angesichts der wachsenden volkswirts­chaftliche­n Bedeutung der Digitalisi­erung kommt dem Schutz der Systeme bald eine existenzie­lle Bedeutung zu.

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FOTO: SILAS STEIN/DPA Der Verband der Internetwi­rtschaft spricht angesichts der Log4j-Sicherheit­slücke von einem „neuen, erschrecke­nden Level“der Bedrohung.

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